Der Landdoktor Staffel 3 – Arztroman. Christine von Bergen
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»Ich bin schon auf dem Weg zu Ihnen«, versprach er ihm. »Versuchen Sie, Ihre Frau zu beruhigen. Öffnen Sie alle Knöpfe ihrer Kleidung, alles, was beengen könnte.«
»Klingt nach Infarkt«, sagte Matthias dann zu seiner Frau, die das Telefon auf die Konsole zurück legte.
»Gerade heute Abend, wenn Angela bei ihrem Freund ist«, bemerkte Ulrike trocken.
»Vielleicht hat sich Frau Häferle darüber aufgeregt.«
»Ist sie denn auch herzkrank?« Die Landarztfrau sah ihren Mann von der Seite an.
»Bis jetzt noch nicht«, murmelte dieser.
Ein paar Minuten später sahen die beiden das Wohnhaus der Häferles hell erleuchtet an der Landstraße liegen.
Kaum hatte Matthias angehalten, da öffnete Axel Häferle auch schon die Tür.
»Schnell, Herr Doktor. Meine Frau hat starke Schmerzen.«
Der Landdoktor fand seine Patientin im Bett sitzend vor. Sie rang nach Atem. Rasch nahm er das Spray, das auf dem Nachttisch stand, und sprühte ihr das Medikament auf die Zunge. Dann ließ er sich von ihr die Schmerzen schildern.
»Ich möchte Ihr Herz abhorchen«, sagte er daraufhin.
Ob Monika Häferle dieses Mal einen Angina-pectoris-Anfall hatte?
»Das Spray hilft nicht«, hörte er ihren Ehemann hilflos hinter sich sagen. »Das hat sie eben schon genommen.«
»Sie bekommt gleich noch eine Spritze«, murmelte Matthias, holte das Stethoskop aus der Tasche und kontrollierte die Herztöne. Währenddessen fragte ihr Mann ängstlich: »Was hat sie denn nur?«
»In Kombination mit den Schmerzen im linken Arm könnte es auch ein Angina-pectoris-Anfall gewesen sein. Ich muss Ihre Frau in der Praxis gründlich untersuchen. Ein EKG wird genaueren Aufschluss über die Diagnose geben.«
»In dieser Nacht noch?«, fragte Monika Häferle entsetzt.
Der Landarzt sah sie ernst an. »In dieser Nacht noch. Wenn Sie mich rufen, muss ich auch gänzlich meiner Pflicht nachgehen.«
»Ich habe noch nie etwas mit Angina pectoris zu tun gehabt«, widersprach seine Patientin ihm, der es sichtlich lästig war, zu dieser Uhrzeit noch das Haus zu verlassen.
»So etwas kann irgendwann kommen.« Er lächelte sie kurz an. »Vielleicht irre ich mich ja auch. Auf jeden Fall muss ich der Sache nachgehen.«
»Hat das nicht Zeit bis morgen?«
»Angela muss jeden Augenblick kommen. Die hilft dir, dich anzuziehen«, sagte Axel Häferle zu seiner Frau.
Dabei strich er beruhigend über den Rücken.
Matthias horchte auf.
»Sie haben Ihre Tochter benachrichtigt?«
»Natürlich. Was soll ich als halber Mann denn tun?« Die Stimme von Angelas Vater klang vorwurfsvoll.
»Sie haben noch eine zweite Tochter, die durchaus in dem Alter ist, ihrer Mutter helfen zu können«, erwiderte er mit aufsteigendem Unmut.
Er wusste ja, dass Angela an diesem Abend bei ihrem neuen Freund in Freiburg war. Vor knapp zwei Stunden hatte er die beiden noch gesehen. Glücklich, unbeschwert. Und jetzt wurde die junge Frau von ihren Eltern schon wieder abgerufen. Aber nicht nur das. Sie schien dem Ruf ja auch gefolgt zu sein, wenn ihr Vater sie jeden Moment erwartete. Es wurde wirklich allerhöchste Zeit, dass Angela lernte, sich nicht für alles verantwortlich zu fühlen, was bei ihr zu Hause passierte. Sie musste endlich lernen, ihr eigenes Leben zu führen. Immerhin war sie ebenfalls krank. Krank durch die Verantwortung, die auf ihr lastete und der sie sich aus einem übertriebenen Gefühl der Dankbarkeit stellte.
»Bitte wecken Sie Jenny«, sagte er betont kühl. »Sie soll ihrer Mutter helfen, sich anzuziehen. Danach fahren wir in meine Praxis.«
»Nicht nötig, ich bin schon hier«, vernahmen nun alle drei eine tonlos klingende Stimme in der Schlafzimmertür.
Sie gehörte einer blassen jungen Frau mit verstörtem Ausdruck in den nebelgrauen Augen.
»Guten Abend, Herr Doktor«, begrüßte Angela den Landarzt. Dann eilte sie auf ihre Mutter zu, die wie eine Ertrinkende auf hoher See den Arm nach ihrer Ältesten ausstreckte.
»Liebes, wie gut, dass du hier bist«, sagte Monika Häferle. »Weißt du, was ich jetzt noch haben soll? Angina pectoris. Nun auch das noch, neben Asthma und Arthrose.« Sie zog Angela zu sich aufs Bett. »Danke, mein Kind, dass du gekommen bist. Aber du bleibst doch jetzt hier, nicht wahr?«
Matthias fing den hilflosen Blick auf, den Angela ihm zuwarf. Da nahm er sich fest vor, mit ihren Eltern in naher Zukunft zu reden. Diese Nacht war leider für ein ernstes Gespräch über deren unangemessenes Verhalten ihrer Tochter gegenüber der falsche Zeitpunkt.
*
»Wetten, dass Angela morgen zu Hause bleibt, statt den Sonntag mit ihrem Freund zu verbringen?«, sagte Ulrike Brunner zu ihrem Mann auf dem Weg zur Praxis.
Sie war im Auto sitzen geblieben und hatte mitbekommen, das Angela in einem Höllentempo gekommen und ins Haus gerannt war.
Matthias warf einen Blick in den Rückspiegel.
Die junge Frau fuhr dicht hinter ihnen her. Neben ihr auf dem Beifahrersitz saß Monika Häferle, deren Mann sich wahrscheinlich längst wieder schlafen gelegt hatte. Und Jenny hatte sich überhaupt nicht sehen lassen.
»Das ist ein unhaltbarer Zustand«, erwiderte er wütend. »Angela ist zwar durchsetzungsstark, aber bei ihren Eltern scheint dieser Charakterzug völlig zu versagen. Das sehe ich mir nicht länger an. Sie macht sich selbst krank. Anfang kommender Woche werde ich mit ihren Eltern reden.«
»Finde ich auch. Wenn sie es selbst nicht schafft, aus dieser Tretmühle herauszukommen, solltest du als ihr behandelnder Arzt einschreiten«, stimmte Ulrike ihm zu.
Vor der Praxis angekommen, machte Monika Häferle schon einen deutlich muntereren Eindruck. Sie war glücklich, ihre Älteste bei sich zu haben. An ihrem Verhalten Angela gegenüber erkannte Matthias jedoch auch, wie sehr sie ihr adoptiertes Kind liebte, was ihn gleich schon wieder etwas milder gegen sie stimmte. Als er dann jedoch mit Hilfe des EKGs feststellte, dass er sich in seiner Diagnose geirrt hatte, drängte sich ihm der Verdacht auf, seine Patientin könnte ihre Symptome vielleicht nur erfunden haben, um Angela unter Druck zu setzen.
»Ich kann Sie beruhigen, Sie hatten keinen Angina-pectoris-Anfall gehabt«, teilte er ihr schließlich mit. »Ihr Herz ist in Ordnung.«
»Aber ich hatte wirklich Schmerzen im linken Arm«, verteidigte sich Angelas Mutter.
Mag sein, dachte der Landarzt bei sich. Wie schnell konnte die Psyche den Menschen etwas vorgaukeln, was in Wirklichkeit anders war.
Er wandte sich an Angela und sah sie bedeutsam an. »Wie dem auch sei, deine Mutter hatte wahrscheinlich nur eine stärkere Panikattacke. Wenn die Psyche durcheinander ist, bildet man sich