Gesammelte Werke. Джек Лондон
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Seine Finger tasteten kraftlos an dem offenen Hemd nach dem Lederriemen, an den eine Brieftasche angeschnallt war. – Das Kanu kam gut vom Ufer ab. Sie brauchten jetzt nur noch der Strömung zu folgen und hatten nicht mehr viel Anstrengung nötig. Corliss’ nackter Rücken färbte sich schnell, die Sonne brannte ihn tiefrot, und Frona griff ins Wasser, spritzte ihm Kühlung über den Rücken:
»Heute Abend werden Sie mit Goldcreme behandelt, wie ein neugeborenes Baby! Darauf freue ich mich!«
»Wir haben heute eine gute Tat getan«, bemerkte der Schotte. »Das ist Gott wohlgefällig, einem Bruder in der Not zu helfen.«
»Besonders, wenn’s einem schwerfällt«, antwortete Corliss.
*
Sie landeten – aber auch die Heimfahrt hatte noch schwere Kämpfe gekostet, und öfters als einmal waren sie nur durch Wunder dem Tod entgangen – auf einer der »Split-up-Island«, nicht der, auf der Welses Lager war. Jetzt lagen sie unter alten Bäumen. Die Sonne schien spärlich durch die grünen Kiefernnadeln zu ihnen herein, Rotkehlchen sangen, und ein Riesenvolk von Grillen zirpte den Frühling an. Dort schliefen sie tief, viele Stunden lang, bis die tödliche Erschöpfung verwunden war. Am liebsten hätten sie für Tage und Nächte die Augen nicht wieder aufgetan. Aber der gerettete Indianer musste Pflege haben. Noch eine Anstrengung … dann war das Werk getan.
Frona und Corliss drangen auf zitternden Beinen in das Innere der Insel ein. Sie stießen bald auf ein großes Blockhaus, aber kein Mensch war zu sehen.
»Gehen Sie zu unserem Patienten zurück, Vance. Ich bin noch lange nicht so müde wie Sie. Schließlich ist Steuern nicht dasselbe wie Rudern.«
Auf der anderen Seite der Hütte pochte Frona an die Tür. Als keine Antwort kam, öffnete sie und trat ein. Sie hatte nicht erwartet, einen Menschen anzutreffen, und nun war der ganze Raum voll von Männern, alle so völlig in Anspruch genommen, dass keiner auf sie achtete. Sie saßen in zwei Reihen auf langen Schlafpritschen, dazwischen war ein schmaler Gang, an dessen Ende ein breiter Tisch stand. Auf diesen Tisch schien sich alle Aufmerksamkeit zu konzentrieren.
Frona kam aus dem blendenden Sonnenlicht und tastete anfangs wie durch Nacht, sodass sie das ganze Bild nur wie Schatten aufnahm und beinahe für einen Spuk hielt. Dann aber, als sie sich an das Halbdunkel gewöhnt hatte, erkannte sie, dass an dem Tisch ein bärtiger Amerikaner saß, der von Zeit zu Zeit mit einem leichten Hammer auf das Holz schlug. Ihm gegenüber kauerte auf einer Bank Gregory St. Vincent. Er sah erschöpft und so verzweifelt aus, als hätte er viele Stunden lang geweint. Sein hübsches Gesicht war vor Angst ganz zerstört.
Der Mann mit dem Hammer hob die rechte Hand und sprach vor: »Schwören Sie, dass alles, was Sie hier vor Gericht erklären werden …«
Er hielt plötzlich an und sah zornig auf einen Mann, der an der anderen Seite des Tisches stand.
»Nehmen Sie den Hut ab!« sagte er heiser und drohend. Als der Mann gehorchte, lief ein breites Lachen durch die versammelte Menge. Dann begann der mit dem Hammer zum zweiten Mal:
»Schwören Sie, dass alles, was Sie hier vor Gericht erklären werden, die Wahrheit, die reine Wahrheit und nichts als die reine Wahrheit ist! So wahr Ihnen Gott helfen möge!«
Der Zeuge, der wie ein Schwede aussah, hob den Arm, um den Eid nachzusprechen.
»Halt! Einen Augenblick, meine Herren!« rief Frona und drängte durch den schmalen Gang nach vorn. St. Vincent hörte den Klang ihrer hellen Stimme, sprang auf und streckte ihr die bebenden Arme entgegen.
»Frona!« rief er, und in seinem Ton lag etwas wie Glück. »Frona! Du musst mir glauben, dass ich unschuldig bin!«
Einen Augenblick war alles, was Frona in dem schwachen Licht wahrnahm, eine Masse weißer Gesichter mit vielen brennenden Augen, die wie eine gespenstische Drohung St. Vincent umgaben.
Unschuldig? Welcher Tat sollte er unschuldig sein? Was wollten diese Menschen von ihm? Weswegen hatten sie ihn angeklagt? Gestern Abend noch hatte er harmlos und hilfsbereit in ihrem Kreise gesessen, war nur auf eine kurze Rast, und um sich für die Rettungsexpedition zu rüsten, nach Hause gegangen … was konnte er während dieser wenigen Stunden verbrochen haben?
»Eine Freundin des Angeklagten«, sagte der Richter mit dem Hammer. »Will einer von euch einen Stuhl für sie holen?«
»Einen Augenblick …«
Sie schwankte auf den Tisch zu und legte die Hand darauf.
»Ich habe einen Antrag zu stellen …«
Ihr Blick glitt an der eigenen Gestalt nieder, sie sah, dass ihre Füße in schmutzige Lumpen gewickelt waren, dass sie eine zerfetzte Hose trug, dass ihr Arm aus einem Riss im Ärmel hervorsah, und dass das Haar ihr um die Ohren wehte. Ihre Wangen und die eine Seite ihres Halses waren von einem merkwürdig klebrigen Stoff überzogen. Sie kratzte mit der Hand daran, Brocken getrockneten Schlammes fielen zu Boden.
»Was geht hier vor …? Ich verstehe das alles nicht«, stotterte sie.
»Setzen Sie sich jetzt, Fräulein«, sagte der Vorsitzende freundlich. »Wir sind alle in derselben Lage wie Sie. Wir verstehen es auch nicht. Aber Sie können mir glauben, wenn ich Ihnen sage: wir sind hier, um die Wahrheit zu finden. Und die werden wir finden! Setzen Sie sich.«
Sie hob die Hand: »Einen Augenblick …«
»Setzen Sie sich!« sagte der Mann mit dem Hammer streng. »Das Gericht darf nicht gestört werden.«
Missbilligende Worte, ein drohendes Murmeln kamen aus der Versammlung, der Mann schlug mit dem Hammer auf den Tisch, um Schweigen zu gebieten. Aber Frona blieb stehen.
»Herr Vorsitzender, wenn das hier ein Gericht ist …«
Der Mann nickte.
»… dann habe ich ebensoviel Recht, gehört zu werden, wie jeder andere. Ich habe eine wichtige Mitteilung zu machen.«
»Aber