Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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      Wäh­rend des Krie­ges, der un­se­ren Tho­le jah­re­lang als Fah­rer zwi­schen Nord­frank­reich, Ru­mä­ni­en, Ita­li­en hin- und her­warf, ging im­mer der Künst­ler mit dem Sol­da­ten. Sei­ne kur­z­en, im Te­le­gramm­stil ge­hal­te­nen Brie­fe, die ich aus je­ner Zeit be­wah­re, spre­chen nur von den land­schaft­li­chen, städ­te­bau­li­chen, ar­chi­tek­to­ni­schen Ein­drücken, die ein in­mit­ten der Schre­cken un­ge­trüb­tes Künst­ler­au­ge auf­ge­nom­men hat­te. Nach Ita­li­en kom­man­diert, brauch­te er das Land sei­ner Ju­gend nicht zu be­krie­gen. Da er dem Kunst- und Denk­mal­schutz zu­ge­teilt war, kam er viel­mehr als Schir­mer und Ret­ter. Was er von ge­fähr­de­ten Wer­ken der Bau­kunst nicht schüt­zen konn­te – man­ches wur­de von den Ita­li­e­nern sel­ber zu­sam­men­ge­schos­sen –, das hielt er noch wäh­rend des Un­ter­gangs mit dem Stift für die Erin­ne­rung fest. Köst­lich war es, ihn spä­ter in mit­teil­sa­men Stun­den von sei­nen Kriegs­be­geg­nun­gen er­zäh­len zu hö­ren, denn er gab nur die hei­te­ren Epi­so­den, die er da und dort auf­fing, zum bes­ten. Wenn er mit sei­ner glück­li­chen Ko­mik die Per­so­nen sel­ber vor­stell­te und sie in den ver­schie­de­nen Dia­lek­ten die­ser zu­sam­men­ge­wür­fel­ten Mensch­heit durch­ein­an­der­re­den ließ, konn­te man sich an Wal­len­steins La­ger er­in­nert füh­len.

      Ein Ver­hält­nis von sel­te­ner In­nig­keit herrsch­te zwi­schen Sohn und Va­ter. Tho­le be­saß alle die­je­ni­gen Ei­gen­schaf­ten, die mei­nem Bru­der Er­win man­gel­ten, um sich äu­ßer­lich durch­zu­set­zen; ein all­zu zar­tes Ge­müts­le­ben, das sich an den frü­hen Le­bens­kämp­fen wund­ge­rie­ben hat­te, wie auch man­geln­der prak­ti­scher Sinn (das Erbe der ei­ge­nen El­tern) mach­te die­sem al­les Rin­gen nach Vor­teil und Ehren tief zu­wi­der und ließ ihn auch sei­ne künst­le­ri­schen Ar­bei­ten nie­mals nach ih­rem ma­te­ri­el­len Wer­te rich­tig ein­schät­zen. Da war es Sa­che des viel welter­fah­re­ne­ren Soh­nes, für den Va­ter zu den­ken, wäh­rend um­ge­kehrt der Va­ter in al­lem Ethi­schen im­mer für den Sohn maß­ge­bend blieb. In die­ser Ka­me­rad­schaft fiel bald dem einen, bald dem an­de­ren Teil die Rol­le des vä­ter­li­chen Be­ra­ters zu. Ei­nen Kampf der Ge­ne­ra­tio­nen gab es auch zwi­schen die­sen bei­den nicht: bei des Soh­nes großen bau­li­chen Auf­ga­ben ar­bei­te­te der Va­ter mit, in­dem er den plas­ti­schen Schmuck der Fassa­den oder fi­gür­li­che Dar­stel­lun­gen für die In­nen­räu­me über­nahm. Das köst­lichs­te Zeug­nis, wie der tief­grün­di­ge, welt­ab­ge­wand­te Va­ter und der ehr­gei­zi­ge, glän­zen­de, nach au­ßen ge­rich­te­te Sohn sich im stren­gen künst­le­ri­schen Ide­al zu­sam­men­fan­den, legt die edle Ga­bri­els­kir­che in Mün­chen ab mit Er­wins »Ver­kün­di­gung« über dem Haupt­por­tal, wozu Tho­le nach des Va­ters Tod noch sein letz­tes Werk, die Pietà, für das Haupt­schiff der Kir­che ge­stif­tet hat.

      Auch mir war un­ser Tho­le des öf­te­ren ein wert­vol­ler Hel­fer und Ra­ter und wur­de es zu­letzt im­mer mehr. Wenn ich im Zwei­fel war, ob mei­ne in­ne­ren Ge­sich­te sich mit der Wirk­lich­keit aus­glei­chen lie­ßen, und mir viel­leicht auch schon von kun­di­ger Sei­te ein Es geht nicht zum Be­scheid ge­wor­den war, da kam der fin­di­ge, er­fin­dungs­rei­che Nef­fe und sag­te: Al­les geht. Und mit dem Stift, des­sen Ende ihm im­mer aus der Wes­ten­ta­sche rag­te, gab er der in­ne­ren Schau mit sau­bers­ter Zeich­nung die fach­ge­mä­ße Ge­stalt in Grund­riss, Au­friss und Lage. Über al­les, was im Rau­me steht und sich be­wegt, konn­te man Aus­kunft bei ihm ho­len, sei es ein mit­tel­al­ter­li­ches Be­fes­ti­gungs­werk, ein Schiff, ein Ge­schütz, eine mi­li­tä­ri­sche Auf­stel­lung, er gab sie untrüg­lich und un­ver­züg­lich; denn was ihm ge­hör­te, hat­te er im­mer zur au­gen­blick­li­chen Ver­fü­gung. Man­ches Rin­gen mit wi­der­spens­ti­gen Stof­fen hat er mir auf die­se Wei­se er­leich­tert und ab­ge­kürzt. Ich konn­te ihm den Dienst auf an­de­rem Ge­bie­te zu­rück­ge­ben, wenn er et­was zu schrei­ben hat­te und mit der Spra­che, sei es der ei­ge­nen oder ei­ner frem­den, in Schwie­rig­keit ge­riet, denn noch im­mer blieb der sprach­li­che Aus­druck sei­ne schwächs­te Sei­te, so­weit der Stift nicht zu Hil­fe kam, das Wort er­gän­zend wie bei sei­ner Lehr­tä­tig­keit an der Tech­ni­schen Hoch­schu­le in Mün­chen, ein Amt, zu dem er bei der Durch­sich­tig­keit sei­ner Dar­le­gun­gen in ho­hem Gra­de be­fä­higt war, das er aber auf­gab, um ganz der schöp­fe­ri­schen Ar­beit zu le­ben.

      Plötz­lich auf der Höhe sei­nes Kön­nens stock­te sein Glücks­lauf; nicht durch sei­ne Schuld. Es ist ja noch wie von ges­tern, dass in­fol­ge von Miss­wirt­schaft und falschem Finanz­ge­ba­ren der Nach­kriegs­zeit alle öf­fent­li­chen Bau­un­ter­neh­men brach­la­gen und dem ein­zel­nen erst recht die Gel­der zum Bau­en fehl­ten. Da tra­ten an den Glück­ver­wöhn­ten Fehl­schlä­ge und Sor­ge her­an. Für alle die Plä­ne, die großen wie die klei­nen, die bis in die letz­te Ein­zel­heit durch­ge­ar­bei­tet wa­ren, gab es auf ein­mal kein Bau­geld mehr. Mit ei­ser­nem Fleiß mach­te er die neu­en, viel viel bil­li­ge­ren Ent­wür­fe, und wenn sie fer­tig wa­ren, fehl­ten auch für die­se die Mit­tel. Bis von Ame­ri­ka her wur­den Bau­plä­ne ab­ge­sagt, denn die Gei­ßel der Ar­beits­lo­sig­keit ging ja über die gan­ze Welt. In­zwi­schen fraß das Büro die Rück­la­gen auf, und die seit­her be­schäf­tig­ten Ar­bei­ter­men­gen dräng­ten um Brot und Ar­beit, die er nicht schaf­fen konn­te. So Jahr um Jahr, bis das gan­ze Glücks­ge­bäu­de in Trüm­mern lag und er selbst wie ein Zer­bro­che­ner um­her­ging, denn er hat­te es in der wei­chen Luft sei­ner Er­zie­hung nicht ge­lernt, wie die Ge­ne­ra­ti­on vor ihm, dem Wi­der­wind des Ge­schicks zu ste­hen. Kein Trost konn­te ihn mehr er­rei­chen. Noch höre ich sei­nen fle­hen­den An­ruf an das Schick­sal, es war das ein­zi­ge, was man noch von ihm hör­te: Nur Ar­beit! Ar­beit! Wenn auch nichts an­de­res. Nur nicht wie ein Trä­ger die Erde nutz­los be­las­ten! Aber die­se Bit­ter­keit muss­te das all­zu ver­wöhn­te Herz bis zum Grun­de kos­ten.

      Und dann ge­sch­ah noch das Ärgs­te. Mit­ten in die­ser Prü­fung ver­lor er auch sei­nen bes­ten Freund, den ed­len Va­ter. Mit dem Weg­zug der gu­ten Mut­ter schloss sich das El­tern­haus, in das er noch Tag für Tag sei­ne Not ge­tra­gen hat­te.

      Jetzt kam wie­der der klei­ne Tho­le zu der Zia wie in sei­ner Kin­der­zeit. Er wein­te sich bei mir satt, wenn das Le­ben ihm sei­ne Kral­len all­zu roh ins Fleisch hieb. Aber wenn er sich aus­ge­weint hat­te und es ge­lang dann, den nie ent­schla­fe­nen Sinn für die großen, über­per­sön­li­chen Din­ge in ihm an­zu­re­gen, so ging er doch ir­gend­wie be­schwich­tigt und er­ho­ben hin­weg, und es war mir ein Trost zu hö­ren, dass er nun wie­der ein an­de­rer Mensch ge­wor­den sei. Und wie freu­te er sich, mir ein­mal eine bes­se­re Nach­richt brin­gen zu kön­nen; er trug dann Sor­ge, dass ich sie durch ihn zu­erst er­fuhr.

      Gan­ze Las­ten von Bü­chern schlepp­te er mir da­mals aus sei­ner reich­hal­ti­gen und er­le­se­nen Biblio­thek her­bei: al­les was ihn geis­tig be­weg­te, Na­tur­wis­sen­schaft­li­ches, Archäo­lo­gi­sches, auch neu­ent­deck­te, aus den Bau­ten der Al­ten ge­fol­ger­te ar­chi­tek­to­ni­sche Ge­heim­nis­se, für die mir die Vor­kennt­nis­se fehl­ten; denn es ging ihm nicht ein, dass es et­was ge­ben soll­te, das er mit mir nicht durch­spre­chen könn­te. Wir wa­ren auch nicht Tan­te und Nef­fe, son­dern Gleich­alt­ri­ge wie in sei­ner Kind­heit, wo wir wie zwei Kin­der zu­sam­men ge­spielt hat­ten;

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