daß ich nun verloren sei. Rettung durch Flucht – so dachte ich und riß das Fenster auf. – Ich erblickte Bewaffnete vor dem Hause, von denen mich einer sogleich bemerkte. “Wohin?” rief er mir zu, und in dem Augenblick wurde die Türe meines Schlafzimmers gesprengt. Mehrere Männer traten herein; bei dem Leuchten der Laterne, die einer von ihnen trug, erkannte ich sie für Polizeisoldaten. Man zeigte mir die Ordre des Kriminalgerichts, mich zu verhaften, vor; jeder Widerstand wäre töricht gewesen. Man warf mich in den Wagen, der vor dem Hause hielt, und als ich, an den Ort, der meine Bestimmung schien, angekommen, frug, wo ich mich befände, so erhielt ich zur Antwort: “In den Gefängnissen der obern Burg.” Ich wußte, daß man hier gefährliche Verbrecher während des Prozesses einsperre. Nicht lange dauerte es, so wurde mein Bette gebracht, und der Gefangenwärter frug mich, ob ich noch etwas zu meiner Bequemlichkeit wünsche. Ich verneinte das und blieb endlich allein. Die lange nachhallenden Tritte und das Auf-und Zuschließen vieler Türen ließen mich wahrnehmen, daß ich mich in einem der innersten Gefängnisse auf der Burg befand. Auf mir selbst unerklärliche Weise war ich während der ziemlich langen Fahrt ruhig geworden, ja in einer Art Sinnesbetäubung erblickte ich alle Bilder, die mir vorübergingen, nur in blassen, halberloschenen Farben. Ich erlag nicht dem Schlaf, sondern einer Gedanken und Phantasie lähmenden Ohnmacht. Als ich am hellen Morgen erwachte, kam mir nur nach und nach die Erinnerung dessen, was geschehen und wo ich hingebracht worden. Die gewölbte, ganz zellenartige Kammer, wo ich lag, hätte mir kaum ein Gefängnis geschienen, wenn nicht das kleine Fenster stark mit Eisenstäben vergittert und so hoch angebracht gewesen wäre, daß ich es nicht einmal mit ausgestreckter Hand erreichen, viel weniger hinausschauen konnte. Nur wenige Sonnenstrahlen fielen sparsam hinein; mich wandelte die Lust an, die Umgebungen meines Aufenthaltes zu erforschen, ich rückte daher mein Bette heran und stellte den Tisch darauf. Eben wollte ich hinaufklettern, als der Gefangenwärter hereintrat und über mein Beginnen sehr verwundert schien. Er frug mich, was ich da mache, ich erwiderte, daß ich nur hinausschauen wollen; schweigend trug er Tisch, Bette und den Stuhl fort und schloß mich sogleich wieder ein. Nicht eine Stunde hatte es gedauert, als er, von zwei anderen Männern begleitet, wieder erschien und mich durch lange Gänge treppauf, treppab führte, bis ich endlich in einen kleinen Saal eintrat, wo mich der Kriminalrichter erwartete. Ihm zur Seite saß ein junger Mann, dem er in der Folge alles, was ich auf die an mich gerichtete Fragen erwidert hatte, laut in die Feder diktierte. Meinen ehemaligen Verhältnissen bei Hofe und der allgemeinen Achtung, die ich in der Tat so lange genossen hatte, mochte ich die höfliche Art danken, mit der man mich behandelte, wiewohl ich auch die Oberzeugung darauf baute, daß nur Vermutungen, die hauptsächlich auf Aureliens ahnendes Gefühl beruhen konnten, meine Verhaftung veranlaßt hatten. Der Richter forderte mich auf, meine bisherigen Lebensverhältnisse genau anzugeben; ich bat ihn, mir erst die Ursache meiner plötzlichen Verhaftung zu sagen; er erwiderte, daß ich über das mir schuld gegebene Verbrechen zu seiner Zeit genau genug vernommen werden solle. Jetzt komme es nur darauf an, meinen ganzen Lebenslauf bis zur Ankunft in der Residenz auf das genaueste zu wissen, und er müsse mich daran erinnern, daß es dem Kriminalgericht nicht an Mitteln fehlen würde, auch dem kleinsten von mir angegebenen Umstände nachzuspüren, weshalb ich denn ja der strengsten Wahrheit treu bleiben möge. Diese Ermahnung, die der Richter, ein kleiner, dürrer Mann mit fuchsroten Haaren, mit heiserer, lächerlich quäkender Stimme mir hielt, indem er die grauen Augen weit aufriß, fiel auf einen fruchtbaren Boden; denn ich erinnerte mich nun, daß ich in meiner Erzählung den Faden genau so aufgreifen und fortspinnen müsse, wie ich ihn angelegt, als ich bei Hofe meinen Namen und Geburtsort angab. Auch war es wohl nötig, alles Auffallende vermeidend, meinen Lebenslauf ins Alltägliche, aber weit Entfernte, Ungewisse zu spielen, so daß die weitern Nachforschungen dadurch auf jeden Fall weit aussehend und schwierig werden mußten. In dem Augenblick kam mir auch ein junger Pole ins Gedächtnis, mit dem ich auf dem Seminar in B. studierte; ich beschloß, seine einfachen Lebensumstände mir anzueignen. So gerüstet, begann ich in folgender Art: “Es mag wohl sein, daß man mich eines schweren Verbrechens beschuldigt, ich habe indessen hier unter den Augen des Fürsten und der ganzen Stadt gelebt, und es ist während der Zeit meines Aufenthaltes kein Verbrechen verübt worden, für dessen Urheber ich gehalten werden oder dessen Teilnehmer ich sein könnte. Es muß also ein Fremder sein, der mich eines in früherer Zeit begangenen Verbrechens anklagt, und da ich mich von aller Schuld völlig rein fühle, so hat vielleicht nur eine unglückliche Ähnlichkeit die Vermutung meiner Schuld erregt; um so härter finde ich es aber, daß man mich leerer Vermutungen und vorgefaßter Meinungen wegen, dem überführten Verbrecher gleich, in ein strenges Kriminalgefängnis sperrt. Warum stellt man mich nicht meinem leichtsinnigen, vielleicht boshaften Ankläger unter die Augen? … Gewiß ist es am Ende ein alberner Tor, der …” “Gemach, gemach, Herr Leonard”, quäkte der Richter, “menagieren Sie sich, Sie könnten sonst garstig anstoßen gegen hohe Personen, und die fremde Person, die Sie, mein Herr Leonard, oder Herr … (er biß sich schnell in die Lippen) erkannt hat, ist auch weder leichtsinnig noch albern, sondern… Nun, und dann haben wir gute Nachrichten aus der …” Er nannte die Gegend, wo die Güter des Barons F. lagen, und alles klärte sich dadurch mir deutlich auf. Entschieden war es, daß Aurelie in mir den Mönch erkannt hatte, der ihren Bruder ermordete. Dieser Mönch war ja aber Medardus, der berühmte Kanzelredner aus dem Kapuzinerkloster in B. Als diesen hatte ihn Reinhold erkannt, und so hatte er sich auch selbst kundgetan. Daß Francesko der Vater jenes Medardus war, wußte die Äbtissin, und so mußte meine Ähnlichkeit mit ihm, die der Fürstin gleich anfangs so unheimlich worden, die Vermutungen, welche die Fürstin und die Äbtissin vielleicht schon brieflich unter sich angeregt hatten, beinahe zur Gewißheit erheben. Möglich war es auch, daß Nachrichten selbst aus dem Kapuzinerkloster in B. eingeholt worden; daß man meine Spur genau verfolgt und so die Identität meiner Person mit dem Mönch Medardus festgestellt hatte. Alles dieses überdachte ich schnell und sah die Gefahr meiner Lage. Der Richter schwatzte noch fort, und dies brachte mir Vorteil, denn es fiel mir auch jetzt der lange vergebens gesuchte Name des polnischen Städtchens ein, das ich der alten Dame bei Hofe als meinen Geburtsort genannt hatte. Kaum endete daher der Richter seinen Sermon mit der barschen Äußerung, daß ich nun ohne weiteres meinen bisherigen Lebenslauf erzählen solle, als ich anfing: “Ich heiße eigentlich Leonard Krczynski und bin der einzige Sohn eines Edelmanns, der sein Gütchen verkauft hatte und sich in Kwiecziczewo aufhielt.” – “Wie, was?” – rief der Richter, indem er sich vergebens bemühte, meinen sowie den Namen meines angeblichen Geburtsortes nachzusprechen. Der Protokollführer wußte gar nicht, wie er die Wörter aufschreiben sollte; ich mußte beide Namen selbst einrücken und fuhr dann fort: “Sie bemerken, mein Herr, wie schwer es der deutschen Zunge wird, meine konsonantenreichen Namen nachzusprechen, und darin liegt die Ursache, warum ich ihn, sowie ich nach Deutschland kam, wegwarf und mich bloß nach meinem Vornamen, Leonard, nannte. Übrigens kann keines Menschen Lebenslauf einfacher sein, als der meinige. Mein Vater, selbst ziemlich unterrichtet, billigte meinen entschiedenen Hang zu den Wissenschaften und wollte mich eben nach Krakau zu einem ihm verwandten Geistlichen, Stanislaw Krczynski, schicken, als er starb. Niemand bekümmerte sich um mich, ich verkaufte die kleine Habe, zog einige Schulden ein und begab mich wirklich mit dem ganzen mir von meinem Vater hinterlassenen Vermögen nach Krakau, wo ich einige Jahre unter meines Verwandten Aufsicht studierte. Dann ging ich nach Danzig und nach Königsberg. Endlich trieb es mich wie mit unwiderstehlicher Gewalt, eine Reise nach dem Süden zu machen; ich hoffte, mich mit dem Rest meines kleinen Vermögens durchzubringen und dann eine Anstellung bei irgendeiner Universität zu finden, doch wäre es mir hier beinahe schlimm ergangen, wenn nicht ein beträchtlicher Gewinn an der Pharobank des Fürsten mich in den Stand gesetzt hätte, hier noch ganz gemächlich zu verweilen und dann, wie ich es im Sinn hatte, meine Reise nach Italien fortzusetzen. Irgend etwas Ausgezeichnetes, das wert wäre, erzählt zu werden, hat sich in meinem Leben gar nicht zugetragen. Doch muß ich wohl noch erwähnen, daß es mir leicht gewesen sein würde, die Wahrheit meiner Angaben ganz unzweifelhaft nachzuweisen, wenn nicht ein ganz besonderer Zufall mich um meine Brieftasche gebracht hätte, worin mein Paß, meine Reiseroute und verschiedene andere Skripturen befindlich waren, die jenem Zweck gedient hätten.” – Der Richter fuhr sichtlich auf, er sah mich scharf an und frug mit beinahe spöttischem Ton, welcher Zufall mich denn außerstande gesetzt hätte, mich, wie es verlangt werden müßte, zu legitimieren. “Vor mehreren Monaten”, so erzählte ich, “befand ich mich auf dem Wege hieher im Gebürge. Die anmutige Jahreszeit sowie die herrliche romantische