Quer durch Afrika. Gerhard Rohlfs
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Außer dem Hauptort Derdj hat die Oase Derdj (Stufe), so genannt, weil sie am steilen Abhang oder Rand der Hammada liegt, noch drei kleinere Ortschaften: Tugutta, Tefelfelt und Matres. Die Bewohner von Derdj, Tugutta und Tefelfelt sind nicht arabischen, sondern berberischen Ursprungs; nur Matres ist von Arabern bewohnt. Erstere werden von den umwohnenden Stämmen auch mit dem gemeinsamen Namen Mammeluki belegt, was wohl auf ihre frühere Verbindung mit der Regierung von Tripolis hindeuten soll. Aber weder die Berber noch die Araber der Oase Derdj zeigen im Äußeren die charakteristischen Merkmale dieser Völkerrassen, sie sind so stark mit Negerblut durchsetzt, dass man sie eher wohlgestaltete Schwarze mit kaukasischer Gesichtsbildung nennen als zu den Weißen rechnen möchte. Ihre Gemütsart anlangend, fand ich sie gastfrei, gutmütig, aber etwas apathisch. Mit der Reinlichkeit schienen sie in beständigem Kampf zu leben, dagegen mit dem Schmutz auf vertrautestem Fuß zu stehen. Die Häuser, aus Stein erbaut, gleichen ganz den in den übrigen Ksors dieser tripolitanischen Gegend. Ihr Inneres ist unsauber und dient Ziegen wie Menschen zum gemeinsamen Aufenthalt. In den meisten gibt es jedoch einen abgesonderten Raum, ein Staatszimmer, in dem die Mitgift der Frau oder der Frauen, in einer großen Zahl messingener Schüsseln bestehend, aufbewahrt wird. Alle die blanken Schüsseln prangen hier an den Wänden und werden nie benutzt, scheinen also keinen anderen Zweck zu haben, als den Reichtum der Familie zur Schau zu stellen, da Kupfer hierzulande ein seltenes und kostbares Metall ist.
Der Boden um Derdj wird hauptsächlich durch das Uadi Tinaout bewässert. Außer dem oberirdisch fließenden Wasser fördert man jedoch auch Wasser durch Fogarat (unterirdische Galerien, Brunnen) sowie durch Ziehbrunnen zutage. Die vorhandenen Palmengärten würden zur Ernährung der Einwohnerschaft mehr als ausreichen, wenn nicht zwei Drittel der Gärten und Bäume an Rhadameser oder an Djebeli verkauft wären. Es zeugt für die Indolenz der Bewohner, dass sie einen Teil ihres Grund und Bodens und ihrer kostbaren Habe, der Dattelbäume, infolge schlechter Wirtschaft in fremden Besitz kommen ließen. Wie überall in den Oasen werden auch hier Bäume und der Boden, auf dem sie stehen, getrennt voneinander verkauft, ein Gebrauch, der natürlich oft zu heftigen Streitigkeiten Anlass gibt; so klagt z. B. der Besitzer einer Palme gegen den Grundeigentümer, der Baum sei eingegangen, weil er nicht genügend bewässert worden sei usw. Das Areal, selbst das von Gärten, ist in Derdj, wenn man die Fruchtbarkeit des Bodens und den Wasserreichtum in Betracht zieht, billig zu haben. Felder mit fließendem Wasser werden natürlich teurer bezahlt. Hingegen stehen die Bäume, den Wert des Geldes in Anschlag gebracht, verhältnismäßig hoch im Preis. Für eine Palme der edleren Gattung, zumal eine solche, die alljährlich eine Kamelladung Datteln liefert, zahlt man bis zu über hundert Mahbub, für eine Kamelladung Datteln der besten Sorte sieben bis acht Mahbub. Die Zahl der Dattelpalmen in den vier Orten zusammen dürfte sich auf ungefähr dreihunderttausend Stück belaufen. Was die sonstige Produktion betrifft, so unterscheidet sich die Oase Derdj nicht von den anderen Oasen der Hammada. Sie hat – außer dem Zehnten von allen Früchten – 1182 Mahbub an Abgaben zu entrichten.
Mein Unwohlsein steigerte sich in bedenklicher Weise. Der Mudir des Ortes riet mir, Lakbi dagegen zu nehmen, und ich nahm in der Tat einen Topf voll dieses abscheulichen Getränks zu mir. Anfangs verschlimmerte sich die Diarrhö danach, aber gegen Abend des zweiten Tags spürte ich Besserung, sodass ich mich imstande fühlte, den kurzen Marsch nach Rhadames zurückzulegen, wo ich auf bessere Verpflegung und längere Ruhe hoffen durfte. Da meine Kameltreiber aus Misda dorthin zurückgekehrt waren, mietete ich in Matres andere, und nachdem ich noch, soweit ich es vermochte, alle Bettler in Derdj befriedigt hatte, brachen wir am 15. Juni morgens um halb acht Uhr auf.
In Richtung 275 Grad längs dem Uadi Milha hinziehend, erreichten wir nach drei Stunden Matres und ›gielten‹ daselbst im Schatten einiger Palmen. Der kleine Ort hat nur circa hundert Einwohner, die sich hauptsächlich vom Vermieten ihrer Kamele ernähren, denn Palmen gibt es dort nicht viele, und die meisten davon sind Eigentum der Rhadameser.
Der Weg von hier nach Rhadames soll nicht allzu sicher sein. Mehrere Leute von Derdj, von Matres und einige vom Stamm der Uled Mahmud baten daher, sich mir anschließen zu dürfen, und da sie alle mit Flinten bewaffnet waren, sah ich diese Verstärkung meiner Karawane nicht ungern, obschon ich neue Angriffe auf meine Mundvorräte von ihnen gewärtigen musste, eine Voraussicht, die sich dann auch in vollem Maße bestätigte.
Um fünf Uhr nachmittags zogen wir in Richtung 265 Grad weiter. Ich hatte die Absicht, den Marsch bis Mitternacht fortzusetzen, um von der Kühle der Nacht zu profitieren. Aber kaum war eine halbe Stunde im langsamen und gleichmäßigen Kamelschritt zurückgelegt, als an der Spitze der Karawane sich ein großer Lärm erhob, in dem ich sofort das klagende Gebrüll eines Kamels unterschied. Ich ritt in der Regel am Ende des Zuges, um etwaige Unordnungen leichter wahrnehmen und abstellen, auch die Leute besser überwachen zu können. Schnell trieb ich mein Kamel an; die ganze Karawane machte inzwischen halt, und so ließ sich mit einem Blick das angerichtete Unglück überschauen. Mein Neger Cheir hatte aus Versehen mit seinem Stock dem Tier das rechte Auge aus dem Kopf geschlagen, das nun blutig am Boden lag. Bekanntlich haben die Kamele sehr stark hervortretende Augen. Während das verletzte Tier noch immer sein klägliches Gebrüll ausstieß, lärmte und tobte der Eigentümer desselben, ein Bewohner von Matres, und drohte sogar handgreiflich zu werden. Was war zu tun? Er sprach vom Kadhi, von Schadenersatz oder Umtausch gegen eines meiner Kamele, und ich selbst konnte ihm nicht unrecht geben, denn sein Kamel war ein junges und starkes Tier. Am liebsten hätte er es gesehen, wenn die ganze Karawane nach Derdj zurückgekehrt und der Fall dem dortigen Kadhi zur Entscheidung übergeben worden wäre. Darauf ging ich jedoch nicht ein, sondern sagte ihm, falls er die Sache vor den Richter bringen wolle, könne er dies in Rhadames ebenso gut tun. Indessen hoffte ich, bis dahin mich gütlich mit ihm zu einigen. Nachdem er noch eine kurze Strecke parlamentierend neben mir hergegangen war, erbot er sich schließlich, ein anderes Kamel aus Matres zu holen und mir dann zum Kadhi von Rhadames zu folgen. Er machte sich auf den Weg, und wir lagerten um sechs Uhr, um seine Rückkunft zu erwarten. Wirklich erschien er nach einigen Stunden wieder, aber statt eines Kamels seinen Bruder mitbringend. Auch dieser verlangte, dass ich mit ihnen umkehren oder wenigstens den Täter, meinen Neger Cheir, an den Kadhi von Derdj zur Aburteilung entsenden solle. Als sie aber sahen, dass ich fest auf dem Weitermarsch beharrte, schlugen sie zuletzt vor, ich möge selbst als Bei (sowohl in meinem Firman wie in dem Bu-Djeruldi war mir der Titel Bei verliehen) das Urteil in der Sache fällen – ein sehr schlauer Vorschlag, denn sie appellierten damit zugleich an meine Gerechtigkeit und an meine Großmut. Ich gestand ihnen denn auch, wie von Anfang an, bereitwilligst zu, dass sie Anspruch auf Schadenersatz hätten, gab ihnen aber zu bedenken, wie ungerechtfertigt ihre Forderung wäre, den vollen Wert des verletzten Tieres bezahlt zu erhalten, da ein Kamel doch kein Luxustier sei und der Verlust eines Auges seine Tragfähigkeit nicht beeinträchtige; selbst der fünfte Teil des Wertes würde daher ein noch viel zu hoher Ersatz sein. Sodann fragte ich sie, ob nach dortigem Gebrauch der Herr für jeden Schaden, den sein Diener angerichtet, unbedingt aufkommen müsse. »Cheir«, lautete die Antwort, »ist kein Diener, sondern dein Sklave.« Wäre dies richtig gewesen, so hätte ich allerdings die Verpflichtung gehabt, vollen Ersatz zu leisten, denn wie alles, was der Sklave verdient, nach mohammedanischem Recht seinem Herrn gehört, ist auch der Schaden, der durch einen Sklaven angerichtet wird, von seinem Herrn zu tragen. Ich schwor, dass Cheir nicht mein Sklave, sondern ein gemieteter Diener sei, und meine übrigen Diener beschworen dasselbe mit den kräftigsten Eiden. Der Mohammedaner liebt es bekanntlich, bei jeder Gelegenheit zu schwören, und erwartet auch von anderen die Beteuerung der geringfügigsten Aussage durch einen feierlichen Schwur. Dass von Cheir selbst, der seit Kurzem erst in meinen Diensten stand, folglich keine Schätze besaß, nichts zu erpressen war, leuchtete den beiden Brüdern ein. So fügten sie