Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Von diesen Dingen hatte ich freilich fast nur durch die politischen Gespräche in befreundeten Häusern Kenntnis, wie bei Karl Hillebrand oder dem Marchese Guerrieri Gonzaga, einem unentwegten Politiker, Senatore del Regno und ehemaligen Garibaldiner, der eine Frankfurterin zur Frau und einen Faustübersetzer zum Bruder hatte und auch selber deutschem Wesen nahestand. Persönlich empfand ich die öffentlichen Dinge mehr durch den Luftgehalt, dem alles Ozon fehlte und der das gesellschaftliche Leben auf die Länge immer ungenießbarer machte.
Freilich, ein Haus gab es in Florenz, das geistigste von allen, das Hildebrandsche, das mir immer gastlich offenstand und das mir, wie ich dankbar wiederhole, gerade in der bildsamsten Zeit viel zu meinem Reifen gab. Auf dem glückseligen Sitz unterhalb Bellosguardo, der ganz mit Werken edelster Kunst, mit Verochios und Donatellos und mit des Künstlers eigenen in Plastik und Malerei gefüllt war, in einer Weise gefüllt, die nichts Museumartiges an sich hatte, sondern diese Gebilde gleichsam in das Leben einbezog – in diesem Haus der Freude, inmitten einer immer schenkenden Natur, habe ich mich mehr als einmal von dem Druck, der in den letzten Jahren vor Baldes Tod auf dem unsrigen lastete, für acht bis zehn Tage erholen dürfen. Aber gerade dort hatte sich das Genussleben – dieses Wort in seinem höheren Sinn genommen – mit einem philosophischen Hedonismus zu solcher Unwiderstehlichkeit zusammengeschlossen, dass der Glückliche als der einzig wahre Mensch erschien: wen Kummer oder Missgeschick getroffen hatte, der fühlte sich von einem Makel gezeichnet, den er verbergen musste, so ganz war aus der Gegenwart der Schicksallosen, immer Ungetrübten die Erinnerung an Kampf und Not, an Schwäche und Krankheit, an Leiden und Sterben verbannt. Nicht aus Ästhetentum, sondern aus Überfülle des Lebens, das nichts als sich selber kannte. Eine Jugendfreundin von mir machte einmal auf San Francesco Besuch mit der Absicht, in dem Künstlerhaus das Bild ihres einzigen zarten Kindchens zu zeigen; als sie aber neben der üppig prangenden Herrin des Hauses auf dem Divan saß und ein Heer urgesunder Hildebrandscher Sprößlinge um sie her kugelte, verlor sie den Mut und kehrte bedrückt nach Hause mit dem ungezeigten Bildchen in der Tasche. Ich erzählte Hildebrand das kleine Begebnis, da meinte der Künstler, der alles von der künstlerischen Seite sah, mit Lächeln, das gäbe ein wirksames novellistisches Motiv. –So strahlend sich das Glück der Gastfreunde ansah, ich selber hätte nicht in solchem ständigen Evoë! zu leben vermocht, noch hätte ich mir die Nachtseite des Lebens rauben lassen können, die mir so schön war wie der ewighelle, lange Hildebrandsche Tag.
Es ist eine große Pein, mitten in blühender Kraft sich unnütz zu fühlen. Vorübergehend ist es wohl den meisten in der weichen entspannenden Luft des Südens so gegangen, die den Einladungen der Zauberin gefolgt waren, ohne durch eine feste Aufgabe gebunden zu sein. Ich habe in meiner »Stillen Königin« den Zustand jener »Lotophagen«, wie ich sie nannte, geschildert, zumeist nordische Künstler, die entmutigt von dem täglichen Anblick einer seit Jahrhunderten fertigen, unüberbietbar vollkommenen Kultur, ohne den Sporn der eigenen Zeit- und Heimatgenossen und gleichsam unter dem Spott der großen schöpferischen Toten von der Tatenlosigkeit wie von einem saugenden Moor allmählich hinabgezogen wurden. Ich konnte nicht einmal die Bildungsmöglichkeiten richtig ausnützen, die mir der neue Boden gab. Dem weiblichen Geschlecht war dort wie in Deutschland jede höhere Lehranstalt verschlossen. Noch tiefer als bei uns, beinahe orientalisch tief, stand zu jener Zeit in Italien die Frau, nur dass sie nicht durch wissenschaftliche Lehrsätze, sondern allein durch den Brauch herabgedrückt war, denn unbefangener als der Deutsche gab der Italiener den geistigen Ausnahmen ihr Recht. Das mochte noch der Nachglanz jener großen Frauen der Renaissance bewirken, die wohl dem Bachofenschen Ideal gleichgekommen wären, hätte ihnen nicht männlicher Besitztrieb, männliche Eifersucht jeden Versuch zur Selbstverfügung mit Dolch und Gift gewehrt. Wenn ich mich auch den Landesbegriffen nicht unterzuordnen brauchte, beschränkten doch schon die Lebenseinrichtungen meine Bewegungsfreiheit. Es war undenkbar für ein junges Mädchen, allein ins Theater zu gehen und unbegleitet den Heimweg durch die nachtdunklen Straßen zu machen, denn die Vorstellungen begannen erst gegen zehn Uhr und dauerten tief in die Nachmitternacht hinein. Edgars Junggesellennatur hatte alles für sich allein, auch den Menschenkreis mit dem er lebte und die Abende außer dem Haus, er kam für Ritterdienste nicht in Betracht. Jedes Mal einen Wagen bestellen war zu kostspielig, also musste ich sehen mich mit Bekannten zu verabreden, die den gleichen Heimweg hatten, wozu sich nicht leicht Gelegenheit ergab. Freilich wenn dann ein Tommaso Salvini auf den Brettern stand, so war auch etwas zu erleben, was mit so bezwingender Macht in der ganzen Welt nicht wieder vorkam. Die großen Augenblicke der italienischen Schauspielkunst, denen ich anwohnen durfte, blühen unverwelklich in meiner Seele weiter.
Hätte nur die Lichtheit meines Äußeren nicht so auffallend gewirkt, das die Gaffer auf Straßenweite anzog. Ich konnte nicht ungestört eine Kirchen- oder Palastfassade betrachten, weil ich gleich von einem Schwarm von Müßiggängern umringt war, der mich anstarrte wie eine Erscheinung und mit mir zog, zuweilen bis vor mein Haus. Das hinderte mich sogar, die Stadt gründlich kennenzulernen. Oft flüchtete ich in einen Laden und stand dort lange wählend herum, bis irgendeine unliebsame Begleitung sich verzogen hatte. Es kamen Augenblicke, wo ich mir wünschte, endlich alt zu sein, weil mir meine Jugend ja doch kein Glück brachte, und mich wenigstens dafür frei bewegen zu können. Ich begann am Ende das Licht des Südens zu hassen, dieses unerbittlich strahlende, das nach Menschengeschick nicht fragt und mir sogar das Leid aus der Seele