Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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von selbst den Weg an das große Herz der Mut­ter, und ih­res war auch das mei­ni­ge. Da sah ich in Wir­run­gen hin­ein, von de­nen ich mir nie hät­te träu­men las­sen, und wur­de frü­he so mit see­li­schen Merk­wür­dig­kei­ten über­sät­tigt, dass ich man­ches­mal bei Fäl­len, wor­über sich die öf­fent­li­che Mei­nung auf­reg­te, mir mei­nen Man­gel an psy­cho­lo­gi­scher Neu­gier vor­wer­fen las­sen muss­te, denn es war »al­les schon da­ge­we­sen«.

      An­der­seits strahl­te aus den be­ruf­li­chen Kämp­fen Ed­gars, der im­mer­zu mit der Ei­fer­sucht an­de­rer Frem­den­ärz­te und mit dem da­ma­li­gen me­di­zi­ni­schen Schlen­dri­an der Ein­hei­mi­schen zu rin­gen hat­te, auch so viel Un­ru­he in das per­sön­li­che Le­ben her­über, dass man mit­un­ter freund­schaft­li­che Be­zie­hun­gen plötz­lich zer­stört sah, ohne zu wis­sen, warum. Dies trug auch stets aufs neue dazu bei, mich vom ge­sel­li­gen Ver­kehr ab­zu­schnei­den, aber ich hat­te mei­ne Ar­beit, und mit­ten un­ter den Ge­stal­ten mei­ner Ein­bil­dungs­kraft be­rühr­ten mich die Ver­lus­te we­ni­ger.

      Aber was hilft es, die Blät­ter der Erin­ne­rung um­schla­gen, um die Spu­ren des ei­ge­nen Le­bens dar­in zu fin­den! Un­se­re wah­re Ge­schich­te steht nicht auf die­sen Blät­tern. Vi­el­leicht lebt kein tiefe­rer Mensch sei­ne wah­re Ge­schich­te. Die äu­ße­ren Vor­gän­ge sind es ja nicht, sie wer­fen höchs­tens ihre Schat­ten her­ein. Un­ser wah­res Le­ben geht im Un­aus­ge­spro­che­nen und Unaus­sprech­ba­ren, von uns sel­ber nicht Ge­wuss­ten vor. Wie wahr sagt Ril­ke: »Mit klei­nen Schrit­ten gehn die Uhren / Ne­ben uns­rem ei­gent­li­chen Tag.« Wo scheint un­ser ei­gent­li­cher Tag? In der in­ne­ren Hei­mat oder nir­gends. Wie der wach­sen­de Men­schen­keim in dem um­hül­len­den müt­ter­li­chen Frucht­was­ser, so wohnt und reift un­se­re See­le in ei­nem von oben mit­ge­brach­ten Ele­ment, das sie schüt­zend und ab­son­dernd um­gibt. Woraus es be­steht, ist uns sel­ber nicht be­kannt. Es wirkt nur als Ge­währ ei­ner hö­he­ren Ver­wandt­schaft und als tröst­li­ches Ge­fühl ih­rer Nähe. Aber die äu­ße­re Ent­spre­chung da­für wäre mehr, als der Mensch an Glück er­trü­ge, dar­um müs­sen den Tiefs­ten ihre ir­di­schen Freu­den im­mer aufs neue ge­nom­men wer­den.

      *

      Ich ver­brach­te im­mer noch mei­ne Tage auf der Biblio­te­ca na­tio­na­le, wälz­te Fo­li­an­ten und häuf­te Aus­zü­ge auf Aus­zü­ge. Denn je wei­ter ich kam, de­sto mehr be­griff ich, dass ge­nug noch nicht ge­nug war, und dass man ein Men­schen­le­ben über die­sen Stu­di­en ver­brin­gen konn­te. Die Biblio­the­ka­re gin­gen mir freund­lich zur Hand, wenn sie mich so un­ent­wegt mei­nen Platz am Da­men­tisch ein­neh­men sa­hen, wo sonst nur ab und zu ein jun­ges Mäd­chen auf­tauch­te, schnell einen heim­li­chen Brief hin­krit­zel­te und wie­der ver­schwand. Pas­qua­le Vil­la­ri, der an­ge­se­he­ne His­to­ri­ker, dem ich zu­wei­len im Haus Gu­er­rie­ri be­geg­net war, las in der Sa­pi­en­za öf­fent­lich über die­se Ge­gen­stän­de, und ich schrieb ge­wis­sen­haft nach, hat­te aber nicht viel Ge­winn da­von, denn was er las, war mir sach­lich schon be­kannt, zum Teil aus sei­nen ei­ge­nen Wer­ken, und mit sei­nen et­was bür­ger­lich-mo­ra­li­schen Maß­stä­ben be­fand ich mich nicht in Über­ein­stim­mung: die über­schau­en­de Grö­ße Burck­hardts ließ mich das Au­ßer­or­dent­li­che je­ner Zei­ten und Men­schen doch in an­de­rem Lich­te se­hen. So fühl­te ich mich mit mei­nem Text nur lang­sam vor­wärts. Ich war mei­nem ab­we­sen­den Mit­ar­bei­ter dank­bar, dass er mich nicht dräng­te. In dem Som­mer, der auf un­se­ren Haus­kauf folg­te, kam er nicht nach Flo­renz; sei­ne Brie­fe ent­hiel­ten wie­der viel Miss­mut und Welt­ver­nei­nung un­ter dunklen An­deu­tun­gen, die man auf schlech­ten Ge­sund­heits­zu­stand be­zie­hen muss­te. Aber ge­mein­sa­me Be­kann­te woll­ten ihn in gu­ter Ver­fas­sung ge­se­hen ha­ben; das brach­te eine neue Un­stim­mig­keit in vie­les an­de­re Miss­s­tim­men­de, das schon in die Freu­dig­keit des ers­ten An­laufs ge­fal­len war. Auch das Mit­ge­fühl für Un­greif­ba­res war über­dehnt, aber einen Zwei­fel an dem Fort­gang der Zu­sam­men­ar­beit ließ ich nicht in mir auf­kom­men: in­dem ich un­be­irrt das mei­ne tat, glaub­te ich mir ein Recht auf das Ge­lin­gen ver­bürgt.

      In je­nem Som­mer nun, von dem ich re­den will, war ich sehr zei­tig ge­kom­men, und Mama, die sich sel­ten eine Auss­pan­nung gönn­te, hat­te die ers­ten vier­zehn Tage in großer Glück­se­lig­keit dort mit mir ver­lebt. Dann war ich al­lein in mei­nem ho­hen Turm­zim­mer zu­rück­ge­blie­ben, um das die Wel­len bran­de­ten und das mir bei Nacht, wenn das Mee­res­leuch­ten an­hob, die Vor­stel­lung ei­nes zwi­schen zwei ge­stirn­ten Him­meln hin­se­geln­den Schif­fes gab. In San Te­ren­zo fand ich mei­nen al­ten Be­kann­ten von Ri­mi­ni her, den Se­na­tor Man­te­gaz­za wie­der, der sich eine hoch­ge­le­ge­ne Vil­la über dem Meer ge­baut und mit üp­pi­ger fremd­län­di­scher Flo­ra um­rahmt hat­te; er sand­te mir zu­wei­len Früch­te und Blu­men her­über. Klet­ter­te ich in dem Fel­sen­gar­ten des al­ten Kas­tells her­um, so ka­men die zwei dort auf­ge­stell­ten Ma­ri­ne­sol­da­ten von ih­ren Pos­ten her­un­ter, gute große Kin­der, und leis­te­ten mir ach­tungs­vol­le Ge­sell­schaft. Be­gab ich mich an die Ma­ri­na, so ließ sich wohl die­ser und je­ner von den Ba­de­gäs­ten mir durch mei­nen Haus­wirt vor­stel­len, und ich konn­te si­cher sein, dass er sei­ne Leu­te kann­te und nur ver­trau­ens­wür­di­ge Per­so­nen in mei­ne Nähe kom­men ließ. Das Schöns­te aber war doch im­mer, mit mei­nen stil­len Ein­ge­bun­gen, die nie­mand stör­te, sin­nend und spin­nend al­lein zu sein.

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