Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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wa­ren die bö­sen Geis­ter aus­ge­zo­gen. Der Zu­rück­ge­blie­be­ne konn­te mir ei­ni­ge von ihm ent­wor­fe­ne Bild­bei­ga­ben zu mei­nen Text­ent­wür­fen vor­le­gen, und ich ver­ehr­te ihm zum Dank ein künst­le­ri­sches Erb­stück des Hau­ses, das mir Mama zu die­sem Zwe­cke über­ließ: das Bild­nis mei­ner Ur­groß­mut­ter von Ötin­ger, von der Hand der Si­ma­no­witz, über des­sen Ver­bleib ich nach­mals nie wie­der et­was er­fuhr.

      Jetzt schiebt sich ein hold­se­li­ges Bild vor den dunklen Hin­ter­grund mei­ner Erin­ne­run­gen. Ein neu­es Le­ben ist in der Fa­mi­lie für das er­lo­sche­ne auf­ge­blüht. Ein ent­zücken­der klei­ner Jun­ge mit Gold­här­chen, der zu Be­such ge­kom­men ist, hat sich’s auf mei­nem Scho­ße be­quem ge­macht und kaut an ei­ner Kas­ta­nie (wir sind im Spät­herbst 1883 und woh­nen noch am Via­le Mar­ghe­ri­ta). Als er sie ge­nü­gend durch­ge­kaut und durch­ge­spei­chelt hat, nimmt er sie aus dem Mund und will sie freund­lich in den mei­ni­gen ste­cken. Es ist un­ser klei­ner Tho­le, Er­wins Söhn­chen, spä­ter un­ter dem Na­men Otto Or­lan­do Kurz als Schöp­fer be­deu­ten­der Kir­chen- und Pro­fan­bau­ten be­rühmt ge­wor­den. (Den zwei­ten Na­men Or­lan­do hat­te ihm sei­ne Groß­mut­ter im Hin­blick auf mei­nes Va­ters Über­set­zung des Or­lan­do fu­rio­so hin­zu­ge­ge­ben.) Ich nen­ne ihn hier mit sei­nem Kin­der­na­men, wie er le­bens­lang im Fa­mi­li­en- und Freun­des­kreis ge­nannt wur­de, da ich nur von sei­ner mensch­li­chen Er­schei­nung er­zäh­len will; von dem ge­nia­len Bau­meis­ter müs­sen die Fach­ge­nos­sen spre­chen. – Nach un­se­rem Um­zug in die Via del­le Por­te nuo­ve, als sei­ne El­tern mit uns das neue Haus teil­ten, wur­de er mein täg­li­cher be­glücken­der Spiel­ka­me­rad, dem ich mei­ne »Tan­ten­lie­der« wid­me­te. Mehr als alle Kin­der, die ich je­mals kann­te, war er »Kind« in des Wor­tes un­wi­der­steh­lichs­ter Be­deu­tung. Unend­li­che Zeit hat er mir ab­ge­schmei­chelt, un­zäh­li­ge Male mein Tun ge­stört, er brach mit­ten her­ein in mei­ne hei­ligs­ten Ar­beits­stun­den; un­mög­lich, das Kerl­chen ab­zu­wei­sen, wenn es einen Schurz voll Spiel­sa­chen brach­te und je und je ein zer­bro­che­nes Stück da­von groß­mü­tig mir schenk­te. Je­des Wort und jede Be­we­gung war Lieb­reiz, der eben­so aus der lie­bens­wür­di­gen Ge­müts­art wie aus der An­mut der be­weg­li­chen Glie­der­chen floss. Ei­nes Mor­gens kam er split­ter­nackt her­ein­ge­sprun­gen und sag­te strah­lend vor Freu­de, in­dem er sein wohl­ge­bau­tes Kör­per­chen vor mir hin und her dreh­te: Sieh her, das al­les hat mein lie­ber Papa ge­macht! Er glaub­te, sein Va­ter habe ihn eben­so wie sei­ne an­de­ren Wer­ke auf der Dreh­schei­be mo­del­liert. Köst­lich war er an­zu­se­hen, wenn er im blau­en Kit­tel­chen mit über der Stirn ge­schnit­te­nen Haa­ren durch den Gar­ten lief, mäch­tig mit dem großen Stroh­fä­cher we­delnd, der in der Kü­che zum Feu­er­an­ma­chen diente und den er je­weils der Kö­chin vom Her­de stahl. Wenn ich durch den Gar­ten ging mit dem Schlepp­kleid, das eine när­ri­sche Mode auch für den Tag be­lieb­te, so sprang er dienst­fer­tig her­zu, häng­te die Schlep­pe auf den Arm und spa­zier­te wie ein zier­li­cher klei­ner Page hin­ter mir her, ob­gleich er nie von ei­nem sol­chen ge­hört noch einen ab­ge­bil­det ge­se­hen hat­te, rein aus Wohl­wol­len für das Kleid, da­mit es nicht Scha­den näh­me. So an­stel­lig er sich in al­lem Kör­per­li­chen ent­wi­ckel­te, so schwer fiel es ihm aber, sich sprach­lich aus­zu­drücken. Zu­erst woll­te er wie alle deut­schen Kin­der in Ita­li­en nur ita­lie­nisch spre­chen, doch auch in die­ser, der Zun­ge so ent­ge­gen­kom­men­den Spra­che brach­te er es über den Be­sitz we­ni­ger Haupt­wör­ter, wo­mit er sei­nen kind­li­chen Be­darf be­stritt, lan­ge nicht hin­aus. Dem Ver­bum mit sei­ner schlan­gen­haf­ten Wen­dig­keit ging er aus dem Wege. Spä­ter kam erst das Deut­sche dar­an, aber die Mut­ter­spra­che mach­te sei­ner Zun­ge noch mehr zu schaf­fen. Das Kind galt des­halb im Hau­se für un­be­gabt, be­son­ders sein Zio (On­kel) Ed­gar, der ge­wohnt war, alle Be­ga­bung in der Fa­mi­lie zu­erst sich auf sprach­lich-poe­ti­schem Ge­biet äu­ßern zu se­hen, glaub­te die­sem klei­nen Nef­fen we­nig Glanz für die Zu­kunft pro­phe­zei­en zu dür­fen. Ich wuss­te auch nicht, was von den An­la­gen mei­nes Lieb­lings den­ken, wenn ich sah, dass es der Non­na (Groß­mut­ter) nie ge­lang, ihm den Tro­ja­ni­schen Krieg, mit dem sie ihre sämt­li­chen Kin­der ent­zückt hat­te, auch nur zu Ende zu er­zäh­len und dass ich sel­ber sei­ne Auf­merk­sam­keit eben­so­we­nig durch ein Grimm­sches Mär­chen zu fes­seln ver­moch­te. Sei­ne Au­gen gin­gen wäh­rend­des­sen rund­um spa­zie­ren und blie­ben an al­len Ge­gen­stän­den hän­gen, nicht mit der Ge­dan­ken­lo­sig­keit des un­be­gab­ten son­dern mit der Unacht­sam­keit ei­nes an­der­wei­tig be­schäf­tig­ten Kin­des. Erst als er zu zeich­nen an­fing, er­kann­te man, wie ge­nau der Kna­be die sicht­ba­ren Din­ge in sich auf­ge­nom­men hat­te und wie bei ihm alle Wahr­neh­mung durch das Auge ging; hat­te er doch schon als An­dert­halb­jäh­ri­ger ein­mal vor ei­nem Wald­ein­gang sei­ne Groß­mut­ter, als sie ihn einen falschen Weg tra­gen woll­te, durch Schrei­en und Stram­peln auf den Irr­tum auf­merk­sam ge­macht. Beim Grö­ßer­wer­den gab er sich am liebs­ten mit Zeich­nen und Mo­del­lie­ren von Rit­tern zu Pfer­de ab und stol­zier­te dann auch selbst als Rit­ter durch den Gar­ten, bis ein­mal die Rit­ter­schaft mit ihm durch­ging, dass er wie ein rich­ti­ger klei­ner Or­lan­do fu­rio­so mit sei­nem höl­zer­nen Schlacht­schwert in un­se­rem herr­li­chen Li­li­en­beet wü­te­te und ei­nes der blü­hen­den Häup­ter ums an­de­re nie­der­leg­te, wo­nach er stolz vor sei­ne Mut­ter trat: Ich habe ge­kämpft und habe sie alle er­schla­gen. Ein Tag der Trau­er in den An­na­len des Hau­ses. Als er end­lich spre­chen lern­te, deutsch und ita­lie­nisch, ge­lan­gen sei­ner Un­schuld wahr­haft dä­mo­ni­sche Ein­fäl­le, wie sie ein ab­ge­feim­ter Ko­bold ger­ne auf ah­nungs­lo­se Kin­der­lip­pen legt. So ein­mal ge­gen den Kö­nig Karl von Würt­tem­berg, als die­ser den Win­ter mit sei­nem Hof­staat in Flo­renz ver­brach­te und un­se­res Tho­les war­mer Gön­ner und Spiel­ka­me­rad ge­wor­den war. Der Kna­be be­dräng­te ihn im­mer­zu, dass er ihm sei­ne Kro­ne zei­ge, und ei­nes Ta­ges frag­te er ihn mit al­lem Schmelz sei­nes Schmei­chel­stimm­chens: Bist du der Erl­kö­nig oder bist du der Kö­nig von das Kar­ten­spiel? – zwei Fra­gen, wie sie un­ter den ob­wal­ten­den Um­stän­den nicht an­züg­li­cher ge­stellt wer­den konn­ten. – Die­ser wohl­ge­sinn­te, um sei­ner Welt­fremd­heit wil­len viel­fach ver­kann­te Mon­arch war im­mer glück­lich, wenn er Mensch mit Men­schen sein konn­te. Als er den Klei­nen auf der Stra­ße zum ers­ten Male sah, ließ er den Wa­gen hal­ten und stieg sel­ber aus, um ihn zu be­grü­ßen. Siehst du, sag­te er ihm, wenn du ein Prinz wä­rest, so wür­de ich sit­zen­blei­ben, aber vor dem En­kel von Her­mann Kurz steigt der Kö­nig aus dem Wa­gen. Tho­le ließ sich sol­chen Vor­zug recht gern ge­fal­len, und als ihm sein Re­chen­leh­rer be­fahl, ihn mit Sie an­zu­re­den, ant­wor­te­te der Klei­ne un­be­denk­lich, wenn er zum Kö­nig Du sa­gen dür­fe, wer­de er zu ihm nicht Sie sa­gen. Sei­ne El­tern sag­ten von ihm da­mals, er habe das »bor­dier­te Hüt­lein« sei­nes Ur­u­r­ahns auf, je­nes Reut­lin­ger Se­na­tors mit dem spa­ni­schen Leib­fluch, der so viel auf sei­ne Wür­de hielt, dass er ein­mal ei­nem Gän­se­rich, der es wag­te ihn un­ter die­sem Ab­zei­chen an­zu­schnat­tern, mit sei­nem Ehren­de­gen den Kopf ab­hieb. Es hieß von die­sem bor­dier­ten Hüt­lein, dass es durch alle Fol­ge­ge­schlech­ter im­mer bei ir­gend­ei­nem Trä­ger des al­ten Na­mens wie­der habe zum Vor­schein kom­men müs­sen. In der jüngs­ten

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