Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Er war der Allgeliebte. Wie das heiligste
Palladium des Hauses, das der Feind bedroht,
Umstanden schirmend Mutter und Geschwister ihn,
Auf den die Parze mit gezückter Schere sah.
Kindlicher Weisheit war er voll, der Blumen und
Der Vögel Freund, zu keinem irdischen Tun bestimmt.
Und doch ein Sonnenstreiter. Wie er kämpfte, litt,
Aus Leidensnächten hell und sieghaft auferstand,
Wie keine Trauer jemals um sein frühes Los,
Kein Neid ihn je beschlich auf der Geschwister Lenz,
Ein Weiser halb und halb ein Kind und ganz ein Held.
Vier Jahre gab die Südlandssonne liebend noch
Zum Kampf ihm Kraft, zuletzt in banger Winternacht
Trat Jener ein, vor dem die Liebe machtlos wird.
So leis er kam, wir spürten fröstelnd gleich: Er war’s!
Auch er erkannt’ ihn, doch mit Trauer nicht noch Furcht.
Und wie sein Atem rang, die Brust im Kampfe flog,
Auf seinem Mund verblühte doch das Lächeln nicht.
Träg schlich die Nacht. Das Feuer schürt’ ich im Kamin
Als letzten Dienst und sah’s am Morgen funkenweis
Verglimmen. So verglomm das junge Leben auch.
Doch als der Tag durchs Fenster sah, da standen wir
Bewundernd vor des Todes heitrer Majestät.
Wie schön er dalag! Im Triumph des Jugendtods!
Ein Lächeln still auf noch beseeltem Angesicht,
Wie nach der Schlacht die Fahne, die gerettete,
Den toten Sieger deckt!
Und unter Blumen senkten wir ihn droben ein,
Wo von dem Wall, den Michelangelo gebaut,
Ein stiller Garten niederblickt aufs Arnotal,
Ein weltvergess’nes Plätzchen, recht für den gemacht,
Der wie ein flüchtiger Gast aus andern Welten kam. – – –
*
Die Tage, die auf diesen Auszug folgten, sind mir in einer dunklen und dumpfen Erinnerung. In der Frühe nach der Sterbenacht war Alfred aus Venedig angekommen, verzweifelt, den kleinen Bruder nicht mehr zu finden, den er wie einen eigenen Sohn geliebt hatte. Nun warf sich seine wilde Angst auf die Mutter, wie sie es tragen würde. Ich war im gleichen Fall wie er, denn allzuoft hatten wir sie sagen hören, dass sie Baldes Tod nicht würde überleben können. Wie sehr irrte sie sich und wir mit ihr! Als der Fall eintrat, hatte sie nicht einen Augenblick der Schwäche. Ihre unverwüstliche Lebenskraft trieb sie gleich zu neuen Taten der Treue. Wie unsere siebzigjährige Josephine, die an den Folgen eines leichten Schlaganfalls darniederlag, sich heimlich erhob, um den geliebten Jüngsten noch einmal zu sehen, aber vor seinem Sarg an einem zweiten Anfall zusammenbrach, wie meine Mutter dadurch aus ihrem Schmerz gerissen wurde und sich jetzt mit Selbstverständlichkeit der Pflege ihrer eigenen früheren Pflegerin widmete, habe ich in ihrer Lebensgeschichte erzählt. »Heldenhaft« pflegt man ein solches Verhalten zu nennen oder »opferselig« – es gibt so wenig Bezeichnungen für eine außergewöhnliche Natur. Diese beiden passten nicht: sie wusste so wenig von Heldentum wie von Opfer, ihr Tun war ihr natürlich wie der Gebrauch ihrer Gliedmaßen. Man musste sie ganz gewähren lassen, es war gut für sie. Der einzige, der sie an dieser neuen Darbringung hindern wollte, war Alfred, der mit der gleichen Leidenschaft wie ich, nur ohne alle Überlegung, an der Mutter hing. Sie zu verlieren war auch ihm der furchtbarste aller Gedanken; noch in seinen reifen Mannesjahren äußerte er wiederholt, dass er es eher ertragen könnte, eines seiner Kinder sterben zu sehen als die Mutter. Auch in der Denkart war er am abhängigsten von ihr; mit wahrem Staunen fand ich einmal spät nach beider Hingang einen Brief von ihm an sie, wo er schrieb, dass der Fremdenmangel in Venedig zu einer bedenklichen Flaute in seiner Praxis und somit auch in seinen Einnahmen geführt habe (ein Zustand, der bei dem schlechten Wirtschafter kein seltener war), dass ihm aber jetzt die Behandlung einer Fürstlichkeit in Aussicht stehe. Und der Sohn bittet die Mutter um die grundsätzliche Weisung, wie er sich in solchem Falle zu verhalten habe, indem er ganz kindlich hinzufügt, die Sache wäre ja sehr nützlich, »wenn Du es aber nicht willst, so tue ich es nicht«. Von einem zahmen Muttersöhnchen brauchte das nicht wunderzunehmen, aber bei dem tollen Patron, der Alfred zeitlebens war – das nachwachsende Geschlecht nannte ihn nicht anders als den Zio matto –, hatte solche aus innerstem Herzenstrieb geborene Unterwerfung unter die Maßgeblichkeit des mütterlichen Willens etwas beinahe Prähistorisches, wie ein Nachklang aus jenen Zeiten des Mutterrechts. Er suchte damit unbewusst gutzumachen, was er in seiner wilden Knabenzeit an ihrer Seelenruhe gesündigt hatte, aber manchmal machte es geradezu den Eindruck, als ob zwischen diesem Sohn und der Mutter die Nabelschnur noch gar nicht zerschnitten sei. Die Fürsorge, mit der er sie zu umgeben suchte, war ebenso rührend wie bedrängend, weil nicht auf ihr Temperament berechnet, denn Mama gehörte zu den Menschen, die sich durchaus nicht päppeln lassen, solange sie sich selber regen können. Die Kissen, die er ihr in den Rücken stopfte, die Schals, die er um ihre Schultern legte, flogen nur so in die Luft; ein Schemel, unter die Füße geschoben, konnte sie wild machen. Dass er ihr in jenen traurigen Tagen durchaus mehr Nahrung aufnötigen wollte, als sie gewohnt war und hätte ertragen können, führte zu einem beständigen Kampf zwischen ihm und mir. Der Arzt, der so liebevoll verständig mit seinen fremden Patienten umging und gerade die kleinen Dinge so gut verstand, dass er am Krankenbette fast noch