Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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ma­chen wür­de. Als die Be­völ­ke­rung er­fuhr, dass Man­te­gaz­za selbst, der noch eben im Lo­kal­blätt­chen ge­gen die Furcht vor Cho­le­ra als ihre wirk­sams­te Hel­fe­rin ge­pre­digt hat­te, in der Stil­le ver­schwun­den war, brach eine große Er­bit­te­rung aus, die sich an sei­nen noch zu­rück­ge­blie­be­nen Söh­nen tät­lich ver­griff. Ich trotz­te also den sich stei­gern­den Hiobs­pos­ten aus Spe­zia, so­wohl um den Ein­hei­mi­schen Mut zu ma­chen als um mich nicht aus mei­ner stil­len Se­lig­keit los­rei­ßen zu müs­sen. Da stürz­te mir des Mit­tags der jüngs­te Man­te­gaz­za mit dem Schreck­schuss ins Haus, dass be­reits alle Aus­gän­ge aus dem Golf durch Mi­li­tär ge­sperrt sei­en und nur die Ma­grabrücke bei Sar­za­na noch für Stun­den frei; er habe schon in ei­nem Wa­gen aus Le­ri­ci einen ihm sel­ber an­ge­bo­te­nen Platz für mich be­legt. Ich schwank­te, ob ich das rit­ter­li­che Aner­bie­ten an­neh­men dür­fe, ließ mich aber durch sei­nen und mei­nes Haus­wirts Zu­spruch doch aus Rück­sicht auf die ängst­lichs­te und lie­be­volls­te al­ler Müt­ter dazu be­we­gen. Als ich nach heißem Auf­stieg in der Mit­tags­glut mit Gia­co­mi­no die stei­le Höhe er­reicht hat­te, wo ich den Wa­gen aus Le­ri­ci er­war­ten soll­te, zeig­te sich’s, dass die­ser schon eine hal­be Stun­de vor der an­ge­ge­be­nen Zeit in wil­der Eile durch­ge­fah­ren war und sich an die­ser Stel­le al­ler sei­ner Ge­päck­stücke ent­le­digt, da­für aber mei­nen schon frü­her dort war­ten­den Rit­ter mit­ge­nom­men hat­te. Jetzt war gu­ter Rat teu­er, denn die Ma­grabrücke noch vor Ab­gang des Zugs von Sar­za­na zu Fuß zu er­rei­chen, war ein Ding der Un­mög­lich­keit; auch ström­ten be­reits von dort an­de­re Flücht­lin­ge wie­der zu­rück, weil die Brücke schon be­setzt und ohne Ge­sund­heits­be­schei­ni­gung des Am­tes von Le­ri­ci die Durch­fahrt nicht mehr ge­stat­tet war. Das mach­te die Lage vollends ver­zwickt und schein­bar hoff­nungs­los, denn die­ses Pa­pier jetzt noch zu be­schaf­fen, kam bei der großen Ent­fer­nung gar nicht in Fra­ge. Ich setz­te mich am Weg auf mei­nen Kof­fer und war­te­te auf den ret­ten­den Deus ex ma­chi­na, mit dem ich sonst schon gute Er­fah­run­gen ge­macht hat­te. Da­bei ver­kürz­ten mir die Pro­zes­sio­nen flüch­ten­der Bau­ern­fa­mi­li­en, die mit Vor­rä­ten in das hö­he­re Ge­bir­ge hin­auf­zo­gen, die Zeit. Be­sag­ter freund­li­cher Ge­ni­us er­schi­en auch in der Tat in der Ge­stalt ei­nes Fa­mi­li­en­va­ters aus Car­ra­ra, der mich von An­se­hen kann­te, und so­bald er mei­ne Ver­le­gen­heit er­fuhr, mich in sei­nen Wa­gen stei­gen ließ. Wie es ihm durch Über­rum­pe­lung der ver­dutz­ten Wa­che ge­lang, mich trotz mei­ner auf­fal­len­den Blond­heit un­ter sei­nen dun­kel­haa­ri­gen An­ge­hö­ri­gen als über­zäh­li­ge Fünf­te auf sein Schrift­stück durch­zu­schmug­geln, wie sich auf der er­eig­nis­rei­chen Wei­ter­rei­se noch fer­ne­re glück­haf­te Zu­fäl­le zu­sam­men­fan­den, um mir aus al­len Fähr­lich­kei­ten im­mer wie­der her­aus­zu­hel­fen, bis ich am Abend halb ge­rös­tet von der Hit­ze und gründ­lich durch­schwe­felt von den Räu­che­run­gen, de­nen man alle aus seu­chen­ver­däch­ti­gen Ge­gen­den ge­kom­me­nen Rei­sen­den un­ter­zog, in Flo­renz auf dem Bahn­hof stand, wo mei­ne bei­den ärzt­li­chen Brü­der, de­nen sich Van­zet­ti an­ge­schlos­sen hat­te, seit Stun­den war­te­ten, um mich selbdritt der Qua­ran­tä­ne zu ent­rei­ßen, weil sie in­fol­ge ei­nes an mich ge­sand­ten Te­le­gramms, das aber gar nicht in mei­ne Hän­de ge­langt war, mit Si­cher­heit auf mein Kom­men rech­ne­ten –, das al­les habe ich da­mals warm vom Neu­er­leb­ten in der »Gar­ten­lau­be« ge­schil­dert.4

      Glück­se­li­ge Ju­gend, de­ren Kräf­te­quell nicht aus­zu­schöp­fen ist, wie ähn­lich se­hen sich doch ihre Freu­den und ihre Schmer­zen. Al­les muss ihr zum Wachs­tum die­nen: Ver­wick­lun­gen sind ihr ein Ge­winn, Ge­fah­ren ein Spiel, und auch das her­be To­des­leid nimmt sie an ihre Brust und singt es zärt­lich wie ein Kind zur Ruhe.

      1 Eine Ge­stalt aus mei­nem »Ju­gend­land« <<<

      2 In der Le­bens­ge­schich­te mei­nes Va­ters hat­te ich einen Ver­gleich zwi­schen mei­ner Mut­ter und Mal­wi­da von Mey­sen­bug als zwi­schen zwei gleich­ge­sinn­ten Spröß­lin­gen al­ter Adels­ge­schlech­ter ge­zo­gen, die bei­de ih­ren Stan­des­vor­rech­ten ent­sagt hät­ten, um sich der Sa­che des Volks zu wid­men. Ich wur­de je­doch von un­ter­rich­te­ter Sei­te dar­auf auf­merk­sam ge­macht, dass ich mich im Irr­tum be­fän­de, weil Mal­wi­da nicht wie mei­ne Mut­ter aus al­tem Adel stam­me, viel­mehr sei ih­rem Va­ter we­gen per­sön­li­cher Ver­diens­te um den Kur­fürs­ten von Hes­sen von die­sem an Stel­le sei­nes bür­ger­li­chen Na­mens Ri­va­lier Name und Ti­tel des er­lo­sche­nen hes­si­schen Frei­herrn­ge­schlech­tes von Mey­sen­bug ver­lie­hen wor­den. Ganz ent­ge­gen dem Ver­hal­ten mei­ner Mut­ter, die eine Frei­herrn­kro­ne ab­leg­te und sich Bür­ge­rin Brun­now nann­te, be­hielt Mal­wi­da den neu­ver­lie­he­nen Adel bei, auch als ihre Fa­mi­lie sie bei ih­rer re­vo­lu­tio­nären Pro­pa­gan­da er­such­te, sich für die­se, ihre An­ge­hö­ri­gen schä­di­gen­de Tä­tig­keit ih­res ehe­ma­li­gen bür­ger­li­chen Na­mens zu be­die­nen. Der Fall lag also um­ge­kehrt, und ich muss­te dem Ge­währs­mann ver­spre­chen, den Irr­tum zu be­rich­ti­gen, da­mit die große Na­tur mei­ner Mut­ter durch die falsche par­al­le­le nichts von ih­rer Ein­zig­ar­tig­keit ein­bü­ße. Doch ist ge­wiss Mal­wi­da durch Wei­ter­füh­rung ei­nes Adelsprä­di­kats, das zu je­ner Zeit noch mehr Glanz ver­lieh als heu­te, ih­rer Sa­che nütz­li­cher ge­we­sen, als wenn sie ihr als schlich­tes Fräu­lein Ri­va­lier ge­dient hät­te, und das mag ihr Ver­hal­ten mit er­klä­ren. <<<

      3 Zu­erst bei Her­mann See­mann, Leip­zig, er­schie­nen, dann von Cot­ta Nach­fol­ger über­nom­men, 1928 un­ter dem Ti­tel »Aus frü­hen Ta­gen« in der Va­ter­län­di­schen Ver­lags- und Kunst­an­stalt, Ber­lin, ver­mehrt her­aus­ge­ge­ben. <<<

      4 Spä­ter dem Bänd­chen »Aus frü­hen Ta­gen« er­gän­zend ein­ver­leibt. <<<

      Zu An­fang des Jah­res, das auf die­sen be­weg­ten Herbst folg­te, starb Alt­ho­fen. Die Nach­richt er­reich­te mich völ­lig un­vor­be­rei­tet bei ei­nem Auf­ent­halt in Rom.

      Wie viel auch ein Mensch von To­de­sah­nun­gen spre­chen möge – so­lan­ge er in der Fül­le des Le­bens da­steht, glaubt man ihm nicht, denn das Le­ben muss ewig den Tod ver­nei­nen. Dass ich den­noch tief in­nen die­ses frü­he Ende vor­aus­ge­wusst hat­te, stand auf ei­nem an­de­ren Blatt, es ge­hör­te nicht in das wa­che Ta­ges­be­wusst­sein. Jetzt ver­stand ich, dass die im­mer wie­der­hol­ten düs­te­ren Pro­phe­zei­un­gen kei­ne blo­ßen Gril­len ge­we­sen wa­ren, son­dern dass der Tod sel­ber aus dem ver­mes­se­nen Zei­chen­stift neck­te und scherz­te, als er das fre­vel­haf­te Spiel mit dem To­ten­kopf, sei­nem ei­ge­nen, spiel­te. Auch dass er die ge­fühls­mä­ßi­ge Über­zeu­gung von der Kür­ze sei­nes Le­bens nur in Frau­en­ge­sell­schaft äu­ßer­te, am meis­ten da, wo er sich am un­be­denk­lichs­ten gab, wur­de klar,

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