Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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und die Rie­sen­bet­tü­cher säu­men, an wel­che ita­lie­ni­sche Dienst­bo­ten einen An­spruch ha­ben, weil sie ge­wohnt sind (oder wa­ren), sich in der Tracht des Pa­ra­die­ses eng wie Mu­mi­en hin­ein­zu­wi­ckeln. Man­ches Tröpf­lein Blut ist von mei­nem Fin­ger in den har­ten Stoff ge­flos­sen, und man­chen Traum von herr­li­chen Über­land­fahr­ten, die ich mir mit mei­ner Ar­beit zu ver­die­nen glaub­te, habe ich mit hin­ein­ge­näht. Aber das Schick­sal woll­te es, dass ich nicht ein ein­zi­ges Mal, so­weit ich mich er­in­ne­re, zu der Mit­be­nut­zung des Wa­gens kam, weil er im­mer bis zur Er­mü­dung des Pfer­des mit sei­nem Herrn un­ter­wegs war. Auch mein schö­ner Saal muss­te für mich eine Fata Mor­ga­na blei­ben, denn be­vor ich in der Lage war, ihn ein­zu­rich­ten, be­fand er sich schon in an­de­ren Hän­den, die mich Schritt für Schritt aus dem Mei­ni­gen ver­drän­gen soll­ten.

      Ich ließ mich durch die vor­ge­fun­de­nen Übel­stän­de kei­nes­wegs er­nüch­tern. Was be­sag­ten die­se Män­gel ge­gen die Freu­de, dass we­ni­ge Schrit­te vor mei­ner Tür ein Gra­nat­baum stand, mein Lieb­lings­baum, der Baum der Schön­heit und der My­the, der sich nun in je­dem Früh­jahr für mich mit ko­ral­len­ro­ten Ro­sen schmücken wür­de. Und die Nach­ti­gall! Es war kein poe­ti­scher Wahn – sie sang wirk­lich des Nachts auf dem Gra­nat­baum dort! Sich nun sa­gen dür­fen: das al­les ist un­ser: der große Ma­gno­li­en­baum in der Mit­te, des­sen Rie­sen­blü­ten im Som­mer die gan­ze Stra­ße mit der süd­li­chen Ge­walt ih­rer Düf­te über­schwemm­ten, die früch­te­rei­che ja­pa­ni­sche Mis­pel, der Ka­me­li­en­strauch und an­de­re Zier­stau­den, da­ne­ben auch die hei­mat­lich an­mu­ten­den Li­li­en- und Ro­sen­bee­te, die man sel­ber pfle­gen konn­te; Grund ge­nug, sich im­mer neu zu freu­en.

      We­ni­ge Wo­chen nach un­se­rem Ein­zug trat der Tod über die Schwel­le des neu­en Hau­ses. In ihre Bet­ten ein­ge­packt, hat­ten wir die arme Jo­se­phi­ne her­ge­führt, die wie ein Licht im letz­ten Glim­men war, und an ei­nem frü­hen No­vem­be­r­abend saß ich an ih­rem Bett und hielt ih­ren schwä­cher wer­den­den Puls, bis ihr lei­ser Schlum­mer in den ewi­gen über­ge­gan­gen war. Dann erst mach­te ich der Fa­mi­lie die Mit­tei­lung, weil Mama, die an der Hü­te­rin ih­rer Kind­heit wie an ei­ner Mut­ter hing, mit ei­ner fer­ti­gen Tat­sa­che sich leich­ter ab­fand, als mit dem, was erst vor ihr lag. Ich er­in­ne­re mich noch, wie ich mei­nen wei­ßen Mor­gen­über­wurf brach­te, um die Verb­li­che­ne dar­ein zu hül­len, und wie ein aber­gläu­bi­sches An­we­sen­des mich zu­rück­hal­ten woll­te, weil an die­sem selbst­ge­tra­ge­nen Stück die Tote mich nach­zie­hen könn­te; aber so et­was tat un­se­re Fina nicht.

      Als Ablen­kung von dem neu­en Leid, das sich so rasch an das um un­sern Bal­de schloss, diente un­se­rer gu­ten Mut­ter der klei­ne ve­ne­zia­ni­sche Gast, Al­freds Stief­sohn, den die­ser ihr noch in der al­ten Woh­nung nach Bal­des Tod ge­bracht hat­te. Er hieß Gugliel­mo, wur­de in der Fa­mi­lie scherz­wei­se Gugl ge­nannt und war ein schö­nes Kind von etwa acht Jah­ren mit lang­be­fran­s­ten dunklen Au­gen, die aus ei­ner schwer­muts­vol­len Tie­fe her­aus­zu­bli­cken schie­nen, war aber in Wirk­lich­keit ein leicht­sin­ni­ger klei­ner Nichts­nutz. Mei­ne Mut­ter war je­doch mit gan­zem Her­zen da­bei, weil sie wie­der ein jun­ges We­sen zu be­treu­en hat­te, mit dem sie »schul­meis­tern« konn­te, wie sie sich aus­drück­te, ihm die ers­ten Sprach­be­grif­fe bei­brin­gen und von dem Tro­ja­ni­schen Krieg, der für sie der An­fang al­ler Din­ge war, er­zäh­len. Der Klei­ne lern­te so gut wie nichts, war gänz­lich un­auf­merk­sam, da er über­haupt nicht ge­lernt hat­te auf­zu­mer­ken, trieb Un­fug al­ler Art und hat­te den Kopf vol­ler Flau­sen und Aus­re­den, denn die Wahr­heit zu sa­gen, war ihm zu­nächst an sich un­mög­lich. So un­er­schöpf­lich wie sei­ne Un­art war die Ge­duld mei­ner Mut­ter. Wenn ich fand, dass man not­wen­dig die Zü­gel fes­ter an­zie­hen müss­te, ant­wor­te­te sie ent­schul­di­gend: Lass ihn ge­hen, er ist ein ar­mer Teu­fel. Die­ses ret­ten­de Zau­ber­wort merk­te sich der Ko­bold, und als ich ihm ein­mal, da er gar zu un­ge­zo­gen war, eins aus­wi­schen woll­te, streck­te er fle­hend bei­de Hän­de ge­gen mich: Lass mich ge­hen, ich bin ein ar­mer Taif! Er mach­te un­sern Um­zug aus dem Via­le Mar­ghe­ri­ta mit und blieb dann noch ein oder meh­re­re Jah­re im Hau­se. Die Er­zie­hungs­er­geb­nis­se fie­len nicht glän­zend aus, doch war das Bei­spiel des ihm vor­ge­leb­ten Le­bens nicht ver­lo­ren und wur­de spä­ter durch Er­win ver­stärkt, der ihn in Mün­chen zu sich nahm, im Auge be­hielt und in eine er­sprieß­li­che Lauf­bahn brach­te. Der klei­ne Ita­lie­ner wur­de zum Deut­schen und be­griff es spä­ter wohl, was Gu­tes an ihm ge­sche­hen war, denn in der schlaf­fen Luft Ve­ne­digs und im Hau­se Al­freds, der kein Er­zie­her war und auch kei­ne Zeit für ihn hat­te, wäre er zu­grun­de ge­gan­gen.

      Wa­ren mei­ne Blü­ten­träu­me von dem großen Ge­sell­schafts­saal auch nicht ge­reift, so fehl­te es doch nicht an edels­ter Ge­sel­lig­keit. Da ka­men au­ßer Hil­de­brand und Böck­lin, den der fan­ta­sie­vol­le Ma­ler Zur­hel­le zu be­glei­ten pfleg­te, an­de­re Spit­zen der deut­schen Ko­lo­nie: der ge­fei­er­te Essayist Karl Hil­le­brand und sein Freund Hein­rich Hom­ber­ger. Die bei­den pfleg­te man zu­sam­men zu nen­nen, weil sie in der glei­chen An­schau­ungs­welt leb­ten und den glei­chen geis­ti­gen Acker be­bau­ten. Bei nä­he­rem Hin­schau­en wa­ren sie sich je­doch sehr un­ähn­lich. Zu dem fei­nen Welt­mann Hil­le­brand fühl­te ich einen un­über­brück­ba­ren Al­ters­un­ter­schied, der nicht von der Zahl der Jah­re ab­hing. Im Auf­tre­ten an den Pa­ri­ser Sa­lons ge­bil­det, je­der Rest von Kan­te oder Ei­gen­art weg­ge­schlif­fen, sehr ver­bind­lich in der Form bei viel na­tür­li­chem Wohl­wol­len, alle Kul­tur­spra­chen mit glei­cher Ele­ganz und Voll­kom­men­heit spre­chend, hät­te er sei­nem Äu­ßern nach ein ho­her Di­plo­mat sein kön­nen. Auch so war er bei sei­ner ge­sell­schaft­li­chen Stel­lung ein glän­zen­der Ver­tre­ter des Deutsch­tums im Aus­land und trotz sei­ner fran­zö­si­schen Ver­gan­gen­heit, sei­ner eng­li­schen Gat­tin und sei­ner Wahl­hei­mat Ita­li­en mit je­der Her­zens­fa­ser deutsch. Aber er war der völ­lig fer­ti­ge, im Den­ken ein für alle Male fest­ge­leg­te, sich in nichts mehr wan­deln­de Geist, der sei­ne Schran­ken ge­schlos­sen hat­te und der auch dem ein­sa­men, um Ver­ständ­nis an­po­chen­den Za­ra­tustra die Tür nicht mehr auf­tat. Das ließ in mir trotz der schö­nen Men­sch­lich­keit kein Ge­fühl der Be­frei­ung in sei­ner Nähe auf­kom­men. Dass er von mei­nes Va­ters Wer­ken nur die »Hei­mat­jah­re« schätz­te und mit dem mäch­ti­gen »Son­nen­wirt« nichts an­zu­fan­gen wuss­te, be­wies, dass er geis­tig an eine be­stimm­te li­te­ra­ri­sche Span­ne ge­bun­den blieb, jen­seits de­ren er nicht mehr mit­ging. Sei­ne Wer­ke, einst viel ge­le­sen, ste­hen in mei­nem Bü­cher­schrank; sie bie­ten eine wei­te, viel­leicht et­was fla­che, den Geist sei­ner Epo­che spie­geln­de Über­schau über Zei­ten und Men­schen, deu­ten aber nicht in fer­ne­re Tage hin­über. Das macht, er war nur Be­schau­er, nicht Se­her und Dich­ter.

      Mir bot er un­ver­dien­ter­ma­ßen die Mit­ar­beit an sei­ner zwei­spra­chi­gen Zeit­schrift »Ita­lia« an, in der deut­sche und ita­lie­ni­sche Ge­lehr­te sich über die großen Mensch­heits­fra­gen äu­ßer­ten. Ich stand je­doch die­ser eh­ren­den Auf­for­de­rung rat­los ge­gen­über, denn ich hat­te noch nicht so viel selbst­stän­dig nach­ge­dacht, um eine ei­ge­ne Stel­lung zu den Din­gen zu ha­ben, und Frem­des mir an­eig­nen und wei­ter­ge­ben lag nicht in mei­ner

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