Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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Im Lom­bar­di­schen und Pie­mon­te­si­schen moch­te es noch bes­ser sein, aber in dem kul­tu­r­al­ten Flo­renz, wo von je das Spöt­ter­tum zu Hau­se ge­we­sen, war mit dem Glau­ben an ein hö­he­res Le­ben auch der Wunsch dar­nach ge­schwun­den. Nur bei ar­men Leu­ten wie Bau­ern, Fi­schern, klei­nen Hand­wer­kern konn­te man noch ge­le­gent­lich auf Res­te der al­ten Flam­men sto­ßen. Denn der höchs­te Adel Ita­li­ens ist und bleibt das Volk, aus dem ja nun auch der große Staats­mann her­vor­ge­gan­gen ist, der die­se mor­sche Welt aus den An­geln he­ben und eine völ­lig neue da­für hin­stel­len soll­te. Es ist dar­um äu­ßerst ver­kehrt, mir vor­zu­wer­fen, wie schon ge­sche­hen ist, dass ich die Ita­lie­ner nach ih­ren nie­de­ren Schich­ten be­ur­teil­te: mir scheint, man kön­ne ei­ner Na­ti­on kei­ne schö­ne­re Ge­rech­tig­keit er­wei­sen, als wenn man sie nach de­nen be­ur­teilt, die un­be­strit­ten ihre Bes­ten sind und die die Stam­mes­art am un­ver­fälsch­tes­ten be­wah­ren.

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      Von die­sen Din­gen hat­te ich frei­lich fast nur durch die po­li­ti­schen Ge­sprä­che in be­freun­de­ten Häu­sern Kennt­nis, wie bei Karl Hil­le­brand oder dem Mar­che­se Gu­er­rie­ri Gon­za­ga, ei­nem un­ent­weg­ten Po­li­ti­ker, Se­na­to­re del Re­gno und ehe­ma­li­gen Ga­ri­bal­di­ner, der eine Frank­fur­te­rin zur Frau und einen Fau­st­über­set­zer zum Bru­der hat­te und auch sel­ber deut­schem We­sen na­he­stand. Per­sön­lich emp­fand ich die öf­fent­li­chen Din­ge mehr durch den Luft­ge­halt, dem al­les Ozon fehl­te und der das ge­sell­schaft­li­che Le­ben auf die Län­ge im­mer un­ge­nieß­ba­rer mach­te.

      Frei­lich, ein Haus gab es in Flo­renz, das geis­tigs­te von al­len, das Hil­de­brand­sche, das mir im­mer gast­lich of­fen­stand und das mir, wie ich dank­bar wie­der­ho­le, ge­ra­de in der bild­sams­ten Zeit viel zu mei­nem Rei­fen gab. Auf dem glück­se­li­gen Sitz un­ter­halb Bel­los­guar­do, der ganz mit Wer­ken edels­ter Kunst, mit Vero­chi­os und Do­na­tel­los und mit des Künst­lers ei­ge­nen in Plas­tik und Ma­le­rei ge­füllt war, in ei­ner Wei­se ge­füllt, die nichts Mu­se­u­mar­ti­ges an sich hat­te, son­dern die­se Ge­bil­de gleich­sam in das Le­ben ein­be­zog – in die­sem Haus der Freu­de, in­mit­ten ei­ner im­mer schen­ken­den Na­tur, habe ich mich mehr als ein­mal von dem Druck, der in den letz­ten Jah­ren vor Bal­des Tod auf dem uns­ri­gen las­te­te, für acht bis zehn Tage er­ho­len dür­fen. Aber ge­ra­de dort hat­te sich das Ge­nuss­le­ben – die­ses Wort in sei­nem hö­he­ren Sinn ge­nom­men – mit ei­nem phi­lo­so­phi­schen He­do­nis­mus zu sol­cher Un­wi­der­steh­lich­keit zu­sam­men­ge­schlos­sen, dass der Glück­li­che als der ein­zig wah­re Mensch er­schi­en: wen Kum­mer oder Miss­ge­schick ge­trof­fen hat­te, der fühl­te sich von ei­nem Ma­kel ge­zeich­net, den er ver­ber­gen muss­te, so ganz war aus der Ge­gen­wart der Schick­sal­lo­sen, im­mer Un­ge­trüb­ten die Erin­ne­rung an Kampf und Not, an Schwä­che und Krank­heit, an Lei­den und Ster­ben ver­bannt. Nicht aus Äs­the­ten­tum, son­dern aus Üb­er­fül­le des Le­bens, das nichts als sich sel­ber kann­te. Eine Ju­gend­freun­din von mir mach­te ein­mal auf San Fran­ces­co Be­such mit der Ab­sicht, in dem Künst­ler­haus das Bild ih­res ein­zi­gen zar­ten Kind­chens zu zei­gen; als sie aber ne­ben der üp­pig pran­gen­den Her­rin des Hau­ses auf dem Di­van saß und ein Heer ur­ge­sun­der Hil­de­brand­scher Spröß­lin­ge um sie her ku­gel­te, ver­lor sie den Mut und kehr­te be­drückt nach Hau­se mit dem un­ge­zeig­ten Bild­chen in der Ta­sche. Ich er­zähl­te Hil­de­brand das klei­ne Be­geb­nis, da mein­te der Künst­ler, der al­les von der künst­le­ri­schen Sei­te sah, mit Lä­cheln, das gäbe ein wirk­sa­mes no­vel­lis­ti­sches Mo­tiv. –So strah­lend sich das Glück der Gast­freun­de an­sah, ich sel­ber hät­te nicht in sol­chem stän­di­gen Evoë! zu le­ben ver­mocht, noch hät­te ich mir die Nacht­sei­te des Le­bens rau­ben las­sen kön­nen, die mir so schön war wie der ewig­hel­le, lan­ge Hil­de­brand­sche Tag.

      Es ist eine große Pein, mit­ten in blü­hen­der Kraft sich un­nütz zu füh­len. Vor­über­ge­hend ist es wohl den meis­ten in der wei­chen ent­span­nen­den Luft des Sü­dens so ge­gan­gen, die den Ein­la­dun­gen der Zau­be­rin ge­folgt wa­ren, ohne durch eine fes­te Auf­ga­be ge­bun­den zu sein. Ich habe in mei­ner »Stil­len Kö­ni­gin« den Zu­stand je­ner »Lo­to­pha­gen«, wie ich sie nann­te, ge­schil­dert, zu­meist nor­di­sche Künst­ler, die ent­mu­tigt von dem täg­li­chen An­blick ei­ner seit Jahr­hun­der­ten fer­ti­gen, un­über­biet­bar voll­kom­me­nen Kul­tur, ohne den Sporn der ei­ge­nen Zeit- und Hei­mat­ge­nos­sen und gleich­sam un­ter dem Spott der großen schöp­fe­ri­schen To­ten von der Ta­ten­lo­sig­keit wie von ei­nem sau­gen­den Moor all­mäh­lich hin­ab­ge­zo­gen wur­den. Ich konn­te nicht ein­mal die Bil­dungs­mög­lich­kei­ten rich­tig aus­nüt­zen, die mir der neue Bo­den gab. Dem weib­li­chen Ge­schlecht war dort wie in Deutsch­land jede hö­he­re Lehr­an­stalt ver­schlos­sen. Noch tiefer als bei uns, bei­na­he ori­en­ta­lisch tief, stand zu je­ner Zeit in Ita­li­en die Frau, nur dass sie nicht durch wis­sen­schaft­li­che Lehr­sät­ze, son­dern al­lein durch den Brauch her­ab­ge­drückt war, denn un­be­fan­ge­ner als der Deut­sche gab der Ita­lie­ner den geis­ti­gen Aus­nah­men ihr Recht. Das moch­te noch der Nach­glanz je­ner großen Frau­en der Re­naissance be­wir­ken, die wohl dem Ba­cho­fen­schen Ide­al gleich­ge­kom­men wä­ren, hät­te ih­nen nicht männ­li­cher Be­sitz­trieb, männ­li­che Ei­fer­sucht je­den Ver­such zur Selbst­ver­fü­gung mit Dolch und Gift ge­wehrt. Wenn ich mich auch den Lan­des­be­grif­fen nicht un­ter­zu­ord­nen brauch­te, be­schränk­ten doch schon die Le­bens­ein­rich­tun­gen mei­ne Be­we­gungs­frei­heit. Es war un­denk­bar für ein jun­ges Mäd­chen, al­lein ins Thea­ter zu ge­hen und un­be­glei­tet den Heim­weg durch die nacht­dunklen Stra­ßen zu ma­chen, denn die Vor­stel­lun­gen be­gan­nen erst ge­gen zehn Uhr und dau­er­ten tief in die Nach­mit­ter­nacht hin­ein. Ed­gars Jung­ge­sel­len­na­tur hat­te al­les für sich al­lein, auch den Men­schen­kreis mit dem er leb­te und die Aben­de au­ßer dem Haus, er kam für Rit­ter­diens­te nicht in Be­tracht. Je­des Mal einen Wa­gen be­stel­len war zu kost­spie­lig, also muss­te ich se­hen mich mit Be­kann­ten zu ver­ab­re­den, die den glei­chen Heim­weg hat­ten, wozu sich nicht leicht Ge­le­gen­heit er­gab. Frei­lich wenn dann ein Tom­ma­so Sal­vi­ni auf den Bret­tern stand, so war auch et­was zu er­le­ben, was mit so be­zwin­gen­der Macht in der gan­zen Welt nicht wie­der vor­kam. Die großen Au­gen­bli­cke der ita­lie­ni­schen Schau­spiel­kunst, de­nen ich an­woh­nen durf­te, blü­hen un­ver­welklich in mei­ner See­le wei­ter.

      Hät­te nur die Licht­heit mei­nes Äu­ße­ren nicht so auf­fal­lend ge­wirkt, das die Gaf­fer auf Stra­ßen­wei­te an­zog. Ich konn­te nicht un­ge­stört eine Kir­chen- oder Palast­fassa­de be­trach­ten, weil ich gleich von ei­nem Schwarm von Mü­ßig­gän­gern um­ringt war, der mich an­starr­te wie eine Er­schei­nung und mit mir zog, zu­wei­len bis vor mein Haus. Das hin­der­te mich so­gar, die Stadt gründ­lich ken­nen­zu­ler­nen. Oft flüch­te­te ich in einen La­den und stand dort lan­ge wäh­lend her­um, bis ir­gend­ei­ne un­lieb­sa­me Beglei­tung sich ver­zo­gen hat­te. Es ka­men Au­gen­bli­cke, wo ich mir wünsch­te, end­lich alt zu sein, weil mir mei­ne Ju­gend ja doch kein Glück brach­te, und mich we­nigs­tens da­für frei be­we­gen zu kön­nen. Ich be­gann am Ende das Licht des Sü­dens zu has­sen, die­ses un­er­bitt­lich strah­len­de, das nach Men­schen­ge­schick nicht fragt und mir so­gar das Leid aus der See­le

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