Gesammelte Werke. Isolde Kurz

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Isolde Kurz страница 183

Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

Скачать книгу

Plät­ze und Win­kel ab­ge­sucht, an de­nen ir­gend­ein wich­ti­ges Ge­scheh­nis hing, wo­von ein bild­li­ches Erin­ne­rungs­zei­chen in ab­ge­kürz­ter Form dem Text ein­ge­fügt wer­den soll­te. In Ga­le­ri­en und Kir­chen ging man den Bild­nis­sen je­ner Gro­ßen nach, die Mu­seen be­wahr­ten Mün­zen, die auf die­ses oder je­nes denk­wür­di­ge Er­eig­nis ge­schla­gen wor­den wa­ren; über­all die Zeu­gen ei­ner un­er­hör­ten Ver­gan­gen­heit, zahl­reich wie die Ster­ne am Him­mel! Das war so an­re­gend, dass auch der schwarz­se­he­ri­sche Teil­ha­ber von mei­ner Be­geis­te­rung mit­be­rührt wur­de und abließ mit Ge­s­pens­tern her­um­zu­fech­ten. Man konn­te für ihn hof­fen, dass er die le­bens­wid­ri­ge Welt­ver­nei­nung noch wie einen auf­ge­le­se­nen un­nüt­zen Bal­last von sich tun wer­de.

      Es war ein un­ge­wöhn­lich schö­ner Herbst, solch ein Herbst des Sü­dens, der ganz ohne Weh­mut ist, weil er kein Ster­ben an­sagt, son­dern ein Wie­der­auf­grü­nen und Auf­leuch­ten der Na­tur nach dem furcht­bar seh­ren­den Son­nen­brand. Herr­lich all die Fül­le auf den Fel­dern und in den Vig­nen nach dem ers­ten Re­gen, und der freu­di­ge Fleiß der Men­schen. In mir sprang ein neu­er Lie­der­quell hoch, leich­te tän­deln­de Ver­se, von Mö­ri­ke be­ein­flusst, aber mit ei­ge­nen, aus dem Le­ben ge­hol­ten Mo­ti­ven und ei­ge­ner Bil­der­spra­che. Spä­te­re Kri­tik hielt die­se Ro­ko­ko­ly­rik für mein ers­tes Ge­sicht, es war viel­mehr die Ab­sa­ge an den hoch­ge­stelz­ten Cha­rak­ter mei­ner wirk­li­chen An­fän­ge, die mir in je­ner zwei­ten Pha­se höch­lich zu­wi­der wa­ren, die ich mir aber heu­te eher nach­se­hen kann, weil sie kein wich­tig­tue­ri­sches Wüh­len in ein­ge­bil­de­ten Schmer­zen wa­ren, son­dern der Not­aus­gang für viel stum­mes, fest­ge­press­tes Herzweh mei­ner ers­ten Ju­gend. Auf die­se zwei­te Pha­se wirk­te nun die Berüh­rung mit dem Hil­de­brand­schen Geis­te, dem ein­zi­gen Le­ben­den, von dem ich mir be­wusst bin, eine un­mit­tel­ba­re geis­ti­ge Ein­wir­kung er­fah­ren zu ha­ben, auch dem ein­zi­gen, mit dem ich künst­le­ri­sche Er­fah­run­gen tau­schen konn­te, ob­gleich oder weil sei­ne ganz naiv-idyl­li­sche Rich­tung das ge­ra­de Ge­gen­teil mei­ner ei­ge­nen war. Nicht nur, dass er al­les He­ro­i­sche ab­lehn­te und was sich etwa mit Schil­lers Be­griff des »Sen­ti­men­ta­li­schen« deck­te; auch mit der ge­wal­ti­gen Zen­tri­fu­gal­kraft Höl­der­lins hät­te er nichts an­zu­fan­gen ge­wusst, wenn ich etwa ver­sucht ge­we­sen wäre sie ihm na­he­zu­brin­gen, wo­vor mich schon mei­ne Scheu vor dem ver­geb­li­chen Nen­nen ge­weih­ter Na­men be­wahr­te. Mö­ri­ke war un­ter den deut­schen Dich­tern sein Lieb­ling, wie er der mei­nes Va­ters ge­we­sen war; in sei­ner Mi­schung von Grie­chen­tum, Ro­ko­ko, länd­lich der­bem oder schalk­haf­tem Schwa­ben­tum mit ei­nem drol­li­gen Schuss Bie­der­meie­rei, die ohne li­te­ra­ri­sches Wärm­haus un­mit­tel­bar aus dem Bo­den der schwä­bi­schen Hei­mat ge­stie­gen kam, sah Hil­de­brand die duf­tends­ten Blu­men der deut­schen Ly­rik, und wer ihn hör­te, gab ihm recht, nicht nur weil er recht hat­te, son­dern weil er zu den­je­ni­gen Men­schen ge­hör­te, de­ren An­sich­ten am schwers­ten zu wi­der­ste­hen war: durch die blo­ße Strahl­kraft sei­ner Ge­gen­wart über­zeug­te er schon, be­vor er ge­spro­chen hat­te. Seit der Bann der Uner­löst­heit von mir ab­ge­fal­len war, ließ ich mich gern von sei­ner Frie­de­se­lig­keit be­ein­flus­sen, so­weit es die dunklen Fä­den in mei­nem Le­bens­tep­pich er­laub­ten. Ganz un­will­kür­lich und un­be­wusst mo­del­te er mir man­ches Schie­fe weg, was durch die Schief­heit mei­ner frü­he­ren Lage in mich ge­kom­men war, und mach­te mich dem Le­ben ge­gen­über un­be­fan­ge­ner und ver­trau­en­der. Dass es kein Dich­ter, son­dern ein Plas­ti­ker war, der an mei­nem künst­le­ri­schen Men­schen mit­ge­mo­delt hat, das be­wahr­te mir die vol­le Frei­heit auf mei­nem ei­ge­nen Bo­den. So we­nig wie er in sei­nem Ge­biet wuss­te ich in dem mei­ni­gen von Rich­tun­gen, Strö­mun­gen, »Is­men« al­ler Art, ich kam mit kei­nem Ta­ges­ge­stirn in Berüh­rung, das mich hät­te in sei­ne Bahn zie­hen kön­nen, noch lief ich Ge­fahr, von ei­ner der vie­len li­te­ra­ri­schen Ge­mein­den ein­ge­saugt zu wer­den, de­ren Da­sein ich nicht ein­mal kann­te. Also blieb ich al­lein, un­ab­wend­bar und voll­kom­men al­lein, ohne Vor­gän­ger noch Hin­ter­mann, und soll­te es mein Le­ben hin­durch blei­ben.

      Nach der Abrei­se Alt­ho­fens wur­den die flo­ren­ti­ni­schen Stu­di­en mit un­ver­min­der­tem Ei­fer fort­ge­setzt. Win­ter und Som­mer wan­der­te ich zur Biblio­thek, wo ich an dem ein­zi­gen Da­men­tisch fast im­mer al­lein saß und mich durch eine Un­zahl von Wäl­zern hin­durch­ar­bei­te­te, wäh­rend der Aus­tausch über das ge­mein­sa­me Vor­ha­ben mit dem ab­we­sen­den Teil­ha­ber brief­lich wei­ter­ging. Als er im Spät­som­mer sich wie­der ein­stell­te, wa­ren die Vor­ar­bei­ten zu Sta­peln auf­ge­häuft, und ein Ka­pi­tel über die An­fän­ge des Hau­ses Me­di­ci war auch fer­tig ge­schrie­ben. Wie wur­de mir aber, als nun der Freund in mei­nem Ar­beits­zim­mer ne­ben mir sit­zend, wäh­rend ich ihm das Ge­schrie­be­ne vor­las, wie geis­tes­ab­we­send mit dem Stift auf ei­nem Blatt Pa­pier ita­lie­ni­sche Pracht­vil­len zu zeich­nen be­gann, un­ter ei­ner tro­pi­schen Pflan­zen­fül­le, die wuchs und wu­cher­te und zu­letzt den Bau wie ein dro­hen­des Ele­ment um­zün­gel­te, bis un­ten am Ab­schluss der Prunkt­rep­pe an Stel­le der Blu­men­scha­le oder Stein­fi­gur ein To­ten­kopf ent­stand, der die Züge des Zeich­ners trug. Dass mein ent­setz­ter und em­pör­ter Auf­schrei ihn erst zu sich zu brin­gen schi­en und er ver­si­cher­te, ganz un­be­wusst ge­zeich­net zu ha­ben, mach­te die Sa­che noch un­heim­li­cher, ob­gleich ich ihm das nur halb glaub­te. Auch im Vor­jahr pfleg­te der Künst­ler un­ser Ge­spräch mit dem Stif­te zu be­glei­ten, aber da wa­ren es an­mu­ti­ge Ein­fäl­le ge­we­sen: Frucht­ge­win­de über Prunk­por­ta­len, schwan­ken­de Blu­men­ket­ten von Amo­ret­ten ge­tra­gen, spie­le­risch wie mei­ne leich­ten Ver­se aus dem glei­chen schö­nen Herbst. Auch sei­ne Brie­fe wa­ren manch­mal nur or­na­men­ta­le Fan­tasi­en über ir­gend­ein an­ge­schla­ge­nes The­ma. Und jetzt an Stel­le der lie­bens­wür­di­gen Ge­wohn­heit die­se schau­ri­ge Spie­le­rei. Aus der cha­rak­ter­vol­len Schön­heit sei­nes Kop­fes hat­te er mit dem schar­fen Künst­ler­au­ge die Um­ris­se des Schä­dels her­aus­ge­holt und ge­fiel sich dar­in, sie in im­mer neu­er An­wen­dung ab­zu­wan­deln, denn im­mer wie­der kam in land­schaft­li­chen oder de­ko­ra­ti­ven Zeich­nun­gen ir­gend­wo im in­ners­ten Ge­schlin­ge und eben­so in der Na­mens­un­ter­schrift, wenn auch noch so klein, ein To­ten­kopf – der sei­ne – zum Vor­schein. Auch die Sucht, al­les Trau­ri­ge und Un­heim­li­che, was es ge­ben konn­te, sich sel­ber zu­zu­eig­nen, bei je­der Ge­le­gen­heit mit dem Schick­sal zu wür­feln, wie um schlim­me­ren in­ne­ren Ge­fah­ren zu ent­ge­hen; der Hang, sich in zwei Per­so­nen zu spal­ten und sich die­bisch zu freu­en, wenn die Um­ge­bung nicht mehr wuss­te, wen sie vor sich hat­te, bis er sich mit wil­dem La­chen die Mas­ke wie­der ab­riss, das al­les führ­te in ein Wirr­nis zwi­schen Wahn und Wirk­lich­keit hin­ein, aus dem kein Aus­weg war und das die Zu­sam­men­ar­beit zum An­lass ste­ter Beun­ru­hi­gung mach­te. Zwar wirk­te der künst­le­ri­sche Ernst und der stren­ge Fleiß im­mer wie­der ver­söh­nend und gab Hoff­nung, dass die Ver­stö­rung sich le­gen wer­de, aber schon am nächs­ten Tag wa­ren alle Be­schwich­ti­gun­gen zu­nich­te. »Wen ich ein­mal mir be­sit­ze, dem ist alle Welt nichts nüt­ze.« Da ich be­merk­te, dass der wil­de Gast sich in Männer­ge­gen­wart we­ni­ger ge­hen­ließ und leich­ter über sei­ne selbst­zer­stö­re­ri­schen

Скачать книгу