Die Forsyte Saga. John Galsworthy
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Читать онлайн книгу Die Forsyte Saga - John Galsworthy страница 5
James unterbrach ihren Gedanken: »Aber wo«, fragte er, »ist denn Timothy? Ist er denn nicht mit ihnen mitgekommen?«
Ein sanftes Lächeln kämpfte sich seinen Weg durch Tante Anns zusammengepresste Lippen: »Nein, er hielt es für unklug, jetzt, wo doch diese Diphtherie so umgeht; und er holt sich doch so leicht was.«
James antwortete: »Na ja, er passt gut auf sich auf. Ich kann es mir nicht leisten, so gut auf mich aufzupassen wie er.«
Und man konnte nicht wirklich sagen, ob Bewunderung, Neid oder Verachtung in dieser Bemerkung dominierte.
Timothy ließ sich tatsächlich selten blicken. Das Nesthäkchen der Familie, ein Verleger, hatte vor einigen Jahren, als das Geschäft florierte, eine Stagnation gewittert, zu der es zwar noch nicht gekommen war, doch letztendlich, da waren sich alle einig, kommen musste. Und so hatte er seinen Anteil an einer Firma, deren Hauptgeschäft die Produktion religiöser Bücher war, verkauft und die recht beträchtliche Summe, die er dafür erhalten hatte, in dreiprozentige Staatsanleihen investiert. Damit hatte er mit einem Schlag eine isolierte Position eingenommen, denn kein anderer der Forsytes würde sich mit weniger als vier Prozent für sein Geld zufriedengeben. Und diese Isolation hatte langsam und sicher eine Seele untergraben, die vielleicht etwas vorsichtiger war als andere. Er war fast schon zu einem Mythos geworden – eine Art personifiziertes Sicherheitsdenken, das im Hintergrund des Universums der Forsytes umhergeisterte. Er war nie so leichtsinnig gewesen, zu heiraten oder sich in irgendeiner Form mit Kindern zu belasten.
James tippte an die Porzellanschale und fuhr fort: »Das ist kein echtes altes Worcester-Porzellan. Ich nehme mal an, Jolyon hat dir was über den jungen Mann erzählt. Soweit ich weiß, hat er kein Geschäft, kein Einkommen und keine nennenswerten Kontakte – aber was weiß ich schon, man sagt mir ja nichts.«
Tante Ann schüttelte den Kopf. Ein Zittern ging über ihr adlerähnliches Gesicht mit dem kantigen Kinn. Sie presste ihre spinnenartigen Finger aneinander und verschränkte sie dann ineinander, als ob sie ihre Willenskraft unbemerkt stärken wollte.
Als mit einigen Jahren Abstand Älteste der Forsytes kam ihr eine besondere Stellung unter ihnen zu. Opportunisten und Egoisten allesamt, wenn auch in der Tat nicht mehr als ihre Mitmenschen, wurden sie vor ihrer unbestechlichen Persönlichkeit kleinmütig, und was sollten sie anderes tun, als ihr aus dem Weg zu gehen, wenn die Möglichkeit allzu verlockend war!
James schlang seine langen, dünnen Beine umeinander und setzte fort: »Jolyon wird wie immer seinen Willen bekommen. Er hat ja keine Kinder.« Dann hielt er inne, denn ihm kam, dass es da ja noch den Sohn des alten Jolyon gab, den jungen Jolyon, Junes Vater, der so ein Durcheinander verursacht und sich selbst ruiniert hatte, als er seine Frau und sein Kind verließ, um mit dieser ausländischen Gouvernante durchzubrennen. »Na ja«, fuhr er hastig fort, »wenn er das alles so machen will, dann wird er es sich wohl auch leisten können, schätze ich. Was will er ihr denn geben? Ich schätze mal, tausend pro Jahr, er hat ja sonst niemanden, dem er sein Geld geben kann.«
Er streckte seine Hand einem eleganten, glattrasierten Mann mit kaum noch Haaren auf dem Kopf, einer langen, krummen Nase, vollen Lippen und kalten, grauen Augen unter eckigen Brauen entgegen.
»Nick«, nuschelte er, »und, wie geht’s dir?«
Mit seiner vogelartigen Schnelligkeit und dem Blick eines neunmalklugen Schuljungen – er hatte, alles natürlich ganz legal, ein großes Vermögen mit den von ihm geleiteten Firmen gemacht – berührte Nicholas Forsyte die ihm entgegengestreckte kalte Hand kurz mit seinen noch kälteren Fingern, um sie sogleich hastig wieder zurückzuziehen.
»Schlecht«, sagte er verdrossen dreinblickend. »Schon die ganze Woche. Kann nachts nicht schlafen. Der Arzt weiß auch nicht, woranʹs liegt. Er ist ein schlaues Kerlchen, sonst wäre er ja nicht mein Arzt, aber ich krieg nichts aus ihm raus außer Rechnungen.«
»Ärzte!«, fiel ihm James ins Wort: »Ich habe schon alle Ärzte Londons für den einen oder anderen von uns durchprobiert. Die taugen doch alle nichts, die erzählen dir nur sonst was. Wie jetzt bei Swithin. Was haben sie ihm denn schon gebracht? Schau ihn dir an, er ist dicker als je zuvor, monströs. Sie bekommen sein Gewicht einfach nicht runter. Sieh ihn dir doch an!«
Swithin Forsyte, groß und breit wie ein Schrank, mit einer Brust wie die einer Kropftaube, aufgeplustert in seinen hellen Westen, kam auf sie zu stolziert.
»Na, wie geht’s?«, fragte er in seiner affektierten, leicht herablassenden Art, wobei er seine Worte mit sehr viel Luft herausstieß, als ob er sie gar nicht aus der Obhut seiner Brust lassen wollte. »Wie geht’s?«
Die Mienen der Brüder verfinsterten sich etwas, als sie die beiden anderen ansahen, denn sie wussten aus Erfahrung, dass sie versuchen würden, die Leiden des anderen zu übertrumpfen.
»Wir haben gerade darüber geredet«, sagte James, »dass du kein bisschen schlanker wirst.«
Swithins helle runde Augen quollen hervor, so sehr strengte ihn das Hören an.
»Schlanker? Ich bin gut in Form«, sagte er, sich etwas nach vorne beugend. »Nicht so eine dürre Bohnenstange wie du!«
Aus Angst, an der Breite seiner Brust seine Haltung einzubüßen, lehnte er sich jedoch wieder zurück in eine bewegungslose Pose, denn nichts ging ihm über ein distinguiertes Erscheinungsbild.
Tante Ann blickte mit ihren alten Augen vom einem zum anderen. Ihr Blick war nachsichtig und streng zugleich. Die drei Brüder blickten daraufhin Ann an. Sie wurde langsam tatterig. Eine wundervolle Frau! Sie war locker sechsundachtzig, konnte gut noch zehn weitere Jahre leben, und sie war nie kräftig gewesen. Die Zwillinge Swithin und James waren erst fünfundsiebzig, Nicholas mit um die siebzig das reinste Baby. Sie alle waren kräftig, und was sich daraus für sie schlussfolgern ließ, war beruhigend. Von allen Formen des Besitzes war es die eigene Gesundheit, um die sie sich von Natur aus am meisten sorgten.
»Mir geht es auch gut so weit«, redete James weiter, »nur mit meinen Nerven stimmt was nicht. Die kleinste Kleinigkeit macht mir schwer zu schaffen. Ich werde auf Kur nach Bath müssen.«
»Bath!«, sagte Nicholas. »Ich habe es mit Harrogate versucht. Das taugt nichts. Ich will Meeresluft. Es geht nichts über Yarmouth. Wenn ich da bin, schlafe ich …«
»Meine Leber macht große Probleme«, unterbrach ihn Swithin langsam. »Habe schlimme Schmerzen hier«, und er legte seine Hand rechts auf seinen Bauch.
»Mangel an Bewegung«, murmelte James und blickte auf die Porzellanschale. Schnell fügte er hinzu: »Mir tut’s da auch weh.«
Swithin wurde rot, sein altes Gesicht sah einem Puter ähnlich.
»Bewegung!«, schnaubte er. »Davon habe ich genug. Ich nehme im Klub nie den Aufzug.«
»Das wusste ich nicht«, beeilte sich James zu sagen. »Ich weiß nichts von irgendwem. Man sagt mir ja nichts …«
Swithin fixierte ihn mit seinem Blick: »Was machst du denn gegen den Schmerz?«
James’ Miene hellte sich auf. »Ich nehme eine Mischung aus …«
»Guten Tag, Onkel.«
June stand vor ihm mit ausgestreckter Hand, ihr kleines Gesicht von ihrer geringen Größe zu ihm hinaufgestreckt.