darauf kam ein Reiter dahergesprengt, dessen sonderbare Kleidung und verwildertes Ansehen meine Aufmerksamkeit erregte. Er trat ins Zimmer, forderte einen Trunk und setzte sich, finster und scheu mich anblickend, mir gegenüber an den Tisch. Der Mann war mir unheimlich, ich trat daher ins Freie hinaus. Bald darauf kam auch der Reiter, bezahlte den Wirt und sprengte, mich flüchtig grüßend, davon. Ich stand im Begriff, weiterzugehen, als ich mich der Brieftasche erinnerte, die ich in der Stube auf dem Tische liegenlassen; ich ging hinein und fand sie noch auf dem alten Platz. Erst des ändern Tages, als ich die Brieftasche hervorzog, entdeckte ich, daß es nicht die meinige war, sondern daß sie wahrscheinlich dem Fremden gehörte, der gewiß aus Irrtum die meinige eingesteckt hatte. Nur einige mir unverständliche Notizen und mehrere an einen Grafen Viktorin gerichtete Briefe befanden sich darin. Diese Brieftasche nebst dem Inhalt wird man noch unter meinen Sachen finden; in der meinigen hatte ich, wie gesagt, meinen Paß, meine Reiseroute und, wie mir jetzt eben einfällt, sogar meinen Taufschein; um das alles bin ich durch jene Verwechslung gekommen.” – Der Richter ließ sich den Fremden, dessen ich erwähnt, von Kopf bis zu Fuß beschreiben, und ich ermangelte nicht, die Figur mit aller nur möglichen Eigentümlichkeit aus der Gestalt des Grafen Viktorin und aus der meinigen auf der Flucht aus dem Schlosse des Barons F. geschickt zusammenzufügen. Nicht aufhören konnte der Richter, mich über die kleinsten Umstände dieser Begebenheit auszufragen, und indem ich alles befriedigend beantwortete, rundete sich das Bild davon so in meinem Innern, daß ich selbst daran glaubte und keine Gefahr lief, mich in Widersprüche zu verwickeln. Mit Recht konnte ich es übrigens wohl für einen glücklichen Gedanken halten, wenn ich, den Besitz jener an den Grafen Viktorin gerichteten Briefe, die in der Tat sich noch im Portefeuille befanden, rechtfertigend, zugleich eine fingierte Person einzuflechten suchte, die künftig, je nachdem die Umstände darauf hindeuteten, den entflohenen Medardus oder den Grafen Viktorin vorstellen konnte. Dabei fiel mir ein, daß vielleicht unter Euphemiens Papieren sich Briefe vorfanden, die über Viktorins Plan, als Mönch im Schlosse zu erscheinen, Aufschluß gaben, und daß dies aufs neue den eigentlichen Hergang der Sache verdunkeln und verwirren könne. Meine Phantasie arbeitete fort, indem der Richter mich frug, und es entwickelten sich mir immer neue Mittel, mich vor jeder Entdeckung zu sichern, so daß ich auf das Ärgste gefaßt zu sein glaubte. – Ich erwartete nun, da über mein Leben im allgemeinen alles genug erörtert schien, daß der Richter dem mir angeschuldigten Verbrechen näherkommen würde, es war aber dem nicht so; vielmehr frug er, warum ich habe aus dem Gefängnis entfliehen wollen. – Ich versicherte, daß mir dies nicht in den Sinn gekommen sei. Das Zeugnis des Gefangenwärters, der mich an das Fenster hinaufkletternd angetroffen, schien aber wider mich zu sprechen. Der Richter drohte mir, daß ich nach einem zweiten Versuch angeschlossen werden solle. Ich wurde in den Kerker zurückgeführt. – Man hatte mir das Bette genommen und ein Strohlager auf dem Boden bereitet, der Tisch war festgeschraubt, statt des Stuhles fand ich eine sehr niedrige Bank. Es vergingen drei Tage, ohne daß man weiter nach mir frug, ich sah nur das mürrische Gesicht eines alten Knechts, der mir das Essen brachte und abends die Lampe ansteckte. Da ließ die gespannte Stimmung nach, in der es mir war, als stehe ich im lustigen Kampf auf Leben und Tod, den ich wie ein wackrer Streiter ausfechten werde. Ich fiel in ein trübes, düstres Hinbrüten, alles schien mir gleichgültig, selbst Aureliens Bild war verschwunden. Doch bald rüttelte sich der Geist wieder auf, aber nur um stärker von dem unheimlichen, krankhaften Gefühl befangen zu werden, das die Einsamkeit, die dumpfe Kerkerluft erzeugt hatte und dem ich nicht zu widerstehen vermochte. Ich konnte nicht mehr schlafen. In den wunderlichen Reflexen, die der düstre, flackernde Schein der Lampe an Wände und Decke warf, grinsten mich allerlei verzerrte Gesichter an; ich löschte die Lampe aus, ich barg mich in die Strohkissen, aber gräßlicher tönte dann das dumpfe Stöhnen, das Kettengerassel der Gefangenen durch die grauenvolle Stille der Nacht. Oft war es mir, als höre ich Euphemiens – Viktorins Todesröcheln. “Bin ich denn schuld an euerm Verderben? Wart ihr es nicht selbst, Verruchte! die ihr euch hingabt meinem rächenden Arm?” – So schrie ich laut auf, aber dann ging ein langer, tief ausatmender Todesseufzer durch die Gewölbe, und in wilder Verzweiflung heulte ich: “Du bist es, Hermogen! … Nah ist die Rache! … Keine Rettung mehr!” – In der neunten Nacht mochte es sein, als ich, halb ohnmächtig von Grauen und Entsetzen, auf dem kalten Boden des Gefängnisses ausgestreckt lag. Da vernahm ich deutlich unter mir ein leises, abgemessenes Klopfen. Ich horchte auf, das Klopfen dauerte fort, und dazwischen lachte es seltsamlich aus dem Boden hervor! – Ich sprang auf und warf mich auf das Strohlager, aber immerfort klopfte es und lachte und stöhnte dazwischen. – Endlich rief es leise, leise, aber wie mit häßlicher, heiserer, stammelnder Stimme hintereinander fort: “Me-dar-dus! Me-dar-dus!” – Ein Eisstrom goß sich mir durch die Glieder! Ich ermannte mich und rief: “Wer da! Wer ist da?” – Lauter lachte es nun und stöhnte und ächzte und klopfte und stammelte heiser: “Me-dar-dus… Me-dar-dus!” – Ich raffte mich auf vom Lager. “Wer du auch bist, der du hier tollen Spuk treibst, stell dich her sichtbarlich vor meine Augen, daß ich dich schauen mag, oder höre auf mit deinem wüsten Lachen und Klopfen!” – So rief ich in die dicke Finsternis hinein, aber recht unter meinen Füßen klopfte es stärker und stammelte: “Hihihi … hihihi … Brü-der-lein … Brü-der-lein … Me-dar-dus … ich bin da … bin da … ma-mach auf … auf … wir wo-woilen in den Wa-Wald gehn … Wald gehn!” – Jetzt tönte die Stimme dunkel in meinem Innern wie bekannt; ich. hatte sie schon sonst gehört, doch nicht, wie mich es dünkte, so abgebrochen und so stammelnd. Ja, mit Entsetzen glaubte ich meinen eignen Sprachton zu vernehmen, Unwillkürlich, als wollte ich versuchen, ob es dem so sei, stammelte ich nach: “Me-dar-dus … Me-dar-dus!” Da lachte es wieder, aber höhnisch und grimmig und riet: “Brü-der-lein … Brü-der-lein, hast … du, du mi-mich erkannt … erkannt? … ma-mach auf … wir wo-wollen in den Wa-Wald … in den Wald!” – “Armer Wahnsinniger”, so sprach es dumpf und schauerlich aus mir heraus, “armer Wahnsinniger, nicht aufmachen kann ich dir, nicht heraus mit dir in den schönen Wald, in die herrliche freie Frühlingsluft, die draußen wehen mag; eingesperrt im dumpfen, düstern Kerker bin ich wie du!” – Da ächzte es im trostlosen Jammer, und immer leiser und unvernehmlicher wurde das Klopfen, bis es endlich ganz schwieg; der Morgen brach durch das Fenster, die Schlösser rasselten, und der Kerkermeister, den ich die ganze Zeit über nicht gesehen, trat herein. “Man hat”, fing er an, “in dieser Nacht allerlei Lärm in Ihrem Zimmer gehört und lautes Sprechen. Wie ist es damit?” – “Ich habe die Gewohnheit”, erwiderte ich so ruhig, als es mir nur möglich war, “laut und stark im Schlafe zu reden, und führte ich auch im Wachen Selbstgespräche, so glaube ich, daß mir dies wohl erlaubt sein wird.” – “Wahrscheinlich”, fuhr der Kerkermeister fort, “ist Ihnen bekannt worden, daß jeder Versuch zu entfliehen, jedes Einverständnis mit den Mitgefangenen hart geahndet wird.” – Ich beteuerte, nichts dergleichen hätte ich vor. – Ein paar Stunden nachher führte man mich hinauf zum Kriminalgericht. Nicht der Richter, der mich zuerst vernommen, sondern ein anderer, ziemlich junger Mann, dem ich auf den ersten Blick anmerkte, daß er dem vorigen an Gewandtheit und eindringenden Sinn weit überlegen sein müsse, trat freundlich auf mich zu und lud mich zum Sitzen ein. Noch steht er mir gar lebendig vor Augen. Er war für seine Jahre ziemlich untersetzt, sein Kopf beinahe haarlos, er trug eine Brille. In seinem ganzen Wesen lag so viel Güte und Gemütlichkeit, daß ich wohl fühlte, gerade deshalb müsse jeder nicht ganz verstockte Verbrecher ihm schwer widerstehen können. Seine Fragen warf er leicht, beinahe im Konversationston hin, aber sie waren überdacht und so präzis gestellt, daß nur bestimmte Antworten erfolgen konnten, “Ich muß Sie zuvörderst fragen”, so fing er an, “ob alles das, was Sie über Ihren Lebenslauf angegeben haben, wirklich gegründet ist oder ob bei reiflichem Nachdenken, Ihnen nicht dieser oder jener Umstand einfiel, den Sie noch erwähnen wollen?”
“Ich habe alles gesagt, was ich über mein einfaches Leben zu sagen wußte.”
“Haben Sie nie mit Geistlichen … mit Mönchen Umgang gepflogen?”
“Ja, in Krakau … Danzig … Frauenburg … Königsberg. Am letztern Orte mit den Weltgeistlichen, die bei der Kirche als Pfarrer und Kapellan angestellt waren.”
“Sie haben früher nicht erwähnt, daß Sie auch in Frauenburg gewesen sind?”