Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Es war ein ungewöhnlich schöner Herbst, solch ein Herbst des Südens, der ganz ohne Wehmut ist, weil er kein Sterben ansagt, sondern ein Wiederaufgrünen und Aufleuchten der Natur nach dem furchtbar sehrenden Sonnenbrand. Herrlich all die Fülle auf den Feldern und in den Vignen nach dem ersten Regen, und der freudige Fleiß der Menschen. In mir sprang ein neuer Liederquell hoch, leichte tändelnde Verse, von Mörike beeinflusst, aber mit eigenen, aus dem Leben geholten Motiven und eigener Bildersprache. Spätere Kritik hielt diese Rokokolyrik für mein erstes Gesicht, es war vielmehr die Absage an den hochgestelzten Charakter meiner wirklichen Anfänge, die mir in jener zweiten Phase höchlich zuwider waren, die ich mir aber heute eher nachsehen kann, weil sie kein wichtigtuerisches Wühlen in eingebildeten Schmerzen waren, sondern der Notausgang für viel stummes, festgepresstes Herzweh meiner ersten Jugend. Auf diese zweite Phase wirkte nun die Berührung mit dem Hildebrandschen Geiste, dem einzigen Lebenden, von dem ich mir bewusst bin, eine unmittelbare geistige Einwirkung erfahren zu haben, auch dem einzigen, mit dem ich künstlerische Erfahrungen tauschen konnte, obgleich oder weil seine ganz naiv-idyllische Richtung das gerade Gegenteil meiner eigenen war. Nicht nur, dass er alles Heroische ablehnte und was sich etwa mit Schillers Begriff des »Sentimentalischen« deckte; auch mit der gewaltigen Zentrifugalkraft Hölderlins hätte er nichts anzufangen gewusst, wenn ich etwa versucht gewesen wäre sie ihm nahezubringen, wovor mich schon meine Scheu vor dem vergeblichen Nennen geweihter Namen bewahrte. Mörike war unter den deutschen Dichtern sein Liebling, wie er der meines Vaters gewesen war; in seiner Mischung von Griechentum, Rokoko, ländlich derbem oder schalkhaftem Schwabentum mit einem drolligen Schuss Biedermeierei, die ohne literarisches Wärmhaus unmittelbar aus dem Boden der schwäbischen Heimat gestiegen kam, sah Hildebrand die duftendsten Blumen der deutschen Lyrik, und wer ihn hörte, gab ihm recht, nicht nur weil er recht hatte, sondern weil er zu denjenigen Menschen gehörte, deren Ansichten am schwersten zu widerstehen war: durch die bloße Strahlkraft seiner Gegenwart überzeugte er schon, bevor er gesprochen hatte. Seit der Bann der Unerlöstheit von mir abgefallen war, ließ ich mich gern von seiner Friedeseligkeit beeinflussen, soweit es die dunklen Fäden in meinem Lebensteppich erlaubten. Ganz unwillkürlich und unbewusst modelte er mir manches Schiefe weg, was durch die Schiefheit meiner früheren Lage in mich gekommen war, und machte mich dem Leben gegenüber unbefangener und vertrauender. Dass es kein Dichter, sondern ein Plastiker war, der an meinem künstlerischen Menschen mitgemodelt hat, das bewahrte mir die volle Freiheit auf meinem eigenen Boden. So wenig wie er in seinem Gebiet wusste ich in dem meinigen von Richtungen, Strömungen, »Ismen« aller Art, ich kam mit keinem Tagesgestirn in Berührung, das mich hätte in seine Bahn ziehen können, noch lief ich Gefahr, von einer der vielen literarischen Gemeinden eingesaugt zu werden, deren Dasein ich nicht einmal kannte. Also blieb ich allein, unabwendbar und vollkommen allein, ohne Vorgänger noch Hintermann, und sollte es mein Leben hindurch bleiben.
Nach der Abreise Althofens wurden die florentinischen Studien mit unvermindertem Eifer fortgesetzt. Winter und Sommer wanderte ich zur Bibliothek, wo ich an dem einzigen Damentisch fast immer allein saß und mich durch eine Unzahl von Wälzern hindurcharbeitete, während der Austausch über das gemeinsame Vorhaben mit dem abwesenden Teilhaber brieflich weiterging. Als er im Spätsommer sich wieder einstellte, waren die Vorarbeiten zu Stapeln aufgehäuft, und ein Kapitel über die Anfänge des Hauses Medici war auch fertig geschrieben. Wie wurde mir aber, als nun der Freund in meinem Arbeitszimmer neben mir sitzend, während ich ihm das Geschriebene vorlas, wie geistesabwesend mit dem Stift auf einem Blatt Papier italienische Prachtvillen zu zeichnen begann, unter einer tropischen Pflanzenfülle, die wuchs und wucherte und zuletzt den Bau wie ein drohendes Element umzüngelte, bis unten am Abschluss der Prunktreppe an Stelle der Blumenschale oder Steinfigur ein Totenkopf entstand, der die Züge des Zeichners trug. Dass mein entsetzter und empörter Aufschrei ihn erst zu sich zu bringen schien und er versicherte, ganz unbewusst gezeichnet zu haben, machte die Sache noch unheimlicher, obgleich ich ihm das nur halb glaubte. Auch im Vorjahr pflegte der Künstler unser Gespräch mit dem Stifte zu begleiten, aber da waren es anmutige Einfälle gewesen: Fruchtgewinde über Prunkportalen, schwankende Blumenketten von Amoretten getragen, spielerisch wie meine leichten Verse aus dem gleichen schönen Herbst. Auch seine Briefe waren manchmal nur ornamentale Fantasien über irgendein angeschlagenes Thema. Und jetzt an Stelle der liebenswürdigen Gewohnheit diese schaurige Spielerei. Aus der charaktervollen Schönheit seines Kopfes hatte er mit dem scharfen Künstlerauge die Umrisse des Schädels herausgeholt und gefiel sich darin, sie in immer neuer Anwendung abzuwandeln, denn immer wieder kam in landschaftlichen oder dekorativen Zeichnungen irgendwo im innersten Geschlinge und ebenso in der Namensunterschrift, wenn auch noch so klein, ein Totenkopf – der seine – zum Vorschein. Auch die Sucht, alles Traurige und Unheimliche, was es geben konnte, sich selber zuzueignen, bei jeder Gelegenheit mit dem Schicksal zu würfeln, wie um schlimmeren inneren Gefahren zu entgehen; der Hang, sich in zwei Personen zu spalten und sich diebisch zu freuen, wenn die Umgebung nicht mehr wusste, wen sie vor sich hatte, bis er sich mit wildem Lachen die Maske wieder abriss, das alles führte in ein Wirrnis zwischen Wahn und Wirklichkeit hinein, aus dem kein Ausweg war und das die Zusammenarbeit zum Anlass steter Beunruhigung machte. Zwar wirkte der künstlerische Ernst und der strenge Fleiß immer wieder versöhnend und gab Hoffnung, dass die Verstörung sich legen werde, aber schon am nächsten Tag waren alle Beschwichtigungen zunichte. »Wen ich einmal mir besitze, dem ist alle Welt nichts nütze.« Da ich bemerkte, dass der wilde Gast sich in Männergegenwart weniger gehenließ und leichter über seine selbstzerstörerischen