Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten. Friedrich Glauser

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Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten - Friedrich  Glauser

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veränderte sich nicht. Studer zog die Kohlezeichnung mit dem süßlichen Mädchenkopf aus der Tasche, zeigte sie dem Oberpfleger und fragte:

      »Ist das die Irma Wasem?«

      »Eh, deich woll!«

      Und zu Jutzeler, dem Abteiliger, gewandt, frage Studer:

      »Ihr habt gestern das Telephon abgenommen und den Direktor gerufen… Wer hat ihn verlangt?… Ich meine, hat eine weibliche Stimme gesprochen?«

      »Nein, nein«, sagte Jutzeler. »Es war eine Mannenstimme…« Studer war verblüfft.

      »Eine Mannenstimme?« fragte er ungläubig.

      »Ja. Ganz sicher!« Der Abteiliger Jutzeler glaubte sich verteidigen zu müssen.

      Studer dachte nach. Da stimmte etwas nicht!… Man mußte weiter fragen. Schwer war es, denn wenn so viele Zuhörer anwesend waren, gingen die Menschen nicht aus sich heraus. Man hätte jeden einzelnen befragen müssen, dann hätte man ihn ausquetschen können… Der Wachtmeister sah von einem zum andern. Die Gesichter waren leer. Hinten, beim kleinen Tischchen, hockte zufrieden der Nachtwärter Bohnenblust mit dem geflickten Sweater und dem buschigen Schnurrbart und freute sich, daß man ihn vergessen hatte. Er atmete so sanft, daß seine Lungen gar nicht mehr rasselten… ›Dich!‹ dachte Studer, ›dich knöpf' ich mir ein anderes Mal vor…‹ Aber vielleicht würde das alles nicht nötig sein… Studer hatte noch Hoffnung auf einen freundlichen Ausgang, obwohl die Männerstimme…

      »Sagt einmal, Jutzeler… Während des Telephongesprächs seid ihr in der Nähe geblieben?«

      »Ja.«

      »Natürlich! Zugehört habt ihr nicht. Aber ist euch etwas aufgefallen? Ein Wechsel im Ausdruck des Herrn Direktor…«

      Jutzeler besann sich, nickte.

      »Zuerst hat er nur ganz kurz gesprochen und schien wütend zu sein. Er hat den Hörer wieder angehängt. Aber gerade darauf hat es wieder geschellt, der Direktor hat Antwort gegeben und da hat er gelächelt…«

      Direktor Ulrich Borstli hatte mit zwei Leuten telephoniert. Wennschon… Sah es nicht aus, als führe man eine Untersuchung über einen Mordfall, obwohl augenblicklich nur das Verschwinden des Patienten Pieterlen zur Diskussion stand? War es nicht immer noch möglich, daß der Direktor einfach verreist war, eine kleine Spritztour unternommen hatte? Aber es sprach so viel dagegen… Studer ging im Saal auf und ab, viele Blicke folgten ihm…

      Drei Türen an der Längswand. Er rüttelte an den Klinken. Sie waren versperrt. Um sie zu öffnen, brauchte man nur den Passe, nicht den Dreikant.

      »Wir müssen weiter, Studer«, sagte Dr. Laduner und stand auf. »Ich laß Ihnen vom Oberpfleger… – Weyrauch! Geben Sie dem Wachtmeister einen Passe und einen Dreikant, damit er frei zirkulieren kann. Auf die Frauenseite wollen Sie doch nicht, Studer?« fragte er.

      Der Wachtmeister schüttelte den Kopf.

      »Noch eine Frage«, sagte er. »Ist die Irma Wasem in der Anstalt?«

      Es war der dicke Oberpfleger Weyrauch, der die Antwort gab.

      – Sie habe heute ihren freien Tag, sagte er und zwinkerte hinter seiner Hornbrille.

      Also war der Fall auch am Rapport verhandelt worden, dachte Studer und trat zur letzten Tür neben dem Absatz mit den Badewannen, die vom Nebenzimmer kaum drei Meter entfernt war. Stimmengesumm auf der andern Seite.

      »A propos«, sagte Studer. »Wo ist eigentlich die Handharpfe des Pieterlen?«

      Der Abteiliger Jutzeler wurde rot und das sah ziemlich merkwürdig aus. Er stotterte ein wenig, als er mit leiser Stimme antwortete, die Handharpfe sei nicht aufzufinden gewesen.

      »Dann hat die Pieterlen auf die Reise mitgenommen?« stellte Studer kopfschüttelnd fest. Es gelang ihm einfach nicht, sich ein Bild von diesem Pieterlen zu machen, den der Dr. Laduner ein Demonstrationsobjekt genannt hatte. Ein Demonstrationsobjekt! Warum?

      »Wenn Sie auf dem B bleiben wollen, Studer«, sagte Laduner, »so will ich Sie noch meinem Freunde Schül vorstellen. Ein Dichter, der Schül. Er sieht nicht sehr schön aus, denn eine Handgranate ist während des Krieges gerade vor seiner Nase geplatzt. Das hat ihn ziemlich demoliert. Aber sonst ist er sehr klug. Ich denke, Sie werden gut mit ihm auskommen. Und dann war er ein großer Freund des verschwundenen Pieterlen…«

      Mit gewollter Gründlichkeit zog Studer sein Büchlein aus der Tasche und notierte: »Wasem Irma, Pflegerin…« »Wie alt?« fragte er, und nachdem ihm der Oberpfleger Weyrauch Auskunft gegeben hatte, schrieb er: »22jährig.«

      Matto und der rothaarige Gilgen

       Inhaltsverzeichnis

      Von dem breiten Gang, der, wie alle Gänge der Anstalt, nach Bodenwichse und Staub roch, zweigte rechts ein schmälerer ab, und dann kam die Küche… Sie war hellblau gestrichen, und eigentlich war es gar keine Küche, sondern ein großer Raum zum Abwaschen. Ein Becken in einer Ecke mit den Hahnen für kaltes und warmes Wasser darüber, zwei riesige Fenster, die rechtwinklig zueinander standen: das eine blickte gegen das Mittelgebäude, das andere auf einen niederen Bau in der Mitte des Hofes, an dessen Ende ein Kamin aufragte.

      »Hallo, Schül!« sagte der rothaarige Pfleger Gilgen, dem Studer übergeben worden war.

      Ein Mann in einem blauen Schurz, der damit beschäftigt war, Suppenteller auf ein großes Tablett zu schichten, wandte sich um. Sein Gesicht war eine einzige Narbe. Die Nase war eingedrückt, statt der Nasenlöcher sah man die Enden eines silbernen Röhrchens. Und der Mund sah aus, wie eine schlecht vernarbte Wunde.

      »Schül«, sagte der Pfleger Gilgen und litzte die Ärmel seines blauen Hemdes noch weiter zurück, »ich bring' dir da Besuch. Der Dr. Laduner läßt dich grüßen und du sollst dem Wachtmeister ein wenig Gesellschaft leisten.«

      Der Mann mit dem Narbengesicht wischte sich die Hände an seiner blauen Schürze ab. Dann reichte er Studer die Hand – auch seine Hand war mit Narben bedeckt. Und seine Augen traten vor, blutunterlaufen.

      Er sprach ein geziertes Schriftdeutsch, das eigentlich wenig Dialektfärbung hatte und mehr ans Französische anklang, das war nicht weiter verwunderlich, da Schül, wie er erzählte, zwölf Jahre in der Fremdenlegion gedient und mit dem Régiment de marche unter Oberst Rollet im Weltkrieg mitgefochten hatte.

      Er erzählte – und kleine Speichelbläschen bildeten sich in seinen Mundwinkeln – , daß er großer Kriegsverwundeter sei (›un grand blessé de guerre!‹). Eine Handgranate – Dr. Laduner habe das wohl erzählt? – Ja, also eine Handgranate sei vor ihm geplatzt und habe ihm nicht nur das Gesicht, nein, auch die Hände und den Körper aufgerissen. Er zog ein Hosenbein hoch, um sein Schienbein zu zeigen, und Studer konnte ihn gerade noch zurückhalten, als er sein Hemd über den Kopf ziehen wollte, um seinen Oberkörper zu entblößen.

      »So macht man es den Helden!« klagte Schül. »Gut und Blut gibt man für die Freiheit eines Landes, ich trage die Ehrenlegion und die Médaille militaire, und volle Pension beziehe ich auch. – Und wer steckt meine Pension ein?« Schül beugte sich zu Studers Ohr, und der Wachtmeister mußte sich zusammennehmen, um nicht

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