Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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be­gon­ne­nen Mär­chen wa­ren mein ers­ter Sprung da hin­ein; sie wur­den je­doch nicht am Schreib­tisch ver­fasst, son­dern großen­teils an Bal­des Bett­rand sit­zend münd­lich, um dem Lei­den­den die Zeit zu ver­trei­ben, und erst her­nach auf sei­nen Wunsch nie­der­ge­schrie­ben. Ich mach­te die klei­ne Samm­lung in Flo­renz mit Lie­be fer­tig und be­schloss sie mit dem »Leucht­kä­fer, der kein Mensch wer­den woll­te«, ei­ner Er­fin­dung, in der ein stil­les und zar­tes Her­zens­leid, nur mir ver­nehm­lich, lei­se nach­zit­ter­te. Auf den Rat ei­ner Be­kann­ten, die gute Be­zie­hun­gen zu Eng­land hat­te, über­setz­te ich das klei­ne Ding, das mir in ei­ge­ner Wei­se am Her­zen lag, ins Eng­li­sche, um es in ei­nem hie­für ge­eig­ne­ten eng­li­schen Blat­te dru­cken zu las­sen. Be­vor ich es aus den Hän­den gab, leg­te ich es ei­nem Freun­de, dem fei­noh­ri­gen eng­li­schen Dich­ter Charles Grant, zur sprach­li­chen Be­gut­ach­tung und al­len­fall­si­gen Be­rich­ti­gun­gen vor. Der Spruch, den ich da emp­fing, war mir eben­so über­ra­schend wie lehr­reich. Zu be­rich­ti­gen gebe es nichts, die Wort­wahl sei un­an­fecht­bar, der Satz­bau rich­tig, nur sei kein ein­zi­ger Satz eng­lisch. Be­tre­ten frag­te ich, ob er mir denn nicht hel­fen kön­ne, ein rich­ti­ges Eng­lisch dar­aus zu ma­chen? Nein, war der Be­scheid, denn in eng­lisch ge­fühl­tem Eng­lisch wäre es kein »Leucht­kä­fer« mehr. Der Geist der bei­den Spra­chen sei so grund­ver­schie­den, dass das Eng­li­sche für ein sol­ches Schwe­ben zwi­schen Lä­cheln und Weh­mut, ein solch un­aus­ge­spro­che­nes Rüh­ren an letz­te Din­ge mit­ten in kind­li­cher Mär­chenun­schuld gar kei­ne Töne habe und dass ge­wiss ein fei­ner und ge­bil­de­ter Eng­län­der die klei­ne Le­gen­de lie­ber in mei­nem zwar fremd­ar­tig aber nicht un­an­ge­nehm klin­gen­den Eng­lisch le­sen wer­de als in ei­nem rich­ti­gen, aus dem der gan­ze Mär­chen­reiz weg­ge­bla­sen wäre. Ich be­folg­te den Rat und be­kam ein un­er­war­tet gu­tes Ho­no­rar, aber nie den Druck zu Ge­sicht, was ge­le­gent­lich die Ver­mu­tung na­he­leg­te, dass das Mär­chen un­ter an­de­rem Na­men ge­druckt wor­den sei. Die be­deut­sa­me Fra­ge von der Über­setz­bar­keit dich­te­ri­scher Er­zeug­nis­se wur­de mehr­fach mit dem eng­li­schen Freund er­ör­tert, wo­bei es mir sehr ein­leuch­tend war, zu hö­ren, dass zwar der deut­sche Über­set­zer mit­telst sei­ner zu un­end­li­cher Dehn­bar­keit und Ge­schmei­dig­keit er­zo­ge­nen Spra­che jede eng­li­sche Ge­dan­ken­fär­bung un­ver­fälscht aus­drücken kön­ne, nicht aber um­ge­kehrt der Eng­län­der den deut­schen Ge­dan­ken, wenn er in der Tie­fe des Volks­ge­müts wurz­le, weil sei­ne Spra­che als die ei­nes her­vor­ra­gend prak­ti­schen, gänz­lich un­spe­ku­la­ti­ven Vol­kes, ein ein­sei­ti­ges, nach der phi­lo­so­phi­schen Rich­tung un­ent­wi­ckel­tes Werk­zeug sei. Er hat­te es selbst zu er­pro­ben, als ihn un­se­re ge­mein­sa­me Freun­din, Frau Jes­sy Hil­le­brand, die eng­li­sche Gat­tin des be­kann­ten Essayis­ten, bei ih­rer Über­set­zung von Scho­pen­hau­ers »Vier­fa­cher Wur­zel« zu Hil­fe rief, an wel­cher Wur­zel auch der fei­ne Sprach­ken­ner Grant ge­wal­tig zu kau­en fand, weil das Eng­li­sche dem Scho­pen­hau­er­schen Deutsch einen fast un­über­wind­li­chen Wi­der­stand ent­ge­gen­setz­te. – Ich hat­te spä­ter oft Ge­le­gen­heit, mich die­ser Ge­sprä­che zu er­in­nern, wenn sich mir die Er­fah­rung von der schwe­ren Über­setz­bar­keit mei­ner wenn auch noch so durch­sich­ti­gen Spra­che er­neu­er­te: je­nes mit­schwin­gen­de Et­was, das dem Frem­den den Zu­gang zu er­schwe­ren scheint, ist nichts an­de­res als die mit­schwin­gen­de, im Ver­bor­ge­nen woh­nen­de deut­sche Stam­mes­see­le. Der Mas­sen­er­folg, den un­se­re jüngst­ver­flos­se­ne Li­te­ra­tur­pe­ri­ode im Aus­land hat­te und noch im­mer hat, geht eben auf das Feh­len je­nes Et­was zu­rück, wo­durch ein in­ter­na­tio­na­les, in­ner­lich un­deut­sches Deutsch so leicht zu über­set­zen ist und eine in­ter­na­tio­na­le Geis­tes­welt die deut­sche Geis­tig­keit vor dem Aus­land ver­tritt.

      Die Mär­chen fan­den in Deutsch­land freund­li­chen Empfang; sie wur­den zu­erst ein­zeln in Zeit­schrif­ten, spä­ter bei Gö­schen, Stutt­gart, als klei­nes Büch­lein un­ter dem Ti­tel »Fan­tasi­en und Mär­chen« ge­druckt. Sie blie­ben mir wert, weil ich dar­in zum ers­ten Mal mei­nen ei­ge­nen na­tür­li­chen Ton ge­fun­den hat­te, be­son­ders in dem Mär­chen vom Leucht­kä­fer. Dem eng­li­schen Freund, der so warm in mei­ne See­le hin­ein emp­fand, ging es eben­so, er sah in dem klei­nen Büch­lein ein Ver­spre­chen für die Zu­kunft. It is no life but it hin­ts at life, sag­te er, um mich zu er­mu­ti­gen. Aber so ein klei­nes Schwälb­lein macht kei­nen Som­mer, und ich war noch nicht weit ge­nug, um fer­ner­hin aus den ei­ge­nen Fin­gern zu sau­gen.

      Um die tie­fe Ent­täu­schung, von der ich be­fal­len war, nach­träg­lich sel­ber zu ver­ste­hen, muss ich das da­ma­li­ge Zeit­ge­sicht aus mei­ner heu­ti­gen Über­schau noch ein­mal zu­rück­be­schwö­ren. Das Hin­schwin­den der über­per­sön­li­chen Zie­le war ja ei­ner der Grün­de, die uns aus Deutsch­land fort­ge­trie­ben hat­ten. Aber im öf­fent­li­chen Le­ben Ita­li­ens sah es nicht bes­ser aus, die Auf­fas­sung von den Wer­ten des Da­seins war die glei­che, und auch sonst gab es der Par­al­le­len man­cher­lei. Bei­den Völ­kern war ein jahr­hun­der­te­al­ter Traum, um den viel edels­tes Blut ge­flos­sen, über Nacht er­füllt. Bei­de stan­den nach lan­ger po­li­ti­scher Min­der­wer­tig­keit und Missach­tung, die sie zum Schmerz ih­rer Bes­ten er­dul­det hat­ten, ge­ehrt und stark un­ter den Völ­kern Eu­ro­pas. Aber bei­den wur­de die äu­ße­re Er­fül­lung zum in­ne­ren Ver­häng­nis. Wo die Vä­ter ge­op­fert hat­ten, woll­te man ge­nie­ßen, al­lein man ge­nießt nicht un­ge­straft, wo man nicht auch zum Op­fern be­reit ist.

      Es war ja die Blü­te­zeit des Ka­pi­ta­lis­mus, wo der Reich­tum nicht als et­was äu­ßer­lich An­hän­gen­des er­schi­en, son­dern als ein zwei­tes, un­an­tast­ba­res Got­tes­gna­den­tum. Nicht nur dass die Be­sit­zen­den in den Au­gen der an­de­ren hö­he­re We­sen wa­ren, sie wa­ren es auch in ih­ren ei­ge­nen. Mehr als heu­te noch vor­stell­bar, schweb­ten jene Be­vor­zug­ten in ei­ner gol­de­nen Wol­ke von Ge­wiss­heit da­hin, ihr Glück mit Ver­dienst ver­wech­selnd. Sie leb­ten zwar mit dem geis­ti­gen Adel auf dem Fuße der Gleich­heit, aber es lag doch noch ein an­de­rer Schmelz in der Stim­me der Haus­frau, wenn sie eine durch­rei­sen­de Finanz­grö­ße emp­fing, als wenn ein ar­mer Künst­ler oder Ge­lehr­ter ihr Haus be­trat. Der Geist war ih­nen Schmuck des Le­bens, aber das Le­ben sel­ber war der Reich­tum.

      Auch das Wirts­land be­fand sich zwi­schen den zwei Wel­len­ber­gen Ga­ri­bal­di und Mus­so­li­ni in ei­nem lan­gen und tie­fen Wel­len­tal. Zu der na­tür­li­chen Sinn­lich­keit ei­nes sin­nen­fro­hen und sin­nen­star­ken Vol­kes ge­sell­te sich der all­ge­mei­ne Ma­te­ria­lis­mus der Zeit. Das öf­fent­li­che Le­ben stock­te und stick­te in dem par­la­men­ta­ri­schen Sumpf, Re­gie­run­gen ka­men und gin­gen, die Mi­nis­ter gal­ten für käuf­lich, aus der ho­hen Po­li­tik floss die Skep­sis über das gan­ze Land. Die höchs­te bür­ger­li­che Stel­lung be­saß wie in Frank­reich der Ad­vo­kat, und die­ser als der ge­wand­tes­te Red­ner hat­te auch die nächs­te An­wart­schaft auf einen Sitz im Par­la­ment, wo­bei nie­mand von ihm er­war­te­te, dass er an­de­re als per­sön­li­che Zwe­cke ver­fol­ge. Die al­ten Kämp­fer, die auf den Schlacht­fel­dern ge­blu­tet oder gar noch in Ge­fäng­nis­sen ge­ses­sen hat­ten, stan­den höf­lich ge­grüßt aber als ver­gan­ge­ne Grö­ßen ab­seits, die Ju­gend lä­chel­te bla­siert und skep­tisch.

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