Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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um das ver­kürzt, was im­mer al­les neu­ge­stal­ten und gut­ma­chen kann: das Le­ben. Und gern ver­gisst er nun, was von der an­de­ren Sei­te ge­fehlt wur­de. Wie vie­le Stö­run­gen der Ver­stor­be­ne auch in das freu­di­ge Ein­ver­ständ­nis des Zu­sam­men­schaf­fens ge­bracht, er war doch das Werk­zeug ge­we­sen, des­sen das Schick­sal sich be­dien­te, um mich zu mir selbst zu füh­ren und mein fla­ckern­des Stre­ben zur Ste­tig­keit zu ge­wöh­nen. War er auch nur wie eine star­ke Wel­le in mei­nem Le­ben an­ge­rauscht und schnell zer­ron­nen, so hat­te die Be­geg­nung doch ge­nügt, mein Schiff von der Sand­bank, wo es fest­ge­fah­ren war, zu lö­sen. Es war auch ein tie­fes Er­bar­men um Schö­nes und Wert­vol­les, was zu­grun­de ging, und um einen Ehr­geiz, der jetzt nicht die kleins­te Be­frie­di­gung mehr fin­den konn­te. Ich habe mich nach­mals lan­ge be­müht – und die ein­fluss­reichs­ten mei­ner Freun­de in Deutsch­land mit mir, vor­an mein al­ter Gön­ner Fried­rich Theo­dor Vi­scher, der da­mals in Kunst­sa­chen das ers­te Wort hat­te, und eben­so sein kunst­phi­lo­so­phi­scher An­ti­po­de Lud­wig Pfau –, für das Aqua­rel­len­werk, an dem der Ver­stor­be­ne mit so­viel Ei­fer ge­ar­bei­tet hat­te, einen Ver­le­ger zu fin­den, was er sel­ber zu mei­nem Er­stau­nen ver­säumt hat­te. Es ge­lang nicht, weil die far­bi­ge Ver­viel­fäl­ti­gung zu kost­spie­lig ge­we­sen wäre, und als gar die fo­to­gra­fi­sche Wie­der­ga­be der Ori­gi­na­le mög­lich wur­de, war an eine Her­aus­ga­be nicht mehr zu den­ken. So blieb dem Gren­zen­lo­ses Wol­len­den so­gar der kleins­te post­hu­me Er­folg ver­sagt! Mit dem Tode Alt­ho­fens brach auch das Werk in Stücke, das ich mit so­viel Lie­be und Aus­dau­er un­ter­mau­ert hat­te. Stö­ße von Ma­nu­skript war­te­ten auf die Fort­set­zung, aber die Hand, die den bild­ne­ri­schen Teil zu ge­stal­ten hat­te, mo­der­te im Grab. Ich klopf­te bei Er­win an, ob er da­für zu ha­ben wäre, an die Stel­le des Ver­stor­be­nen zu tre­ten. Als gu­ter Bru­der, der er war, sag­te er zu, aber mit Seuf­zen, denn der Vor­schlag war ihm fremd und er­weck­te kei­nen in­ne­ren An­teil. Er hat­te recht, er war ja kein Gra­fi­ker, er war Bild­hau­er, au­ßer­dem hat­te er für Ge­schicht­li­ches so we­nig Sinn wie sein Leh­rer Hil­de­brand, we­nigs­tens zu je­ner Zeit; spä­ter hat er die Lücken auf die­sem Ge­biet durch un­er­müd­li­ches Le­sen aus­ge­füllt. Nein, das Un­ter­neh­men, auf dem mei­ne Hoff­nung durch drit­t­halb Jah­re ge­stan­den, war nicht zu ret­ten. Ob es nicht auch ohne das Zeich­ne­ri­sche gin­ge, die­se Fra­ge warf sich mir gar nicht auf, so fest war mir von An­be­ginn der Ge­dan­ke an den Bild­schmuck ein­ge­brannt. Ne­ben dem Gra­be, das so­viel Be­ga­bung und Ehr­geiz ver­schlun­gen hat­te, lag ein zwei­tes, un­sicht­ba­res, in das ich hilf­los hin­un­ter­starr­te. Der Tod war jetzt über­all, denn er war in mei­nem Werk.

      Aber die Hil­fe kam; sie kam aus mei­nem ei­ge­nen In­ne­ren. Schon bei den bio­gra­fi­schen Ent­wür­fen wa­ren mir un­ge­ru­fen no­vel­lis­ti­sche Ein­ge­bun­gen durch den Sinn ge­gan­gen, die zu­rück­ge­drängt wer­den muss­ten. Jetzt mel­de­ten sie sich stär­ker; aus dem Trüm­mer­hau­fen drang es wie lei­ses Glo­cken­läu­ten, aber es wa­ren kei­ne Trau­er­glo­cken mehr: die »Flo­ren­ti­ner No­vel­len« bra­chen ins Le­ben.

      Hier zeig­te sich’s nun so­gleich, dass er­fun­de­ne Vor­gän­ge und Ge­stal­ten mei­ne Fe­der ganz an­ders be­schwing­ten als das Wei­ter­tas­ten im Er­forsch­ten, dem ich nichts Ei­ge­nes hin­zu­brin­gen durf­te; ge­schicht­li­che und kul­tur­ge­schicht­li­che Ge­ge­ben­hei­ten wa­ren jetzt nur das hoch­wer­ti­ge Plas­ma, um Men­schen­ge­schick dar­aus zu for­men; Zeit und Ort ga­ben einen Rah­men, der wir­kungs­vol­ler nicht zu den­ken war. Und die Mo­del­le samt ih­rer Re­de­wei­se und ih­ren Ges­ten fand ich un­ter den le­ben­den Flo­ren­ti­nern, die mir je­weils Züge ih­res We­sens las­sen muss­ten um die Züge ih­rer Vor­fah­ren zu bil­den, denn es war das Reiz­vol­le die­ser al­ten, nicht ab­ge­ris­se­nen Kul­tur, dass die mensch­li­chen Ty­pen sich er­hal­ten hat­ten.

      Die Ge­schich­te der le­ben­dig be­stat­te­ten und wie­der auf­er­stan­de­nen Gi­nevra deg­li Amie­ri, die des Nachts aus dem Dom, aus der Um­ge­bung der mit­bei­ge­setz­ten Pest­lei­chen flieht und zu­erst im Haus ih­res Va­ters als Ge­s­penst ein töd­li­ches Ent­set­zen er­regt, dann bei dem un­ge­lieb­ten Gat­ten die glei­che Ab­wei­sung er­fährt, bis sie im angst­vol­len Um­her­ir­ren ih­rem Früh­ge­lieb­ten, der gleich­falls trost­los um­her­irrt, ih­ren Tod be­jam­mernd, in die Arme läuft, und wie nun ein wei­ser Ma­gis­trat wi­der al­les Er­war­ten die Sa­che zum gu­ten Ende führt, in­dem er die voll­zo­ge­ne To­des­ur­kun­de für gül­tig und die Ehe durch den Tod für ge­löst er­klärt, wo­nach die Lie­ben­den zum Al­tar schrei­ten kön­nen, die­se alte, in Flo­renz nie ver­ges­se­ne Über­lie­fe­rung war mir zu­erst durch ein Pup­pen­spiel be­kannt ge­wor­den, das bei der Derb­heit der Auf­füh­rung und der Un­wahr­schein­lich­keit der Hand­lung so­wie auch durch das leb­haf­te Mit­spie­len der ein­fa­chen Zuschau­er eine ko­mi­sche Fär­bung er­hielt. Seit ich aber aus den An­na­len von Flo­renz den wü­ten­den Hass zwi­schen »Po­pola­nen« und »Gran­den«, den auf­stre­ben­den Zünf­ten und dem krie­ge­ri­schen Feu­dala­del, kann­te, ver­stand ich erst den his­to­ri­schen Hin­ter­grund der Sage und dass der sa­lo­mo­ni­sche Spruch des Ra­tes, wo­durch ein »Gro­ßer« sei­ner Gat­tin ver­lus­tig ging und der bür­ger­li­che Be­wer­ber sie als Ver­stor­be­ne da­von­trug, nichts war als ein frei­lich gro­tes­kes Bei­spiel der vie­len par­tei­li­chen Ent­schei­dun­gen, wo­durch da­mals die stol­ze städ­ti­sche Rit­ter­schaft recht­los und wehr­los ge­macht wur­de. Die wie­der­hol­ten, blu­tig nie­der­ge­wor­fe­nen Auf­stän­de des Adels ga­ben Ge­le­gen­heit, die Ge­schi­cke der Lie­ben­den mit den tra­gi­schen Ge­schi­cken an­de­rer his­to­ri­scher Häu­ser zu ver­flech­ten, wo­durch sich ein rei­ches Zeit­bild ge­stal­ten ließ. In den da­mals noch ste­hen­den Res­ten der Alt­stadt, dem kaum be­tret­ba­ren, weil zum Diebs­vier­tel her­ab­ge­sun­ke­nen Zen­tro, war auch der Schau­platz der Vor­gän­ge noch er­hal­ten: der alte trut­zi­ge Palast der Amie­ri, um den der Kampf sich ver­dich­te­te, das Kirch­lein des hei­li­gen An­dre­as, von mir zum Treff­punkt der Lie­ben­den ge­macht, die Log­gia deg­li Ago­lan­ti, wo die zwei al­ten Rit­ter die un­glück­li­che Ver­lo­bung ih­rer Kin­der an­zet­teln. Das enge Gäß­lein, durch das die er­wach­te Schein­to­te den Heim­weg ge­sucht ha­ben soll, heißt noch im­mer die Via del­la Mor­te. Eine wei­te­re An­re­gung gab die aus dem De­ka­me­ro­ne be­kann­te Pest­zeit, in der die Er­zäh­lung spielt, für mich durch die jüngst emp­fan­ge­nen ei­ge­nen Ein­drücke von ei­ner Seu­chen­pa­nik noch mehr ver­le­ben­digt, aber auch schon vor Jah­ren beim ers­ten Be­such der Uf­fi­zi­en den schau­dern­den Sin­nen ein­ge­prägt durch ein Ge­meng­sel wäch­ser­ner Lei­ber, das als eine Art trion­fo del­la mor­te un­ter Glas ge­zeigt wur­de. So ent­stand die »Ver­mäh­lung der To­ten« als ers­tes Stück der »Flo­ren­ti­ner No­vel­len«. Ich sand­te sie an »Krö­ners« Gar­ten­lau­be, wo sie auch bald da­nach ge­druckt er­schi­en. Die Ar­beit hat­te ein­ge­hen­de Stu­di­en über die Pest­zeit nö­tig ge­macht, und die­se zo­gen dann eine zwei­te No­vel­le über das glei­che The­ma »Anno Pes­tis« nach sich; nur dass dies­mal statt des spä­ten Mit­tel­al­ters die nie­der­ge­hen­de Re­naissance zum zeit­li­chen Rah­men ge­wählt war. Eine ge­schicht­li­che Über­lie­fe­rung lag in die­sem Fal­le nicht vor, au­ßer dem neu­en Aus­bruch der Seu­che. Die Fa­bel von der be­tro­ge­nen Frau, die an dem Zer­stö­rer ih­res Le­bens Ra­che nimmt,

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