Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Ich ließ mich durch die vorgefundenen Übelstände keineswegs ernüchtern. Was besagten diese Mängel gegen die Freude, dass wenige Schritte vor meiner Tür ein Granatbaum stand, mein Lieblingsbaum, der Baum der Schönheit und der Mythe, der sich nun in jedem Frühjahr für mich mit korallenroten Rosen schmücken würde. Und die Nachtigall! Es war kein poetischer Wahn – sie sang wirklich des Nachts auf dem Granatbaum dort! Sich nun sagen dürfen: das alles ist unser: der große Magnolienbaum in der Mitte, dessen Riesenblüten im Sommer die ganze Straße mit der südlichen Gewalt ihrer Düfte überschwemmten, die früchtereiche japanische Mispel, der Kamelienstrauch und andere Zierstauden, daneben auch die heimatlich anmutenden Lilien- und Rosenbeete, die man selber pflegen konnte; Grund genug, sich immer neu zu freuen.
Wenige Wochen nach unserem Einzug trat der Tod über die Schwelle des neuen Hauses. In ihre Betten eingepackt, hatten wir die arme Josephine hergeführt, die wie ein Licht im letzten Glimmen war, und an einem frühen Novemberabend saß ich an ihrem Bett und hielt ihren schwächer werdenden Puls, bis ihr leiser Schlummer in den ewigen übergegangen war. Dann erst machte ich der Familie die Mitteilung, weil Mama, die an der Hüterin ihrer Kindheit wie an einer Mutter hing, mit einer fertigen Tatsache sich leichter abfand, als mit dem, was erst vor ihr lag. Ich erinnere mich noch, wie ich meinen weißen Morgenüberwurf brachte, um die Verblichene darein zu hüllen, und wie ein abergläubisches Anwesendes mich zurückhalten wollte, weil an diesem selbstgetragenen Stück die Tote mich nachziehen könnte; aber so etwas tat unsere Fina nicht.
Als Ablenkung von dem neuen Leid, das sich so rasch an das um unsern Balde schloss, diente unserer guten Mutter der kleine venezianische Gast, Alfreds Stiefsohn, den dieser ihr noch in der alten Wohnung nach Baldes Tod gebracht hatte. Er hieß Guglielmo, wurde in der Familie scherzweise Gugl genannt und war ein schönes Kind von etwa acht Jahren mit langbefransten dunklen Augen, die aus einer schwermutsvollen Tiefe herauszublicken schienen, war aber in Wirklichkeit ein leichtsinniger kleiner Nichtsnutz. Meine Mutter war jedoch mit ganzem Herzen dabei, weil sie wieder ein junges Wesen zu betreuen hatte, mit dem sie »schulmeistern« konnte, wie sie sich ausdrückte, ihm die ersten Sprachbegriffe beibringen und von dem Trojanischen Krieg, der für sie der Anfang aller Dinge war, erzählen. Der Kleine lernte so gut wie nichts, war gänzlich unaufmerksam, da er überhaupt nicht gelernt hatte aufzumerken, trieb Unfug aller Art und hatte den Kopf voller Flausen und Ausreden, denn die Wahrheit zu sagen, war ihm zunächst an sich unmöglich. So unerschöpflich wie seine Unart war die Geduld meiner Mutter. Wenn ich fand, dass man notwendig die Zügel fester anziehen müsste, antwortete sie entschuldigend: Lass ihn gehen, er ist ein armer Teufel. Dieses rettende Zauberwort merkte sich der Kobold, und als ich ihm einmal, da er gar zu ungezogen war, eins auswischen wollte, streckte er flehend beide Hände gegen mich: Lass mich gehen, ich bin ein armer Taif! Er machte unsern Umzug aus dem Viale Margherita mit und blieb dann noch ein oder mehrere Jahre im Hause. Die Erziehungsergebnisse fielen nicht glänzend aus, doch war das Beispiel des ihm vorgelebten Lebens nicht verloren und wurde später durch Erwin verstärkt, der ihn in München zu sich nahm, im Auge behielt und in eine ersprießliche Laufbahn brachte. Der kleine Italiener wurde zum Deutschen und begriff es später wohl, was Gutes an ihm geschehen war, denn in der schlaffen Luft Venedigs und im Hause Alfreds, der kein Erzieher war und auch keine Zeit für ihn hatte, wäre er zugrunde gegangen.
Waren meine Blütenträume von dem großen Gesellschaftssaal auch nicht gereift, so fehlte es doch nicht an edelster Geselligkeit. Da kamen außer Hildebrand und Böcklin, den der fantasievolle Maler Zurhelle zu begleiten pflegte, andere Spitzen der deutschen Kolonie: der gefeierte Essayist Karl Hillebrand und sein Freund Heinrich Homberger. Die beiden pflegte man zusammen zu nennen, weil sie in der gleichen Anschauungswelt lebten und den gleichen geistigen Acker bebauten. Bei näherem Hinschauen waren sie sich jedoch sehr unähnlich. Zu dem feinen Weltmann Hillebrand fühlte ich einen unüberbrückbaren Altersunterschied, der nicht von der Zahl der Jahre abhing. Im Auftreten an den Pariser Salons gebildet, jeder Rest von Kante oder Eigenart weggeschliffen, sehr verbindlich in der Form bei viel natürlichem Wohlwollen, alle Kultursprachen mit gleicher Eleganz und Vollkommenheit sprechend, hätte er seinem Äußern nach ein hoher Diplomat sein können. Auch so war er bei seiner gesellschaftlichen Stellung ein glänzender Vertreter des Deutschtums im Ausland und trotz seiner französischen Vergangenheit, seiner englischen Gattin und seiner Wahlheimat Italien mit jeder Herzensfaser deutsch. Aber er war der völlig fertige, im Denken ein für alle Male festgelegte, sich in nichts mehr wandelnde Geist, der seine Schranken geschlossen hatte und der auch dem einsamen, um Verständnis anpochenden Zaratustra die Tür nicht mehr auftat. Das ließ in mir trotz der schönen Menschlichkeit kein Gefühl der Befreiung in seiner Nähe aufkommen. Dass er von meines Vaters Werken nur die »Heimatjahre« schätzte und mit dem mächtigen »Sonnenwirt« nichts anzufangen wusste, bewies, dass er geistig an eine bestimmte literarische Spanne gebunden blieb, jenseits deren er nicht mehr mitging. Seine Werke, einst viel gelesen, stehen in meinem Bücherschrank; sie bieten eine weite, vielleicht etwas flache, den Geist seiner Epoche spiegelnde Überschau über Zeiten und Menschen, deuten aber nicht in fernere Tage hinüber. Das macht, er war nur Beschauer, nicht Seher und Dichter.
Mir bot er unverdientermaßen die Mitarbeit an seiner zweisprachigen Zeitschrift »Italia« an, in der deutsche und italienische Gelehrte sich über die großen Menschheitsfragen äußerten. Ich stand jedoch dieser ehrenden Aufforderung ratlos gegenüber, denn ich hatte noch nicht so viel selbstständig nachgedacht, um eine eigene Stellung zu den Dingen zu haben, und Fremdes mir aneignen und weitergeben lag nicht in meiner