Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Ganz persönlich und mit vollem Herzen mir zugewendet war mein englischer Freund Charles Grant. Er lebte ständig in Deutschland als Lektor der englischen Sprache, verbrachte aber seine Ferienzeit in Florenz, wo er abwechselnd in den ihm nahe befreundeten Häusern Hildebrand und Hillebrand zu Gaste war. Mittelgroß, untersetzt, höchst temperamentvoll, mit schwarzem Haar und Bart und afrikanisch dunklem Gesicht, das zugleich stark gerötet war, schien er immerzu innerlich zu brennen. Sobald er zu reden anhob über Gegenstände, die ihn erfüllten, schlug es auch in der Tat wie Flammen aus ihm. Es hieß, sein Vater habe als britischer Missionar in Indien seine Mutter zuerst im Sarge gesehen, habe eine Leidenschaft für die Tote gefasst und hernach die Wiedererweckte zur Frau genommen. Der zarten und fantasievollen Art des Sohnes traute man gerne einen solchen besonderen Ursprung zu. Er brachte mir die neueren englischen Lyriker wie Dante, Gabriel Rossetti und Swinburne, die er leidenschaftlich liebte, wenn auch als selbstwillige Neuerer, die sie damals waren, mit etwas schlechtem Gewissen: I am afraid, I like them more than I ought, sagte er mit einem schalkhaften Seufzer, wahrscheinlich im Hinblick auf Hildebrand, den ästhetischen Diktator des Kreises, der diese Poesie ablehnte. Ich teilte Grants Bewunderung, besonders für Swinburne, in dem bei unwiderstehlicher Formgewalt etwas von der kalten Glut des gefallenen Engels zu lodern schien. Grant war im ganzen Umkreis der einzige, dem die Unwägbarkeit der lyrischen Dichtung Lebensluft bedeutete, wo die andern sich mit Literatur befassten! Seine eigenen Gedichte, deren er nur ein schmales Bändchen drucken ließ, waren von außerordentlicher Zartheit und Seelentiefe bei großer Schlichtheit der Form, blieben aber mit ihrer Wirkung auf den engsten Freundeskreis beschränkt.
Grant besaß nahe Freunde im englischen Hochadel, die ihn zuweilen auf Reisen abholten, und es ehrt diese Glieder einer höchst bevorrechteten Kaste, dass sie den geistströmenden Dichter trotz seiner großen Armut nicht nur völlig als Gleichen behandelten, sondern sich auch in allem nach seinen Wünschen richteten. Sie hatten ihm ein dauerndes Zusammenleben vorgeschlagen, das er jedoch ablehnte, weil er seiner Armut und völligen Ungebundenheit treu bleiben wollte.
Unter den Besuchern des Hauses muss hier auch Edgars unzertrennliches, wiewohl ihm sehr unähnliches zweites Ich eingeführt werden, sein italienischer Kollege Dr. Carlo Vanzetti, mit dem er sich auf Gedeih und Verderb gegen die feindselige Rückständigkeit der damals noch halb im Mittelalter steckenden einheimischen Wissenschaft zusammengeschlossen hatte. Dieser trat jedoch erst später deutlich in meinen Lichtkreis; um jene Zeit kannte ich ihn zu wenig, um ihn nach Geist und Charakter richtig einzuschätzen. Äußerlich war er eine Augenweide, von athletischer Kraft und Geschmeidigkeit, nicht nur als glänzender Fechter bekannt, sondern ebenso jeder Art von Gymnastik leidenschaftlich huldigend und sie auch zu Heilzwecken verwendend, was jene Zeit noch als ganz absonderlich belächelte. Es ging ihm der Ruf großer Ritterlichkeit voran, weil er unter den einheimischen Ärzten der erste und einzige war, der es wagte den damaligen grausigen Übelständen der städtischen Spitäler in einer langen Zeitungsfehde zu Leibe zu rücken, sich damit heimlichen Verfolgungen und Gefahren aller Art aussetzend. Das passte gerade seiner Draufgängernatur; er nahm sich einen ehemaligen Carabiniere, einen verwegenen und gewitzten Burschen, zum Diener, in dessen Gesellschaft er mancherlei Husarenstückchen ausführte. Im gesellschaftlichen Rahmen aber erschien er zunächst nicht zu seinem Vorteil. Er war in so viele Abenteuer mit der Weiblichkeit, besonders der unteren Stände, verstrickt, dass er weder Zeit noch Gelegenheit zum Umgang mit gebildeten Frauen fand und sich solchen gegenüber nicht zu geben wusste. Ich hielt ihn zu Anfang wegen der vielen Floskeln, die er ins Gespräch zu mengen liebte, für ausgemacht einfältig und begriff erst, als er anfing natürlich zu reden, was mein anspruchsvoller Bruder an diesem Genossen hatte, der alles besaß, was ihm fehlte, vorab die Wendigkeit und nachsichtige Liebenswürdigkeit im Menschenverkehr und eine strahlende, durch nichts zu trübende Laune. Er war wie von magnetischen Wellen umgeben, die die andern mithoben, dass es auch dem Missmutigen unmöglich war, in seiner Nähe verstimmt oder trübselig zu bleiben, und dass auch gleich, wo er erschien, sich jung und alt, Mensch und Tier zu ihm herandrängte. Mit Hildebrand teilte er diese magisch-magnetische Eigenschaft, den Augenblick wahrhaft seiend zu machen, aber bei ihm kam sie nicht wie bei jenem aus der höheren Geisteswelt. Vanzetti stand ganz im Zeichen des Erdgeists: um das richtig zu erfahren, musste man sich mit ihm im Boot auf dem Meere oder im Hochgebirg befinden, wo seine Nähe wie die einer wohlgesinnten Naturgottheit Sicherheit verbreitete. Man konnte keine so großen Dinge mit ihm reden wie mit den oberen Göttern, aber es fiel zuweilen ein unerwartetes Streiflicht aus seiner Sinnenwelt in die geistige, sie von einer ganz anderen Richtung her neu und überraschend beleuchtend. In allem, was außerhalb