Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Auch hier konnte ich nicht ab ovo beginnen und in der geraden Reihenfolge weitergehen, sondern ein heller Mittelpunkt, der zuerst meine Augen anzog, Lorenzo de’ Medici, den sie, das Wort magnifico missverstehend, den Prächtigen nennen – er war prächtig, aber der Beiname meinte anderes –, sandte seine Strahlen nach allen Seiten. Er zog zunächst nach rückwärts hinstrahlend seine Vorfahren und die Vorgeschichte seines Hauses samt ihren gestürzten Mitbewerbern in den Kreis. Dann belichtete dieses leuchtende Zentrum seine Zeitgenossen, die Freunde und Feinde, die Familienglieder, den mediceischen Künstler und Dichterkreis, eine sich immer weitende Welt, alles von dem Gestirn erster Größe Lorenzo in seinen wechselnden Aspekten überstrahlt. Aber auch sein Gegenspieler Savonarola, mir bis dahin nur ein Name, erschien und forderte sein Recht. »Ein mönchisches Scheusal« hatte ihn Goethe genannt; das war fast alles, was ich von ihm wusste; eine erschütternde Gewissensmacht, die sich totlief, kam zutage. Diese Gestalt wiederum deutete nach Rom und in die Kloake der Borgia hinein. So wurde der geschichtliche Umkreis immer größer. Da war einer, ein Junger, in dessen Liebenswürdigkeit und Anmut ich mich schlechterdings verliebte, der schöne Giuliano, Lorenzos Bruder, der im Dom als das Opfer der Verschwörung der Pazzi fiel, wieder eine der frühsterbenden Jünglingsgestalten, die es mir schon in der Kindheit angetan hatten. Ich sah die Frau seiner Liebe, die schöne Simonetta, im offenen Sarg zu Grabe tragen und berauschte mich an dem Wohlklang der lateinischen Verse, die der Poliziano auf ihren Tod gedichtet hat. Das führte mich wieder auf die lateinische Sprache hin, die mir seit dem Wegzug meines Freundes Mohl aus Tübingen, weil ich sie nicht übte, schon fast entglitten war. So zogen die florentinischen Studien immer weitere Kreise und nahmen mehr und mehr von mir Besitz. Und weil das Pflaster, worauf ich trat, noch dasselbe war, über das jene Menschen einst wandelten, und die Stadt ihr Gesicht noch nicht allzusehr verändert hatte, brauchte man nur die inneren Augen zu öffnen, um sie noch in ihrem alten Rahmen zu sehen. Diese Längstverstorbenen wurden für mich lebendiger als das meiste, was sich um mich her bewegte: sie hatten mit mir die eine große Liebe gemein, die ich in solcher Stärke nie bei Mitlebenden gefunden hatte: die Liebe zu Hellas, dem sie die Auferstehung bereiteten. Hellas war das Kennwort, an dem wir uns augenblicks zusammenfanden, die Lebende mit den Toten die nicht sterben. Die Opfer an Gut und Leben, die nach dem Sturze von Konstantinopel von den Italienern für die Rettung und Erhaltung der Schätze des griechischen Geistes gebracht wurden, gaben ihnen wohl das Recht, sich für die Erben dieses Geistes zu erklären, wenn sie auch nicht die einzigen waren.
Freilich steckte auch diese strahlende Welt, die mich berauschte, voll von menschlichen Übeln, von Gewalttat und Verbrechen, es waren die Kehrseiten der großen Taten in Kunst und Wissenschaft; freilich musste auch hier der Genius an die Tür der Großen klopfen um sein Brot, aber der Genius war naiv und schämte sich nicht und zweifelte nicht an der Weltordnung, die solches wollte, und die Großen wussten, was sie an ihm besaßen, wenn sie nicht gar wie Lorenzo selber oder Pico von Mirandola zu den Genien gehörten. Das Schöne lag in der wunderbaren Einheit, in dem Gemeinsinn, der die Züge dieser einzigen Stadt geprägt hatte, dass sie sich wie Familienzüge in jedem größten und kleinsten ihrer Gebilde wiederfanden.
Ich bin mit diesem Bericht meinen Ergebnissen zeitlich vorausgeeilt, denn es war eine lange Strecke, die ich da ohne Wink und Führung zurückzulegen hatte. Allein der Boden war geebnet, die Form, die ich dem Stoff geben wollte, lag in meinem Inneren, und im unbegrenzten Glauben der Jugend an sich selbst blieb ich unbeirrt von jedem Zweifel am Gelingen.
Meine gute Mutter jubelte, weil sie meiner nun wieder für geraume Zeit sicher war, die Weitläufigkeit der Anstalten bewies ja, dass es um eine Arbeit von langer Hand ging. Ich glaube, dass ich in jenen Tagen so etwas wie ein glücklicher Mensch gewesen bin. Werk und Leben lagen in meiner eigenen Hand. Ich sah mein Buch mit den Zeichnungen Althofens geschmückt, unser Buch, schon fertig als ein Geschenk an das deutsche Volk, ein willkommenes, notwendiges, wie ich hoffte, weil es einem hohen Kulturzweck zu dienen hatte und weil es etwas ihm Ähnliches zur Zeit nicht gab. Ich dachte es mir in den Händen aller nordischen Reisenden, die fortan über die Alpen kommen und aus diesem Werk den Einblick in das unsichtbare Florenz schöpfen würden. Und schließlich dachte ich es mir als Brücke, auf der ich doch früher oder später ins Vaterland zurückkehren würde, nicht in gedrückter, untergeordneter Stellung sondern als eine, die etwas geleistet hat und sich sehen lassen konnte. Ich war damals gewiss die allerzukunftsreichste Eierfrau landauf landab; kein Gedanke,