Der Landdoktor Staffel 3 – Arztroman. Christine von Bergen
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Ihr entging nicht, wie er seiner Frau unterm Tisch einen leichten Tritt versetzte. Daraufhin wechselte Monika das Thema und ließ sich ausgiebig darüber aus, wie viele Menschen bei diesem schönen Wetter in Freiburg gewesen waren, dass die Parkplätze dort so rar wären, die engen Gassen stickig und, und, und …
»Wann siehst du deinen Lover wieder?«, erkundigte sich Jenny bissig.
Angela sah sie an und wusste, dass sie das mit schneidendem Blick tat.
»Am Wochenende«, sagte sie mit erzwungener Ruhe, fasste all ihren Mut zusammen und fügte hinzu: »Ich werde übers Wochenende in Freiburg sein.«
In den nächsten Sekunden hätte man die sprichwörtliche Stecknadel am Tisch fallen hören können. Niemand sagte etwas, nur das Besteck klirrte auf den Tellern. Angela spürte die Gänsehaut, die ihr den Rücken hinauf in den Nacken kroch. Sie hatte das sichere Gefühl, gleich eine Bombe explodieren zu hören. Doch alles blieb ruhig. Selbst Jenny hielt dieses Mal den Mund. Nach ein paar hämmernden Herzschlägen begann ihr Vater mit einem anderen Thema, auf das ihre Mutter besonders eifrig einstieg. Als die Häferles später, wie jeden Abend nach dem Essen, sich alle zusammen die Tagesnachrichten im Fernseher ansahen, fragte sich Angela, wie das Nachspiel ihrer Ankündigung wohl aussehen mochte.
Denn eines war ihr klar, so einfach würden ihre Eltern nicht akzeptieren, dass sie nun in festen Händen war.
*
Christian Kofler wurde im Hause Häferle in den kommenden Tagen nicht mehr erwähnt. Angela ging ihrer Arbeit nach, und die anderen taten das, was sie immer getan hatten: Hauptsächlich nichts, bis auf Jenny, die für eine Mathematikarbeit büffeln musste, was ihre gute Laune nicht gerade förderte.
Abends nach den Nachrichten zog sich Angela in ihr Apartment zurück, um mit Christian zu telefonieren. Ihre Gespräche liefen ab wie die aller Verliebten. Sie plauderten, neckten sich, flirteten, malten sich in den schönsten Farben aus, was sie am Wochenende unternehmen wollten. Christian hatte große Pläne, und Angela war glücklich. An diesen Abenden klingelte während ihres Gesprächs mindestens einmal das Haustelefon. Angelas Vater, ihre Mutter oder Jenny – irgendeiner wollte immer etwas. Und meistens ließ sich Angela nach dem Telefonat mit ihrem Freund dann auch noch einmal im Elternhaus sehen, um das Gewünschte zu erledigen. Immerhin schien ihre Familie einen Mann an ihrer Seite akzeptieren zu wollen. Damit hatte sie gar nicht gerechnet. Deshalb wollte sie die Situation nicht auf die Spitze treiben und gleich auch noch ein paar ihrer bisherigen Pflichten niederlegen.
*
In der Nacht von Freitag auf Samstag wälzte sich Monika Häferle unruhig im Bett. Es war eine schöne Nacht, mit einem klaren runden Mond und abertausend Sternen am Himmel, aber Angelas Mutter hatte kein Auge für diese Schönheit der Natur. Der Gedanke daran, dass ihre Tochter am kommenden Tag nach Freiburg zu ihrem Freund fahren und dort bis Sonntag bleiben wollte, raubte ihr den Schlaf. Ein Gefühl größter Unsicherheit befiel sie.
Was sollte sie ohne ihre Älteste tun? Was wäre, wenn sie wieder einen Asthmaanfall bekommen würde? Niemand, auch ihr Mann nicht, konnte sie so gut beruhigen wie Angela. Schon jetzt spürte sie, wie sich um ihre Brust eine Klammer legte, die enger und enger wurde. Kalter Schweiß trat ihr auf die Stirn. Jäh richtete sie sich im Bett auf. Mit klammen Fingern öffnete sie den Halsausschnitt ihres Nachthemds. Ihr Mann bekam davon nichts mit. Natürlich nicht. Axel lag schnarchend neben ihr und zeigte ihr den breiten Rücken.
Sei vernünftig, befahl sich Monika, nur weil Angela übers Wochenende weg sein wird, musst du jetzt keinen Asthmaanfall bekommen. Du hast in deiner Jugend auch Freunde gehabt, und deine Mutter ist nicht daran gestorben.
Nachdem sie so hart mit sich ins Gericht gegangen war, löste sich das eiserne Band um ihre Brust auch tatsächlich wieder ein bisschen. Und trotzdem. Ihre Gedanken gingen weiter auf Reise.
Sie stellte sich vor, wie es weitergehen würde, falls sich aus der Bekanntschaft zwischen Angela und dem Vetter von deren Freundin etwas Ernstes entwickeln sollte. Vielleicht würde ihre Tochter sogar wieder wegziehen und sie alle hier allein lassen. Aber war das nicht der normale Gang im Leben einer jungen Frau? Sie selbst hatte damals auch ihr Elternhaus verlassen, um mit Axel eine Familie zu gründen.
Monikas Kopf wollte in dieser Nacht nicht mehr zur Ruhe zu kommen. Und als morgens der Wecker klingelte, fühlte sie sich zerschlagen wie schon lange nicht mehr. Unsicherheit beherrschte plötzlich das Leben in ihrem Haus. Zwischen seinen Wänden breitete sich die Ahnung aus, dass es hier bald zu Veränderungen kommen würde, die sie, ihren Mann und auch Jenny vor schier unüberwindbare Probleme stellen würden. Nein. Angela, die mit ihrer ruhigen Kraft und sicheren Hand hier alles seit zwei Jahren lenkte, durfte nicht weggehen. Sie war der Anker der Familie. Was sollte sie mit ihrem Asthma und ihrer starken Arthrose im Knie ohne ihre ältere Tochter machen? Und ihr Mann? Und Jenny, die sich gerade in den Flegeljahren befand? Auch für ihre Jüngste war Angela ein Vorbild. Wenn Jenny sich doch noch so gut entwickeln würde wie ihre ältere Tochter, würde sie sich keine Sorgen mehr machen müssen. Falls Angela jedoch bald schon nicht mehr zu Hause leben würde, sah sie diesbezüglich wenig Chancen. Sie und ihr Mann würden mit Jenny allein gar nicht mehr nicht fertig werden.
*
Nach dem Mittagessen und nachdem sie die Küche aufgeräumt hatte, fuhr Angela nach Freiburg. Dieses Mal war ihr Ziel das alte Schwarzwaldhaus in den Wiesen vor den Toren der Stadt.
Schon als sie es in der Ferne liegen sah, überkam sie das Gefühl, als würde sie in einen sicheren Hafen steuern. Und als Christian sie dann in die Arme schloss, war ihr zumute, als wäre dort angekommen, wo sie immer hatte sein wollen: An einem sicherem Ort, wo es nur Geborgenheit, Ruhe, Frieden und Liebe gab. Zumindest einmal ab jetzt vierundzwanzig Stunden lang.
»Ich habe einen Kuchen gebacken«, teilte ihr Christian freudestrahlend mit.
»Was hast du?« Sie glaubte, ihn falsch verstanden zu haben.
Ein Mann, der Kuchen buk?
»Du wirst dich noch wundern«, fuhr er mit geheimnisvollem Lächeln fort. »Ich kann auch kochen.«
»Du … Du bist ja wirklich der Traummann schlechthin«, stammelte sie verwirrt.
»Traummann und Traumfrau, das passt doch«, meinte er zwinkernd, bevor er sie wieder in die Arme nahm und voller Innigkeit küsste. Dann ließ er sie los. »Komm mit auf die Terrasse. Hast du Gepäck dabei?«
»Im Kofferraum, nur eine Tasche.«
Er öffnete ihn, nahm die Tasche heraus und trug sie in den Flur. Dann betraten sie Hand in Hand die große Holzterrasse, die einen unverstellten Blick auf das blühende Wiesental bot. Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel, Vögel zwitscherten in den Kirschbäumen mit den prallen roten Früchten, und in der warmen Luft hing der Duft frisch geschlagener Fichten.
»Bis eben haben die Waldarbeiter dort oben ziemlich viel Lärm gemacht«, erklärte Christian ihr, der gesehen haben mochte, wie sie mit innerer Verzückung einen tiefen Atemzug gemacht hatte. »Für den Rest des Tages wird es aber bestimmt ruhig bleiben.«
»Der Geruch ist einmalig«, sagte sie lächelnd. »Schöner als jedes Parfüm.«
»Besser als Benzin und Diesel?«, fragte er mit einem Funkeln in den dunklen Augen.
»Da sagst du etwas.« Sie seufzte. »Im Nachhinein bin ich ganz froh, dass ich meine damaligen