Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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hat­te, da­mit er zu Haus nicht ganz ver­wil­de­re, weil er selbst kei­ne Zeit hat­te, sich ihm zu wid­men, und sei­ne Mut­ter, eine Ve­ne­tia­ne­rin, sich kei­ne Zeit dazu nahm. Es lag auf der Hand, dass ich nicht ohne wei­te­res in die al­ten Ver­hält­nis­se nach Mün­chen zu­rück­keh­ren konn­te, weil ich ja die al­ten Ver­hält­nis­se nicht mehr ge­fun­den hät­te. Mei­ne Schü­ler hat­ten na­tür­lich nicht auf mich ge­war­tet, die Lage war ver­scho­ben, und ein zwei­tes­mal den Sprung ins Un­ge­wis­se wa­gen, kam nicht in Fra­ge. Den­noch war die Rück­kehr nach Mün­chen, wo mir ja Freun­de leb­ten, der ein­zi­ge Schritt, von dem ich hoff­te, dass er mich ins Glei­se bräch­te; schon ein ein­sa­mes Zim­mer und ein fes­ter Stun­den­plan, den nie­mand stö­ren durf­te, er­schi­en mir als die hal­be Ret­tung. Ich über­wand mich, schrieb an Hey­se, setz­te ihm die Lage aus­ein­an­der und bat ihn, wenn er ir­gend ein­schlä­gi­ge Be­zie­hun­gen hät­te, mir einen fes­ten Pos­ten zu ver­schaf­fen. Die Ant­wort kam schnel­ler als ich er­war­te­te; hoch­auf schlug mein Herz: er hat­te einen Pos­ten! Aber wäh­rend ich las, wur­de mir en­ger und bän­ger. Nicht von ei­ner An­stel­lung bei ei­nem Ver­lag oder ei­ner Zeit­schrift, ähn­lich der, die mei­ne Gön­ne­rin, Frau Ro­sa­lie Braun-Ar­ta­ria, bei der »Gar­ten­lau­be« ein­nahm, wo­bei ich mei­ne be­son­de­ren Fä­hig­kei­ten hät­te zur Gel­tung brin­gen kön­nen – denn das war es, was mir vor­schweb­te –, war die Rede, son­dern von ei­nem kauf­män­ni­schen Büro, wo ich die fremd­spra­chi­gen Ge­schäfts­brie­fe zu schrei­ben und na­tür­lich auch mit dem Rech­nungs­we­sen mich zu be­fas­sen hät­te. Aus­ge­sucht die Stel­le, für die ich am al­ler­we­nigs­ten taug­te. Denn die frem­den Spra­chen wa­ren mir zwar durch eine na­tür­li­che An­zie­hungs­kraft von sel­ber zu­ge­flo­gen, mit dem Rech­nen aber war es ein an­de­res Ding, da war ich un­ter Ma­mas Lei­tung bei den An­fän­gen ste­hen­ge­blie­ben, und was sonst noch zum kauf­män­ni­schen Be­trieb ge­hö­ren moch­te, da­von hat­te ich nicht die lei­ses­te Ah­nung. Hey­se, der die­se Sach­la­ge je­den­falls nicht ver­mu­te­te, drang auf An­nah­me des Vor­schlags, weil ich bei gu­ter Be­zah­lung al­ler­dings viel zu tun hät­te, aber doch in den Abend­stun­den im­mer noch Zeit fin­den könn­te, mich mit ei­ge­ner geis­ti­ger Ar­beit zu be­schäf­ti­gen. Es war mir we­nig wohl bei die­ser Ver­si­che­rung, aber ich wag­te nicht nein zu sa­gen. Kurz zu­vor war die­ser Freund mit ei­nem an­de­ren Vor­schlag an mich her­an­ge­tre­ten: ich soll­te einen deut­schen Opern­text ins Ita­lie­ni­sche über­set­zen und hat­te ab­ge­lehnt. Das Dich­ten in frem­der Spra­che an­ders als zu scherz­haf­ten und per­sön­li­chen Ge­le­gen­hei­ten ist mir stets als Ver­grei­fen an frem­dem Hei­li­gem er­schie­nen. Die Dich­ter­spra­che kommt von wei­ter her als die Spra­che des Ta­ges­men­schen, man muss auch die Stim­me der Ahn­frau in ihr rau­nen hö­ren, die­se aber ver­nimmt man nur in der ei­ge­nen oder höchs­tens ei­ner nahe ver­wand­ten. Na­tür­lich wuss­te dies Freund Pao­lo auch, er moch­te den­ken, dass es bei ei­nem Opern­text nicht so ge­nau dar­auf an­kom­me. Wenn ich jetzt in kur­z­er Zeit zum zwei­ten Mal nein sag­te, nach­dem ich sel­ber den Rat­ge­ber an­ge­ru­fen hat­te, fürch­te­te ich, eine lau­nen­haf­te oder all­zu wäh­le­ri­sche Rol­le zu spie­len. Und et­was muss­te ja doch ge­sche­hen, um ein­mal auf einen si­che­ren Weg zu kom­men. Das ita­lie­ni­sche Sprich­wort: di cosa nasce cosa gab mir die Hoff­nung ein, dass wenn auch die­ser ers­te Ver­such miss­lin­ge, viel­leicht ir­gend­wie ein zwei­ter, glück­li­che­rer sich dar­an schlie­ßen könn­te. Wer sich aber mit al­lem Nach­druck ge­gen den Vor­schlag stemm­te, war mei­ne Mut­ter. Ihre Toch­ter, an der ihr höchs­ter Ehr­geiz hing, ein Bü­ro­fräu­lein! Das klang da­mals noch ganz an­ders als heu­te. Mei­ne ei­ge­nen Zwei­fel, ob ich bei mei­nem nicht ord­nungs­mä­ßi­gen Bil­dungs­gang über­haupt die nö­ti­gen Kennt­nis­se hät­te, um eine sol­che zwar un­ter­ge­ord­ne­te, aber doch auf ganz be­stimm­ten For­de­run­gen be­ru­hen­de Stel­lung aus­zu­fül­len, wag­te ich ihr gar nicht mit­zu­tei­len. Ich trös­te­te mich ziem­lich leicht­sin­ni­ger­wei­se mit der Er­wä­gung, dass ich schon man­che Ver­rich­tung, für die ich nicht ge­schult war, in der Aus­übung ge­lernt hat­te und dass zu dem Bü­ro­we­sen wohl auch kein über­mensch­li­ches Kön­nen ge­hö­ren wer­de. So mein­te ich we­nigs­tens den Ver­such wa­gen zu sol­len. Mama aber mein­te dies gar nicht und warb sich einen Ver­bün­de­ten.

      Im Erd­ge­schoss un­se­res Hau­ses am Via­le Prin­ci­pes­sa Mar­ghe­ri­ta war seit ei­ni­ger Zeit eine Künst­ler­per­sön­lich­keit von be­son­de­rer Prä­gung ein­ge­zo­gen und hat­te sich mit ei­ner Emp­feh­lung aus der Hei­mat bei uns ein­ge­führt. Es war ein be­gab­ter, viel­sei­tig an­ge­reg­ter Mensch von ein­drucks­vol­lem Äu­ße­ren und welt­män­ni­schem Auf­tre­ten, auch ein glän­zen­der Ge­sell­schaf­ter, so­bald er woll­te, aber kei­ne fro­he und auf­ge­schlos­se­ne Na­tur. Alt­ho­fen, so hieß er, be­nütz­te all­jähr­lich sei­ne Fe­ri­en von ei­nem Lehr­amt, um sich in Flo­renz künst­le­risch wei­ter­zu­bil­den: zur Zeit war er mit ei­ner Samm­lung sorg­fäl­tig aus­ge­führ­ter Aqua­rel­le nach far­bi­gen Ter­ra­kot­ten des Quat­tro­cen­to be­schäf­tigt, die er als Buch her­aus­zu­ge­ben ge­dach­te. Er er­schi­en fast an al­len un­se­ren Aben­den und pass­te sich der Ei­gen­tüm­lich­keit un­se­res Fa­mi­li­en­le­bens, wo je­des sei­nen be­son­de­ren Kopf hat­te, ganz selbst­ver­ständ­lich an, in­dem er auf die ver­schie­de­nen Nei­gun­gen und Be­lan­ge der Ge­schwis­ter mit sei­nem hel­len Welt­ver­stand ger­ne mit­be­ra­tend ein­ging. Ob­gleich er sich sehr hoch nahm und auch von an­de­ren so ge­nom­men sein woll­te, sag­te er von sich und der gan­zen Mensch­heit nur Übles, und das Le­ben selbst be­han­del­te er wie ein läs­ti­ges An­häng­sel, das bald­mög­lichst ab­zu­strei­fen ein Ge­winn wäre. Sol­che Stim­mun­gen, die im Lich­te des heu­ti­gen Ta­ges nicht mehr ver­ständ­lich sind, wa­ren da­mals durch die Satt­heit der lan­gen Frie­dens­jah­re und durch jene große all­ge­mei­ne Si­cher­heit, in der Nietz­sche die Grund­ur­sa­che al­ler Zeitü­bel sah, wie auch durch den phi­lo­so­phi­schen Pes­si­mis­mus in die Welt ge­kom­men. Mus­so­li­nis pe­ri­co­lo­sa­men­te vi­ve­re! lag noch in ei­ner fer­nen Zu­kunft, und man­chem er­schi­en ein so rings um­frie­de­tes und be­hü­te­tes Da­sein gar nicht mehr le­bens­wert. Es er­zeug­te viel­fach ge­ra­de un­ter den geis­ti­gen Na­tu­ren einen Welt- und Le­bens­ekel, der es als eine schö­ne und preis­wer­te Sa­che er­schei­nen ließ, auf die Ver­län­ge­rung ei­nes so frag­wür­di­gen Zu­stands frei­wil­lig zu ver­zich­ten. Alt­ho­fen er­zähl­te gern von Freun­den, die ohne ir­gend per­sön­li­chen An­lass, rein aus Über­zeu­gung vom Un­wert des Seins, ihr Le­ben mit ei­ge­ner Hand ge­en­det hät­ten, und von an­de­ren, die sich mit den glei­chen Vor­sät­zen trü­gen. Trotz sei­ner ab­spre­chen­den Züge hat­te sei­ne Ge­gen­wart doch im­mer et­was För­dern­des, denn er war kein Nein­sa­ger von Hau­se aus, son­dern auch schnell und freu­dig an­er­ken­nend, wo er das Schö­ne sah, und vor al­lem un­un­ter­bro­chen tä­tig; aber ir­gend­wie mit sich zer­fal­len, im in­ners­ten Zen­trum be­schä­digt und von da her­aus in Welt- und Selbst­ver­nei­nung ge­trie­ben, die er durch Scho­pen­hau­er­sche Lehr­sät­ze un­ter­stütz­te. Was er von sei­nem ei­ge­nen Le­ben mehr ah­nen ließ als mit­teil­te, hat­te al­les einen tief­dunklen Klang, aber es war nur wie ein Buch, von dem man ab und zu ein paar Sei­ten zu hö­ren be­kommt, die auf düs­te­re und schmerz­li­che Ka­pi­tel schlie­ßen las­sen, ohne einen Zu­sam­men­hang zu er­ge­ben. Nach ei­nem kur­z­en Be­frem­den bei der ers­ten Be­geg­nung, das auf ge­wis­se Ge­wollt­hei­ten

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