Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Mich hatte er vom ersten Tag an verpflichtet durch die Gefälligkeit, womit er sich mir zum Führer in den Galerien und zu den Kunstaltertümern anbot, weil ich meine Zeit in Florenz noch gar nicht so recht in diesem Sinne genützt hatte. Mit dem Quattrocento hatte ich mich überhaupt noch abzufinden: nach der hohen Geste der Griechenkunst, wenn ich sie auch nur aus Abgüssen kannte, war es mir zu wirklichkeitsnahe, zu menschlich bürgerlich, um mich ganz tief anzusprechen. Auch pflegten mich die großen Galerien, wenn ich sie so unvorbereitet betrat, durch ihre Überfülle mehr zu verwirren als zu beglücken. Ich hatte also allen Grund, dem Hausgenossen für die Zeit, die er mir widmete, dankbar zu sein; er kürzte mir das Suchen ab und führte mich nur zum Besten, ließ mir auch die Zeit, dazwischen wieder im Freien zu Atem zu kommen, sodass mir von diesen Gängen der reine Gewinn, keine Übermüdung blieb. Wenn er an seinem Zeichentisch sitzend mich aus der Haustüre treten sah, schloss er sich häufig unerwartet an, und dann hatte er irgendeine Köstlichkeit im Auge, zu der er mich führen wollte. Mehr und Größeres wurde mir in den Folgejahren im Hildebrandschen Kreise geboten, wo ich das Entstehen des großen Kunstwerks miterlebte, seine Schwankungen und Wandlungen unter den Händen des Schaffenden, was dem wahren Wesen der Kunst näher brachte als jeder Anblick des Fertigen, unwiderleglich Gelungenen oder die kunsthistorische Betrachtung. Aber die ersten Einsichten dankte ich dem hypochondrischen Führer, und sie wären noch schöner gewesen, hätte nicht die Hypochondrie ab und zu fantastische Blasen heraufgetrieben, womit er sich und mir die schönsten Eindrücke verderben konnte. Es wurde viel zwischen uns über das Tages- und Nachtgesicht der Dinge gestritten; ich konnte es schlechterdings nicht begreifen, dass ein so von der Natur Begünstigter um jeden Preis unglücklich sein wollte. Ebensowenig wusste ich mit einer Philosophie anzufangen, die von vornherein die Freude leugnet und den Schmerz für den Normalzustand erklärt; wäre er das, wandte ich ein, so würden wir ja sein Dasein gar nicht spüren, wie ein mitgeborenes ständiges Zahnweh gar kein Zahnweh wäre. Vielmehr würde sein gelegentliches Aufhören befremdlich sein: dass wir uns gegen ihn stemmen, beweise ja schon, dass er als Eindringling und Störenfried komme. Aber natürlich war der Schüler Schopenhauers auf jede Einwendung vorbereitet und auf philosophischem Weg nicht zu bekehren. Dennoch schien er nicht ganz seinen Dämonen verfallen, denn in Stunden, wo er sich vergaß, zeigte er auch die Gabe, mit den Fröhlichen fröhlich zu sein.
Diesen Hausfreund holte sich meine Mutter heran, dass er ihr helfe, mir den Bürogedanken auszureden.
Der Aufgerufene ging mit Eifer ins Zeug, und es bedurfte wahrlich keiner großen Überredungskunst, um mir klarzumachen, was ich von Anfang an wusste, wenn ich es auch nicht wissen wollte: dass die angetragene Stellung für mich die denkbar falscheste war, weil mein wirkliches Können dabei gar keine Verwendung fände, während umgekehrt mir alle geforderten Fächer fehlten. Dass es völlig irrig sei, zu glauben, man könne nach einem geisttötenden Schreibstubentag noch Schwung und Frische für irgendein schöpferisches Tun übrig haben; wer diesen Rat gegeben, der habe ihn nie erprobt. Ich würde vielmehr nach wenigen Jahren solchen Frondienstes ein zermürbter und aufgebrauchter Mensch sein, dem die Flügel für immer gebrochen wären. Und was es denn in aller Welt für einen Sinn hätte, untergeordnete Dinge zu lernen und auszuüben, die andere ebenso gut und besser leisteten, dabei aber die natürlichen Anlagen und schon gelungenen Anfänge verkümmern zu lassen; die glücklich ausgebildet, auf die Höhe des Lebens führen konnten. Dies war alles ebenso unwiderleglich wie bedrückend, denn was mir fehlte, war ja eben das Sprungbrett, um zu jener höheren Tätigkeit zu gelangen. Jetzt aber trat der Berater mit einem Vorschlag hervor, der der ganzen Sache eine andere Wendung gab. Wir hatten schon wiederholt auf unseren Gängen bedauert, dass es keine gemeinverständlichen übersichtlichen Darstellungen der großen Tage von Florenz gebe, woraus der Reisende sich über die Entstehung der Dinge, die er vor Augen sah, und über die Geschicke des Bodens, über den er wandelte, leicht und fasslich im Zusammenhang unterrichten konnte. Man kannte allenfalls ein paar große Namen; das weitere war Wissen der Fachgelehrten. Von unseren heutigen zahllosen Reise-, Geschichts- und Kunst-Wegweisern mit ihren Bildbeigaben wusste man noch nichts, es fehlte ja auch bei dem damaligen Stande der Lichtbildkunst die Möglichkeit einer mechanischen Wiedergabe der Kunstwerke. Noch kürzlich hatte mich ein durchreisender deutscher Freund gefragt, wer denn eigentlich diese Mediceer gewesen seien, von denen so viel Aufhebens gemacht würde, und ich hatte keine klare Antwort zu geben gewusst. Denn wenn ich den Namen Medici hörte, sah ich nur im Geiste einen großen Glanz aber keine bestimmten Züge. Die deutschen Künstler, die unseren vorzüglichsten Umgang bildeten, vorab die zwei Größen, Böcklin und Hildebrand, hatten keinen Sinn für die Vergangenheit, und Kunstgeschichte lehnten sie wie alles Theoretische ab; als Führer in Kunstdingen sollte jedem das eigene Auge genügen. Unter diesem Einflusse stehend, hatte auch ich mein Nichtwissen bisher mit der größten Unschuld getragen.
In diese Lücke, so war nun der Vorschlag, sollten wir zwei mit einem gemeinschaftlichen Werke treten. Mir fiel es zu, die einschlägigen Studien zu machen und die Texte zu schreiben, er wollte den grafischen Teil dazu liefern: Bildnisköpfe nach alten Gemälden, Vignetten mit Palastfronten, ausdrucksvollen Straßenecken und ähnliches. Außerdem übernahm er es, in Deutschland den Verleger zu suchen. Ich ging mit Begeisterung auf den Plan ein. Es war wie ein Wunder: endlich war mein Weg zu mir gekommen! Das Bürofräulein meldete sich ab, und mit unerhörtem Glanze stieg die florentinische Renaissance vor meinem inneren Auge empor. Mein Mütterlein, hochbeglückt und immer großartig bei ihren winzigen Mitteln, schenkte mir die damals noch sehr kostspielige zweibändige »Kultur der Renaissance« von Jacob Burckhardt, die Althofen als Einführung in den Geist der Zeit mit den höchsten Worten pries und die mir schnell zum unschätzbaren Besitz wurde.
Nachträglich muss ich mich verwundern, wie ich mich so unvorbereitet in die Aufgabe stürzen konnte, ohne die Spur einer Besorgnis, darin zu scheitern. Die Zuversicht war der Ausfluss meiner Unkenntnis. Goethe bekennt, dass er sich nicht an den Iphigenienstoff gewagt hätte, wäre er zu jener Zeit vertrauter mit der Vielseitigkeit des griechischen Mythos gewesen. Man darf also auch die Unwissenheit unter die