Quer durch Afrika. Gerhard Rohlfs

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Quer durch Afrika - Gerhard  Rohlfs Edition Erdmann

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       Tripolitanische Trachten

      Bevor die Gesellschaft auseinanderging, ereignete sich noch eine komische Szene. Mein Diener Hammed Tandjaui war durch den Abschied von seinen Bekannten in eine wehmütige Stimmung versetzt worden und hatte dann, um sie zu verscheuchen, ganz gegen seine Gewohnheit etwas zu tief in die Araki-Flasche geguckt. Da erschien ihm mein langes Ausbleiben bedenklich. Flugs machte er sich auf und lief von dem Landhaus in die Stadt, in die er, obgleich in Tripolis zur Nachtzeit die Tore geschlossen sind, sich unbemerkt einzuschleichen wusste. Plötzlich trat er nun in einem fast adamitischen Kostüm, eine große Laterne in der Hand, mitten in den Kreis der eleganten tripolitanischen Damenwelt. Große Bestürzung zuerst und Ausrufe von »shocking, shocking!«, dann aber ein nicht aufhören wollendes Gelächter, unter welchem man sich trennte und eine gute Nacht wünschte – für mich die letzte in Tripolis.

      Früh am 20. Mai war ich reisefertig. Als ich mich angekleidet und meine Geldbörse zu mir stecken wollte, vermisste ich ein Zwanzig-Franc-Stück; ich wusste ganz genau, dass ich tags zuvor hundert Francs aus der Kassette genommen hatte. Niemand anders, dachte ich, als Hammed, dem die Überwachung meines Geldes anvertraut war, kann das Stück entwendet haben, und in dem Verdacht, er habe sich seinen Rausch am vorigen Abend auf meine Kosten angetrunken, schlug ich, ohne auf die Beteuerungen seiner Unschuld zu hören, unbarmherzig auf ihn los. Durch die Ankunft einer Kavalkade aus der Stadt, an ihrer Spitze fast sämtliche Konsuln, welche herauskam, um mir bis zur Grenze der Mschia das Ehrengeleit zu geben, wurde glücklicherweise die Exekution unterbrochen, und zu meiner Beschämung fand ich bei wiederholtem Suchen in einer meiner Taschen das vermisste Goldstück. Hammed war außer sich; erst nach einigen Tagen gelang es mir, ihn zu beruhigen. »Ich weine nicht wegen der Schmerzen«, sagte er mehr als einmal, »die mir deine Schläge verursachten; aber ich werde nie vergessen, dass du an meiner Ehrlichkeit gezweifelt hast.« Dennoch hat er vergessen und mir die unverdient empfangene Züchtigung nicht nachgetragen; er war und blieb mein treuester Diener, treu und ehrlich bis zu seinem frühen Tod.

      »E-o-a! E-o-a!«, schrien die Kameltreiber, dann ihr einförmiges »Ssalam ala rassul oua nebbina« (Heil und Frieden über unseren Gesandten und Propheten) anstimmend. Dazwischen wehklagten Abschied nehmende arabische Weiber oder stießen ein gellendes »Yu, Yu!« aus. Das letzte Gepäck wurde auf die Kamele verteilt und befestigt, der Zug vollends geordnet, und um halb acht Uhr bewegte er sich, das Mittelmeer im Rücken, gemessenen Schrittes landeinwärts.

      ZWEITES KAPITEL

       Von Tripolis nach Rhadames

      Während am Tag zuvor ein starker Gebli (Südwind) die Temperatur schon zehn Uhr vormittags auf + 40 Grad Celsius gesteigert hatte, wehte jetzt ein angenehmes Meerlüftchen, das bald zum kräftigen Behari (Nordwind) heranwuchs. »Der Wind bläst günstig!«, konnte ich wie der den Hafen verlassende Schiffer ausrufen. Unter lebhaftem Plaudern erreichten wir den östlichen Saum des Palmenwaldes, den Anfang der Sanddünen. Man hat hier in nächster Nähe von Tripolis ein echtes afrikanisches Bild vor sich: schlanke immergrüne Palmen, Orangen- und Olivenbäume mit saftigem Blätterschmuck, unmittelbar daneben aber die öde Sanddüne, und alles überwölbt von einem trübblauen Himmel. In Nordafrika ist der Himmel beständig in graue Schleier gehüllt; der klare und tiefblaue Himmel des europäischen Südens zeigt sich erst wieder in der Region der Haufenwolken, d. h. in Zentralafrika während der Regenzeit.

      Beim Bir (Brunnen) Bu-Meliana am Rand der Dünen machte der Zug halt. Während die Wasserschläuche gefüllt wurden, leerte ich mit den Herren aus der Stadt noch ein Glas Wein, dankte für ihre freundliche Begleitung und stieß auf ein glückliches Wiedersehen an. Dann bestieg ich mein Kamel; noch ein Händedruck, ein Gruß – und damit hatte ich für lange Zeit der Zivilisation Lebewohl gesagt.

      Meine Karawane bestand außer mir aus sechs Leuten und ebenso vielen Kamelen. Nur ich und meine drei Diener waren bewaffnet, jeder von uns hatte immer eine Ladung für zwölf Schuss in Bereitschaft. Zuerst ging es in gerader südlicher Richtung hin; bergauf, bergab mussten sich unsere Tiere mühsam über und durch die weißen Sanddünen fortarbeiten. Nach einer Stunde kamen wir an den Bir Sbala, der wie der folgende, anderthalb Stunden davon entfernte Bir Huilet von einer kleinen krautreichen Einsenkung umfasst ist. Bei Letzterem fanden wir schon Araber mit einer weidenden Ziegenherde; der eigentliche Areg (die Sandzone) endet aber erst beim Bir Kicher, wo fruchtbares Ackerland beginnt. Hier teilt sich der Weg in zwei Arme. Man hatte uns gesagt, der westliche, der eine Richtung von 160 Grad hat, sei der nähere; wir verfolgten ihn und schlugen um halb vier Uhr nachmittags bei einem kleinen Duar (Zeltdorf) unser Lager auf. Da gab es nun noch viel zu ordnen und zu verbessern: Hier war eine Kiste zu schwer, dort ein Sack zu leicht; das Schuhzeug, d. h. die Sandalen der Leute, wurde neu und zweckmäßiger eingerichtet, kurz, die Zeit bis zur einbrechenden Nacht wurde zu allerhand Vorbereitungen für die Weiterreise benutzt.

      Am anderen Morgen um sechs Uhr, nachdem ein zudringlicher Kerl, der sich für besonders heilig ausgab, mir seinen Segen, natürlich für Geld, erteilt hatte, zogen wir wieder ab, schlugen aber die südöstliche Richtung ein, da die Duar-Bewohner uns den östlichen Weg als den näheren bezeichneten.

      Das Wetter war an diesem Tag ebenso günstig wie am vorhergehenden. Das Land fand ich zumeist gut angebaut, dennoch waren die Bewohner und ihre kleinen Zelte überaus ärmlich. Kaum kann man diese Behausungen noch Zelte nennen, und viele Familien besaßen nicht einmal solche, sondern noch elendere Hütten. Die Wirkung der das Volk aussaugenden türkischen Pascha-Wirtschaft macht sich eben auf Schritt und Tritt bemerkbar.

      Südlich von uns und südöstlich zur Seite hatten wir jetzt das Gebirge. Um zwei Uhr erreichten wir die ersten Vorberge, deren östlicher, Djebel Batas, eine relative Höhe von fünfhundert Fuß haben mag. Wir begegneten hier einer Karawane, die mit Sklaven und Sklavinnen von Mursuk kam und mir von Neuem bewies, dass der Menschenhandel in den türkischen Provinzen noch immer nicht aufgehört hat, obwohl die Pforte den europäischen Mächten fortwährend das Gegenteil versichert. Ich werde später Gelegenheit nehmen, auf dieses Thema eingehend zurückzukommen; hier sei nur bemerkt, dass in Tripolis zu der Zeit – und es dürfte seitdem kaum anders geworden sein – gerade die Regierung selbst den Sklavenhandel in jeder Weise begünstigte.

      Unser Marsch endete auch an diesem Tag schon um drei Uhr nachmittags. Die Treiber und Besitzer der Kamele, die ich zu meinen eigenen für die Reise gemietet hatte, weigerten sich nämlich weiterzugehen, und da ich selbst darauf bedacht sein musste, die Kräfte meiner Leute wie die der Kamele möglichst zu schonen, gab ich nicht ungern nach.

      Am 22. Mai befanden wir uns bereits beim Ausmarsch zwischen den Vorbergen des Djebel Ghorian. Die Hitze hatte etwas zugenommen, belästigte uns jedoch wenig, weil wir jetzt in höhere Luftregionen eintraten. Wir kreuzten mehrere Male den Uadi Madjar und gelangten um neun Uhr an den Fuß des eigentlichen Gebirges. Die uns zugekehrte Seite seines Abhangs ist fast gar nicht bewachsen, aber die Formen der Berge bieten einen malerischen Anblick. Und während ihre Rücken meist kahl sind, strotzen die Schluchten und Täler vor herrlichstem Grün; Palmen-, Orangen-, Oliven- und Feigenwälder gewähren da eine erquickende Augenweide, umso erquickender, je monotoner die Ebene ist, die man eben durchzogen hat.

      Aber wie hinaufkommen auf diese Bergwand? In der Tat hatten wir kein eigentliches Gebirge vor uns, sondern die zerklüftete Wand eines sehr hohen, ehedem wahrscheinlich die Grenze des nordafrikanischen Kontinents bildenden Ufers, das von Weitem allerdings täuschend wie eine zusammenhängende Gebirgskette aussieht. Wie wird es möglich sein, dachte ich, die Kamele da hinaufzutreiben! Aber es ging besser, als ich geglaubt hatte. Der Weg zieht sich in einer engen Schlucht aufwärts, und zwar mühsam, doch ohne erheblichen Unfall wurde er von unseren Kamelen zurückgelegt. Überhaupt ist dieser ganze Weg einer der schwierigsten, was örtliche Hindernisse anbetrifft, bedeutend gefährlicher als der über Sintan. Manchmal schauderte mich, wenn mein Kamel dicht an einem

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