Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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in be­que­me Kanä­le ge­fasst aber von mir un­ge­se­hen, da­ne­ben flos­sen. Doch ich woll­te ja auch gar nicht aus fer­ti­gen Bü­chern zu­sam­men­stop­peln, son­dern die To­ten sel­ber an­ru­fen, dass sie mir ihr Ge­sicht zeig­ten. Mit Gino Cap­po­nis an­spruchs­los ge­schrie­be­ner, aber über­sicht­li­cher Ge­schich­te von Flo­renz be­gann ich mei­ne Stu­di­en, wo­bei es zu­nächst un­we­sent­lich war, ob die­se For­schun­gen etwa schon zum Teil durch spä­te­re über­holt und be­rich­tigt wa­ren; es galt vor­erst nur, sich in den Stoff und in den Geist der Zeit ein­zu­le­ben. Ich über­wand glück­lich die ver­wi­ckel­ten und ver­wir­ren­den mit­tel­al­ter­li­chen Stadt­kämp­fe, aus de­nen für die gan­ze Dau­er der al­ten Re­pu­blik die son­der­bars­te und un­ge­rech­tes­te al­ler Staats­ver­fas­sun­gen her­vor­ging, aber zu­gleich durch die Un­ter­drückung des krie­ge­ri­schen Adels und die Vor­herr­schaft von Han­del und Finanz ein Zu­stand ge­schaf­fen wur­de, der dem, was man vor­zugs­wei­se un­ter der flo­ren­ti­ni­schen Re­naissance ver­steht als der Wie­der­ge­burt des Geis­tes der An­ti­ke und zu­gleich ei­ner ei­ge­nen Kul­tur­blü­te oh­ne­glei­chen, die Stät­te be­rei­te­te. Die­se Epo­che stand un­ter der Füh­rung der frü­hen großen Me­di­ce­er. Nicht als ob sie al­lein das Zeug dazu ge­habt hät­ten, je­der Flo­ren­ti­ner trug da­mals schick­sal­haft, wie vom Geist der Ge­schich­te ge­zwun­gen, das­sel­be Wunsch­bild in der See­le. Aber die Zeit war reif, die Er­fül­lung muss­te kom­men, und ihre po­li­ti­sche Stel­lung leg­te sie in die Hän­de der Me­di­ce­er. Von die­ser Fa­mi­lie, die dem Zeit­al­ter den Na­men gab, muss­te ich den Aus­gang neh­men. Es hieß also nicht mehr sich eine Stadt zu­ei­gen ma­chen son­dern eine gan­ze Kul­tur, die glanz­volls­te und fort­wir­ken­de seit der grie­chi­schen; ihre Be­deu­tung ging mir jetzt auf ih­rem Mut­ter­bo­den zum ers­ten Mal auf. Von Schritt zu Schritt lern­te ich sie er­ken­nen als die Wie­ge des mo­der­nen Le­bens, aus der die Kei­me der geis­ti­gen An­re­gung in alle Län­der flo­gen. Und die Men­schen, die das al­les ge­schaf­fen hat­ten! Was ist die Zeit? Eine Schei­de­wand aus Lei­nen und Pap­pe. Ich blies, da lag sie, und hin­ter ihr her­vor tra­ten sie, die lan­ge ge­such­ten Freun­de, die ho­hen Ver­wand­ten, die vor Hun­der­ten von Jah­ren ge­lebt hat­ten!

      Auch hier konn­te ich nicht ab ovo be­gin­nen und in der ge­ra­den Rei­hen­fol­ge wei­ter­ge­hen, son­dern ein hel­ler Mit­tel­punkt, der zu­erst mei­ne Au­gen an­zog, Lo­ren­zo de’ Me­di­ci, den sie, das Wort ma­gni­fi­co miss­ver­ste­hend, den Präch­ti­gen nen­nen – er war präch­tig, aber der Beiname mein­te an­de­res –, sand­te sei­ne Strah­len nach al­len Sei­ten. Er zog zu­nächst nach rück­wärts hin­strah­lend sei­ne Vor­fah­ren und die Vor­ge­schich­te sei­nes Hau­ses samt ih­ren ge­stürz­ten Mit­be­wer­bern in den Kreis. Dann be­lich­te­te die­ses leuch­ten­de Zen­trum sei­ne Zeit­ge­nos­sen, die Freun­de und Fein­de, die Fa­mi­li­en­glie­der, den me­di­ce­i­schen Künst­ler und Dich­ter­kreis, eine sich im­mer wei­ten­de Welt, al­les von dem Gestirn ers­ter Grö­ße Lo­ren­zo in sei­nen wech­seln­den Aspek­ten über­strahlt. Aber auch sein Ge­gen­spie­ler Sa­vo­na­ro­la, mir bis da­hin nur ein Name, er­schi­en und for­der­te sein Recht. »Ein mön­chi­sches Scheu­sal« hat­te ihn Goe­the ge­nannt; das war fast al­les, was ich von ihm wuss­te; eine er­schüt­tern­de Ge­wis­sens­macht, die sich tot­lief, kam zu­ta­ge. Die­se Ge­stalt wie­der­um deu­te­te nach Rom und in die Kloa­ke der Bor­gia hin­ein. So wur­de der ge­schicht­li­che Um­kreis im­mer grö­ßer. Da war ei­ner, ein Jun­ger, in des­sen Lie­bens­wür­dig­keit und An­mut ich mich schlech­ter­dings ver­lieb­te, der schö­ne Gi­u­lia­no, Lo­ren­zos Bru­der, der im Dom als das Op­fer der Ver­schwö­rung der Paz­zi fiel, wie­der eine der frühster­ben­den Jüng­lings­ge­stal­ten, die es mir schon in der Kind­heit an­ge­tan hat­ten. Ich sah die Frau sei­ner Lie­be, die schö­ne Si­mo­net­ta, im of­fe­nen Sarg zu Gra­be tra­gen und be­rausch­te mich an dem Wohl­klang der la­tei­ni­schen Ver­se, die der Po­li­zia­no auf ih­ren Tod ge­dich­tet hat. Das führ­te mich wie­der auf die la­tei­ni­sche Spra­che hin, die mir seit dem Weg­zug mei­nes Freun­des Mohl aus Tü­bin­gen, weil ich sie nicht übte, schon fast ent­glit­ten war. So zo­gen die flo­ren­ti­ni­schen Stu­di­en im­mer wei­te­re Krei­se und nah­men mehr und mehr von mir Be­sitz. Und weil das Pflas­ter, wor­auf ich trat, noch das­sel­be war, über das jene Men­schen einst wan­del­ten, und die Stadt ihr Ge­sicht noch nicht all­zu­sehr ver­än­dert hat­te, brauch­te man nur die in­ne­ren Au­gen zu öff­nen, um sie noch in ih­rem al­ten Rah­men zu se­hen. Die­se Längst­ver­stor­be­nen wur­den für mich le­ben­di­ger als das meis­te, was sich um mich her be­weg­te: sie hat­ten mit mir die eine große Lie­be ge­mein, die ich in sol­cher Stär­ke nie bei Mit­le­ben­den ge­fun­den hat­te: die Lie­be zu Hel­las, dem sie die Au­fer­ste­hung be­rei­te­ten. Hel­las war das Kenn­wort, an dem wir uns au­gen­blicks zu­sam­men­fan­den, die Le­ben­de mit den To­ten die nicht ster­ben. Die Op­fer an Gut und Le­ben, die nach dem Stur­ze von Kon­stan­ti­no­pel von den Ita­li­e­nern für die Ret­tung und Er­hal­tung der Schät­ze des grie­chi­schen Geis­tes ge­bracht wur­den, ga­ben ih­nen wohl das Recht, sich für die Er­ben die­ses Geis­tes zu er­klä­ren, wenn sie auch nicht die ein­zi­gen wa­ren.

      Frei­lich steck­te auch die­se strah­len­de Welt, die mich be­rausch­te, voll von mensch­li­chen Übeln, von Ge­walt­tat und Ver­bre­chen, es wa­ren die Kehr­sei­ten der großen Ta­ten in Kunst und Wis­sen­schaft; frei­lich muss­te auch hier der Ge­ni­us an die Tür der Gro­ßen klop­fen um sein Brot, aber der Ge­ni­us war naiv und schäm­te sich nicht und zwei­fel­te nicht an der Wel­t­ord­nung, die sol­ches woll­te, und die Gro­ßen wuss­ten, was sie an ihm be­sa­ßen, wenn sie nicht gar wie Lo­ren­zo sel­ber oder Pico von Mi­ran­do­la zu den Ge­ni­en ge­hör­ten. Das Schö­ne lag in der wun­der­ba­ren Ein­heit, in dem Ge­mein­sinn, der die Züge die­ser ein­zi­gen Stadt ge­prägt hat­te, dass sie sich wie Fa­mi­li­en­zü­ge in je­dem größ­ten und kleins­ten ih­rer Ge­bil­de wie­der­fan­den.

      Ich bin mit die­sem Be­richt mei­nen Er­geb­nis­sen zeit­lich vor­aus­ge­eilt, denn es war eine lan­ge Stre­cke, die ich da ohne Wink und Füh­rung zu­rück­zu­le­gen hat­te. Al­lein der Bo­den war ge­eb­net, die Form, die ich dem Stoff ge­ben woll­te, lag in mei­nem In­ne­ren, und im un­be­grenz­ten Glau­ben der Ju­gend an sich selbst blieb ich un­be­irrt von je­dem Zwei­fel am Ge­lin­gen.

      Mei­ne gute Mut­ter ju­bel­te, weil sie mei­ner nun wie­der für ge­rau­me Zeit si­cher war, die Weit­läu­fig­keit der An­stal­ten be­wies ja, dass es um eine Ar­beit von lan­ger Hand ging. Ich glau­be, dass ich in je­nen Ta­gen so et­was wie ein glück­li­cher Mensch ge­we­sen bin. Werk und Le­ben la­gen in mei­ner ei­ge­nen Hand. Ich sah mein Buch mit den Zeich­nun­gen Alt­ho­fens ge­schmückt, un­ser Buch, schon fer­tig als ein Ge­schenk an das deut­sche Volk, ein will­kom­me­nes, not­wen­di­ges, wie ich hoff­te, weil es ei­nem ho­hen Kul­tur­zweck zu die­nen hat­te und weil es et­was ihm Ähn­li­ches zur Zeit nicht gab. Ich dach­te es mir in den Hän­den al­ler nor­di­schen Rei­sen­den, die fort­an über die Al­pen kom­men und aus die­sem Werk den Ein­blick in das un­sicht­ba­re Flo­renz schöp­fen wür­den. Und schließ­lich dach­te ich es mir als Brücke, auf der ich doch frü­her oder spä­ter ins Va­ter­land zu­rück­keh­ren wür­de, nicht in ge­drück­ter, un­ter­ge­ord­ne­ter Stel­lung son­dern als eine, die et­was ge­leis­tet hat und sich se­hen las­sen konn­te. Ich war da­mals ge­wiss die al­ler­zu­kunfts­reichs­te Eier­frau land­auf land­ab; kein Ge­dan­ke,

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