Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Endlich, als der große politische Umschwung die stockende Wirtschaft wieder in Bewegung setzte, fassten auch die Segel Tholes frischen Wind. Die Baukunst als Ausdruck der Heimatliebe wurde von oben gefördert, die Gelder begannen flüssig zu werden, die schlummernden Millionenentwürfe erwachten zur Wirklichkeit. Mit übermenschlicher Willenskraft riss er sich aus der Gedrücktheit der Fehljahre empor. Sein Schmerzenskind, die Kirche von Weiden, im Entwurf so oft nach neuen Richtlinien umgeformt, jetzt endlich wuchs sie aus dem Boden, er sah wieder die Arbeitermassen zum Bauplatz strömen. Da griff eine unsichtbare Hand von oben ein und machte durch den unsinnigsten aller Zufälle diesem reichen, bewegten Leben ein jähes Ende. Im Frühjahr 1933, von einer Hellasfahrt heimkehrend, auf die er mich ungern hatte ziehen sehen, weil er fürchtete, die Anstrengung könnte mir schaden, fand ich Heilgebliebene meinen Thole nicht mehr, nur ein mit Blumen überschüttetes, von den Tränen des Himmels betautes Grab.
Und ich konnte ihm nichts mehr geben als den Denkspruch auf seinen Stein:
Aus hellem Stamm als letzter entsprungen
Vom Feuer der Kunst ins Mark durchdrungen
Rastlos zu höheren Zielen reifend
Mit allen Sinnen die Welt umgreifend
Unermüdlich die schaffenden Hände
Menschlichem Denken zu früh das Ende
Ich staune dir fassungslos nach, du Allzugeschwinder, wie du mit einem schnellen Lichtstreif dahinfuhrst, und ich verstehe diese Schickung nicht. Deine Augen waren voll von allem Schönen der Erscheinung, warum hast du sie so frühe geschlossen? Hat die Parze ein anderes Haupt gemeint, aber in sinnlosem Umherfuchteln mit ihrer Schere den Falschen getroffen? Oder brauchten sie in jenen Räumen einen Baumeister, der etwas vermöchte, wofür gerade du vor allen ausersehen warst? Eines hast du schlecht gemacht, und es kann niemals mehr gut gemacht werden: dass du die Linie von Hermann und Marie Kurz, nachdem sie sich durch drei Generationen schöpferisch hervorgetan, auf deutschem Boden im Mannesstamm erlöschen ließest. Zu viele Frauen hatten sich in deinem Leben gedrängt, zu viel bist du geliebt worden, um selber tief und dauernd zu lieben, zu groß war die Auswahl, als dass du dich zur Wahl hättest entschließen können. Dafür ließest du aber auch keine absteigende Kurve zurück, sondern stehst wie die letzte sonnbeglänzte Erhebung, die einen mächtigen, in mannigfache Kuppen gegliederten Gebirgsstock abschließt.
Da ich nun deinen raschen Lauf von der Quelle bis zur Mündung begleitet habe, kehre ich wieder um, nicht um dich am Rande des Unwiederbringlichen allein zu lassen – in dem Kreis, wo ich wohne, wo das Ende nicht ist, kommst du mir schon von der Quelle her in deiner Kindergestalt wieder entgegen. Wir sind wieder in dem Florenz der achtziger Jahre, unser aller Leben steht noch in Blüte, und wir spielen weiter unter dem Granatbaum in der Via delle Porte nuove. Was uns dorthin führte, wie ich in den folgenschweren Mitbesitz der kleinen Villa kam, muss ich jetzt erzählen.
Neuntes Kapitel – Die Villa mit dem Granatbaum
Unsre schöne Wohnung mitten im Grün der alten Festung von San Giovanni war mit Edgars wachsender Klientel immer enger geworden und konnte der Doppelaufgabe, dem Beruf und der Familie zu dienen, schon lange nicht mehr genügen. Aber es war schwer, eine geeignete größere Mietwohnung in guter Lage zu finden, besonders weil er unterdessen Pferd und Wagen angeschafft hatte und nun auch Stall, Schuppen und Kutscherzimmer nötig geworden waren. Ich meinerseits befand mich in noch größerer Raumbedrängnis: mein schönes Zimmer, für das ich den bescheidenen Mietbetrag in die Haushaltkasse legte, ließ sich von dem lärmenden Betrieb nicht freihalten und wurde immer weniger mein; kam dann gar noch ein auswärtiger Besuch, wie unsere Hedwig Wilhelmi aus Granada,1 die sich in der Erinnerung an die unbegrenzte Gastfreundschaft unseres Hauses in Tübingen nicht damit abfinden konnte, in Florenz ein Stockwerk höher in einer Pension zu schlafen, so blieb mir nichts übrig als zu weichen. Ich musste mein Zimmer abtreten und mich in der Nachbarschaft einmieten. Dabei hatte ich aber von dem vorübergehenden Alleinsein und der Stille in dem fremden unwirtlichen Raum keinen Gewinn, weil sich dorthin doch nur Fronarbeit mitnehmen ließ; zwischen die kahlen getünchten Wände, wo fast nur für das italienische Riesenbett und den Waschtisch Platz war, mochten die Musen nicht gerufen sein. Und wenn ich gelegentlich über solche kritischen Zeiten nach San Francesco oder in das Guerrierische Freundeshaus eingeladen wurde, so genoss ich wohl den Zauber einer feinen geistigen Geselligkeit, aber zur Vertiefung in ein stilles schöpferisches Tun war dabei erst recht nicht zu gelangen. Einmal hatte ich mich im Vorfrühling in einer schönen, oberhalb der Stadt gelegenen Villa eingemietet, wo ich eine Zeit lang ganz allein bei Krokus und Anemonen zu hausen gedachte. Da fiel ganz unerwartet Schnee, Schnee in Menge; sämtliche Räume des nach Norden blickenden Hauses waren nach guter alter Florentiner Sitte unheizbar, und als ich einige Tage eigensinnig am Schreibtisch gefroren hatte, bis mir die Finger erstarrten, trat ich einen enttäuschten Rückzug an. Da fand ich zu meiner Überraschung mein Zimmer und Bett von einer lieben Bekannten, einer feinen Holländerin, eingenommen, die mein Mitgast im Hause Guerrieri gewesen und der ich oft meine Not wegen meines Zimmers geklagt hatte. Sie war nervenleidend und hatte vor wenig Tagen bei einem Besuch im Sprechzimmer ihres Arztes einen Nervenzusammenbruch erlitten, weshalb meine Mutter sie gleich in mein Bett gelegt und seitdem da gepflegt hatte. Décidément, vous n’aurez jamais votre chambre, sagte sie mit melancholischem Lächeln, als ich vor dem Schneegewirbel heimgeflüchtet kam. Ähnliche Vorfälle wiederholten sich in der Tat so oft, dass man sie für verhängt ansehen konnte, und ich war jedes Mal beschämt, dass wir kein Gastzimmer anzubieten hatten. Es wurde mir weh zumute, als ich die Kranke, von dem Marchese selber abgeholt, durch zwei Männer auf einem Stuhl die Treppen hinuntertragen sah, ich hätte ihr so gern die Nähe ihres ärztlichen Helfers gegönnt, denn gewöhnlich meinten Edgars Patienten, und mehr noch die Patientinnen, schon von der Luft, worin er atmete, gehe das Heil aus.
Weil alles Suchen nach der passenden Wohnung vergeblich war, tauchte der Gedanke auf, ein eigenes Haus zu kaufen. Bevor der Entschluss aus der Raumnot reifte, ereignete sich noch ein wunderlicher Zwischenfall: