Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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ich dich. Ich nahm ihn auf, und ob ich woll­te oder nicht, ich muss­te den schwe­ren Jun­gen, der sich an­klam­mer­te und nicht mehr von mei­nem Arm her­un­ter­ging, die wei­te Stre­cke vom Ro­mi­to bis in die Via del­le Por­te nuo­ve durch den Staub und die Mü­dig­keit des hei­ßen Som­mer­abends tra­gen, wo­bei er im­mer­zu sei­ne Ver­si­che­rung er­neu­er­te, mir, wenn er groß sei, den Dienst er­wi­dern zu wol­len. Als ich ihn end­lich zu Hau­se ab­stell­te, schärf­te ich ihm ein, dass ich ihn ganz ge­wiss zu sei­ner Zeit an die­ses Ver­spre­chen mah­nen wür­de!

      Als er her­an­zu­wach­sen be­gann und nun die Schul­ta­ge ka­men – jene Tage, von de­nen es bei ihm hieß: sie ge­fal­len mir nicht –, da leg­te un­ser Tho­le vor­erst gar kei­ne Ehre ein. In der deut­schen Schu­le von Flo­renz lern­te er nicht, streun­te her­um und gaff­te die Häu­ser an: dass er schon da­mals, so klein er war, die großen Kunst­denk­mä­ler, für die Kin­der sonst so früh kei­nen Sinn ha­ben, in sei­ne Vor­stel­lungs­welt auf­nahm, soll­te sich erst spä­ter er­wei­sen, zu­nächst be­un­ru­hig­ten sich die Freun­de des Hau­ses und dran­gen in mich den Va­ter zu war­nen; was soll­te denn ein­mal aus dem klei­nen Ta­ge­dieb wer­den? – Dies war die An­tritts­rol­le ei­nes Men­schen, der spä­ter nicht eine Mi­nu­te un­aus­genützt und un­aus­ge­kos­tet ließ, in­dem er die vier­und­zwan­zig Stun­den des Ta­ges durch Aus­deh­nung auf die dop­pel­te Zahl zu brin­gen wuss­te. Denn kaum wa­ren sei­ne El­tern mit ihm nach Mün­chen ge­zo­gen, um ihn dort in die stren­ge deut­sche Schul­ord­nung zu brin­gen, so er­wach­te in dem Kna­ben der bren­nen­de Ehr­geiz, der ihn durchs Le­ben füh­ren soll­te, »im­mer der Ers­te zu sein und vor­zu­stre­ben den an­dern«. Da­rin kam ihm nicht nur sei­ne star­ke Be­ga­bung und der rast­lo­se Ei­fer zu­stat­ten, son­dern auch der Vor­teil, dass er die Wei­te ei­ner schon in sich auf­ge­nom­me­nen ho­hen Kul­tur­welt in die en­gen Be­grif­fe der Schu­le mit­brach­te.

      Als Sech­zehn­jäh­ri­gen sah ich ihn bei ei­nem Be­such in Mün­chen wie­der, schön und schlank mit der schwin­gen­den Kraft sei­ner von der süd­li­chen Son­ne frü­he ge­schmei­dig­ten und jetzt schon in al­ler Art von Sport ge­üb­ten Glie­der. Und da er­gab sich’s, dass ihn die Zia an die Er­fül­lung sei­nes kind­li­chen Ver­spre­chens mah­nen konn­te. Ich hat­te durch die Lö­sung ei­nes Preis­rät­sels ein fei­nes Da­men­fahr­rad ge­won­nen, und na­tür­lich wurm­te mich’s nun, dass ich nicht fah­ren konn­te, weil we­der die en­gen Stra­ßen noch die an­stei­gen­den Hö­hen von Flo­renz zum Fah­ren­ler­nen sehr ge­eig­net wa­ren. Ich nahm da­her das Fahr­rad auf die Rei­se mit, und in Bo­gen­hau­sen wo ich ein ab­ge­le­ge­nes Land­gut be­wohn­te, hat­te nun der Nef­fe als Fahr­leh­rer Ge­le­gen­heit, den in der Kind­heit emp­fan­ge­nen Dienst zu ver­gel­ten, denn bei der An­zie­hungs­kraft, die je­der ra­gen­de Ge­gen­stand, sei es Baum oder Pfos­ten, auf den Fahr­schü­ler übt, lag die Zia je­den Au­gen­blick samt dem Fahr­rad in sei­nen Ar­men. Was war da­mals schon für ein ge­wand­ter, weltof­fe­ner, in vie­len Sät­teln ge­rech­ter Mensch aus dem klei­nen fau­len Sch­lin­gel ge­wor­den!

      Nur ein­mal noch er­reg­te sei­ne Ent­wick­lung in der Fa­mi­lie Be­sorg­nis, als er aus dem Stu­di­um der Elek­tro­tech­nik plötz­lich in die Archi­tek­tur hin­über­wech­sel­te, was als ein Aus­druck in­ne­rer Un­si­cher­heit er­schi­en. Zum Glück war sein Va­ter ein­sich­tig ge­nug ihm nichts in den Weg zu le­gen, und es zeig­te sich, dass der Sohn sei­nen Be­ruf rich­tig er­kannt hat­te. Von da an war sein Weg durch vie­le Jah­re – man kann wohl sa­gen: ein fort­ge­setz­ter Sie­ges­lauf. Ich sehe ihn vor mir, wie er als blut­jun­ger Archi­tekt nach der ers­ten ge­won­ne­nen Preis­be­wer­bung mit ei­nem blü­ten­über­schüt­te­ten Ro­sen­stock zu sei­ner Mut­ter kam, um ihr an sei­nem ei­ge­nen Ge­burts­tag scherz­haft zu ei­nem sol­chen Sohn Glück zu wün­schen. Oft und oft hat­ten die be­glück­ten El­tern Ge­le­gen­heit, sol­che Glück­wün­sche von drit­ter Sei­te zu emp­fan­gen, bis Tho­les Ge­lin­gen zur Selbst­ver­ständ­lich­keit wur­de und man sich nur wun­der­te, wenn ihm ein­mal der Er­folg aus­blieb. Durch ein sel­te­nes Zu­sam­men­wir­ken von Be­ga­bung und Glück er­hielt er in jun­gen Jah­ren, ohne Gön­ner­schaft von oben, die be­deu­tends­ten Auf­trä­ge: eine er­staun­li­che Men­ge großer Wer­ke, wie Kir­chen, Schu­len, Vil­len, Häu­ser­grup­pen und lan­ge Stra­ßen­zei­len ent­ström­ten ne­ben den eben­so zahl­rei­chen, nicht zur Aus­füh­rung ge­lang­ten Preis­ent­wür­fen sei­ner über­rei­chen, im­mer­be­rei­ten Er­fin­dungs­kraft. An den von ihm und sei­nem Freund Her­bert ge­schaf­fe­nen Stra­ßen­zü­gen in Mün­chen fällt häu­fig bei der stren­gen Li­ni­en­füh­rung des mo­der­nen Bau­kör­pers eine ei­gen­ar­tig reiz­vol­le, an Gold­schmie­de­ar­beit er­in­nern­de Or­na­men­tik von leicht ge­schwun­ge­ner Gra­zie auf, die et­was ge­heim­nis­voll Sym­bol­haf­tes zu sa­gen scheint und wie ein per­sön­li­ches Sie­gel des Er­fin­ders wirkt. Sein Wahl­spruch: Mit Freu­den hin­durch! den er im Ex­li­bris führ­te, ent­sprach so recht der Ton­art sei­nes da­ma­li­gen Le­bens. Und wie glänz­te sei­ne schlan­ke, bieg­sa­me Er­schei­nung, die im­mer den Stem­pel sei­nes son­ni­gen Ge­burts­lan­des be­hielt, un­ter den schwe­re­ren Ka­me­ra­den. Ich sehe ihn noch vor mir als Tän­zer im en­gen schwar­zen Sei­den­ge­we­be und ro­tem um­ge­wun­de­nem Man­tel, zwei mäch­ti­ge Stier­hör­ner über der Stirn, wie er sich im fe­dern­den Schwung durch das Ge­wühl der Tan­zen­den schlingt. Und wie­der sehe ich ihn im nächt­li­chen Hoch­wald an der Isar beim Sonn­wend­fest, wie er als Ers­ter durch das noch kaum ge­sun­ke­ne Jo­han­nis­feu­er springt, eine jun­ge Part­ne­rin mit lang­flat­tern­dem Schlei­er mit sich durch die Glut hin­über­rei­ßend, denn wie hät­te er ei­nem an­de­ren den Vor­tritt ge­las­sen! Und wie er, so­bald nur die an­de­ren folg­ten, gleich mit zwei Beglei­te­rin­nen den Sieg­fried­sprung wie­der­hol­te. – Wenn er zum Leid­we­sen sei­ner Non­na noch im­mer nicht viel vom Tro­ja­ni­schen Krieg wuss­te, so sah man ihm auch die­ses nach, denn er er­in­ner­te sel­ber in dem Ve­rein von geis­ti­gen und leib­li­chen Ga­ben an das grie­chi­sche Jüng­lings­ide­al. In je­dem Wett­kampf muss­te er um den Preis rin­gen, sei es mit der Fül­le sei­ner künst­le­ri­schen Er­fin­dung, sei es mit der Schnel­lig­keit sei­nes »Fla­min­go«, wie er sein Se­gel­boot nann­te, das ihm lan­ge Zeit Jahr für Jahr einen Sieg in der Re­gat­ta brach­te.

      Uner­sätt­lich trank die­ser jun­ge Mensch das Le­ben und brann­te die Ker­ze an bei­den En­den mit noch stär­ke­rem Fie­ber als vor­dem sein On­kel Ed­gar: Ar­beit, ver­zeh­ren­de, nicht ras­ten­de Ar­beit und da­ne­ben die wir­beln­de Ge­sel­lig­keit; als ein­zi­ge Er­ho­lung die An­stren­gun­gen des Sports und der wei­ten, frucht­ba­ren aber ner­ven­auf­peit­schen­den Rei­sen, bei de­nen er sich so we­nig wie da­heim eine Ru­he­zeit gönn­te. Denn die frem­den Län­der muss­ten ihm al­les her­ge­ben, was sie ei­nem Geist wie die­sem zu ge­ben hat­ten. Die Welt lag im Feu­er­schein vor ihm, und so weit das Auge reich­te, war al­les sein, er trug es im Skiz­zen­buch, im Ko­dak, im nicht feh­len­den Ge­dächt­nis mit nach Hau­se. Nur für das Un­sicht­ba­re, das hin­ter den Din­gen steht, war in sei­ner An­la­ge kein Raum.

      In je­nen Jah­ren sa­hen wir uns sel­ten mehr, auch wenn wir ei­ne Stadt be­wohn­ten. »Frau Welt« hat­te ihn in den Arm ge­nom­men und lock­te ihn mit ih­ren Schein­bil­dern weg aus dem be­seel­te­ren Luft­kreis, dem er durch die Ge­burt an­ge­hör­te, man­cher­lei frem­de Züge der Über­sät­ti­gung und Un­lust in sein Ge­sicht und We­sen zeich­nend

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