Die Forsyte Saga. John Galsworthy
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Wie ein zarter Duft trug ihn dieser Gedanke zurück zu jenen wundervollen Nächten in Richmond, als er nach dem Abendessen rauchend mit Nicholas Treffry und Traquair und Jack Herring und Anthony Thornworthy auf der Terrasse des Crown and Sceptre gesessen hatte. Wie gut seine Zigarren damals doch waren! Der arme alte Nick – tot, und Jack Herring – tot, und Traquair – tot, an dieser Frau gestorben, und Thornworthy – schrecklich zittrig und schwach auf den Beinen (kein Wunder bei seinem Appetit).
Von allen Freunden aus diesen Tagen schien nur noch er selbst übrig zu sein, außer natürlich Swithin, und der war so monströs dick, dass mit ihm nichts anzufangen war.
Kaum zu glauben, dass das schon so lange her war, er fühlte sich doch noch jung! Von all seinen Gedanken, als er dort stand und seine Zigarren zählte, war dies der schmerzlichste, der bitterste. Sein Haar war weiß und er war einsam, doch im Herzen war er noch jung und grün hinter den Ohren. Und jene Sonntagnachmittage im Hampstead Heath, an denen der junge Jolyon und er einen Spaziergang gemacht hatten, entlang der Spaniard’s Road zum Highgate Cemetery und von dort nach Child’s Hill und wieder zurück durch den Park, um dann im Jack Straw’s Castle essen zu gehen – wie vorzüglich seine Zigarren damals doch gewesen waren! Und das Wetter! Jetzt gab es ja gar kein richtiges Wetter mehr.
Als June noch ein kleiner Knirps von fünf Jahren war und er jeden zweiten Sonntag mit ihr in den Zoo ging, weg von der Gesellschaft jener zwei guten Frauen, ihrer Mutter und ihrer Großmutter, und er ganz oben beim Bärengehege Brötchen auf seinen Regenschirm pikste, um ihre Lieblingsbären anzulocken, wie gut seine Zigarren da doch waren!
Zigarren! Er hatte es noch nicht einmal geschafft, seinen Gaumen zu überdauern – den berühmten Gaumen, auf den die Männer vor gut dreißig Jahren schworen. Und wenn sie von ihm sprachen, sagten sie: »Forsyte hat den besten Gaumen in ganz London!« Den Gaumen, dem er gewissermaßen seinen Wohlstand verdankte – den Wohlstand der gefeierten Teemänner, Forsyte und Treffry, deren Tee wie kein anderer ein romantisches Aroma hatte, den Zauber einer sehr außergewöhnlichen Authentizität. Um das Haus von Forsyte und Treffry im Zentrum herrschte eine Atmosphäre von Unternehmertum und etwas Geheimnisvollem, von besonderen Geschäften auf besonderen Schiffen in besonderen Häfen mit besonderen Menschen aus dem Orient.
Er hatte gearbeitet in diesem Geschäft! Damals hat man noch richtig gearbeitet! Diese jungen Spunde wussten doch kaum, was das überhaupt hieß! Er hatte auf jedes Detail geachtet, über alle Abläufe Bescheid gewusst, hatte dafür manchmal ganze Nächte durchgearbeitet. Und er hatte seine Händler immer selbst ausgesucht, darauf war er stolz gewesen. Seine Menschenkenntnis, so sagte er immer, war der Schlüssel zu seinem Erfolg gewesen, und von diesem meisterhaften Talent des Auswählens Gebrauch zu machen, war das Einzige, was ihm wirklich Spaß gemacht hatte. Das war keine Karriere für einen Mann seiner Fähigkeiten gewesen. Selbst jetzt noch, wo das Geschäft in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umgewandelt worden war und der Erfolg nachließ (er hatte seine Anteile schon vor Längerem verkauft), grämte es ihn sehr, wenn er an diese Zeit zurückdachte. Wie viel weiter er es doch hätte bringen können! Er wäre ein großartiger Jurist gewesen! Er hatte sogar darüber nachgedacht, für das Parlament zu kandidieren. Hatte nicht Nicholas Treffry so oft zu ihm gesagt: »Du könntest alles, Jo, wenn du nur nicht so v-verdammt vorsichtig wärst!« Der gute alte Nick! So ein guter Mensch, aber auch so ungestüm! Der berüchtigte Treffry! Er hatte nie vorsichtig gelebt. Jetzt war er tot. Der alte Jolyon zählte mit ruhiger Hand seine Zigarren und es kam ihm der Gedanke, ob er selbst vielleicht zu vorsichtig gewesen war.
Er steckte die Zigarrenkiste in die Brusttasche seines Mantels, knöpfte die Tasche zu und ging die lange Treppe zu seinem Schlafzimmer hinauf, wobei er das Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte und sich am Geländer stützte. Das Haus war zu groß. Nach Junes Heirat, sollte sie diesen Typen jemals heiraten, was anzunehmen war, würde er es vermieten und sich eine Wohnung suchen. Wozu sollte er länger ein halbes Dutzend Bedienstete durchfüttern?
Ein Butler kam auf sein Läuten hin – ein großer, bärtiger Mann mit leisem Gang und einer besonderen Begabung fürs Stillsein. Der alte Jolyon ordnete ihm an, seinen feinen Anzug bereitzulegen, er wolle im Klub zu Abend essen.
Seit wann sei die Kutsche, die Miss June zum Bahnhof gebracht hatte, wieder zurück? Seit zwei? Dann solle er um halb sieben vorfahren!
Der Klub, den der alte Jolyon um Punkt sieben betrat, war eines jener politischen Etablissements der gehobenen Mittelschicht, die schon bessere Zeiten gesehen hatten. Obwohl darüber geredet wurde, vielleicht auch weil darüber geredet wurde, ließ er eine enttäuschende Vitalität erkennen. Die Menschen hatten es satt, immerzu davon zu reden, dass der Disunion am Ende war. Der alte Jolyon sagte das auch immer, ignorierte dabei aber die Tatsache auf eine Weise, die wahre Klubmitglieder ernsthaft verärgerte.
»Warum bist du da noch Mitglied?«, fragte Swithin ihn oft voller Ärger. »Warum trittst du nicht dem Polyglot bei? Nirgendwo sonst in London bekommt man einen Wein wie unseren Heidsieck unter zwanzig Shilling die Flasche.« Und mit gedämpfter Stimme fügte er hinzu: »Es gibt nur noch fünfhundert Dutzend davon. Ich werde ihn jeden Abend meines Lebens trinken.«
»Ich denke drüber nach«, antwortete der alte Jolyon darauf immer. Aber wenn er dann darüber nachdachte, kam ihm immer die Sache mit der Eintrittsgebühr von fünfzig Guineen und dass er vier oder fünf Jahre auf eine Mitgliedschaft warten müsste.
Er war zu alt, um ein Liberaler zu sein, glaubte schon lange nicht mehr an die politischen Doktrinen seines Klubs, bezeichnete sie bekanntermaßen als »armseligen Mist«, und es gefiel ihm, den Prinzipien, die seinen eigenen so sehr widersprachen, zum Trotz, Mitglied zu bleiben. Er hatte den Ort schon immer verachtet, seit er dem Klub vor vielen Jahren beigetreten war, nachdem sie ihn im Hotch Potch nicht gewollt hatten, weil er »ein Geschäftsmann« war. Als ob er nicht ebenso viel wert wäre wie jeder Einzelne von denen! Klar, dass er den Klub verachtete, der ihn dann nahm. Die Mitglieder waren eine armselige Truppe, viele von ihnen arbeiteten in der City – Börsenmakler, Juristen, Auktionatoren und was nicht sonst noch alles! Wie die meisten mit einem starken Charakter, aber nicht allzu viel Originalität, hielt der alte Jolyon wenig von der Klasse, zu der er selbst gehörte. Er befolgte brav ihre Regeln, sowohl die gesellschaftlichen als auch andere, und hielt sie dabei insgeheim für einen gewöhnlichen Haufen.
Die Jahre und die Philosophie, ihm war beides zu eigen, hatten die Erinnerung an seine Niederlage im Hotch Potch verblassen lassen. In seinen Gedanken bewahrte er ihn nun als die Königin aller Klubs. Er hätte all die Jahre Mitglied sein können, wenn sein Antragsteller, Jack Herring, nicht so schludrig gearbeitet hätte. Ihnen war ja gar nicht bewusst gewesen, was sein Ausschluss bedeutete. Seinen Sohn Jo hatten sie doch auch sofort aufgenommen, und soweit er wusste, war der Junge immer noch Mitglied; er hatte vor acht Jahren einen von dort abgeschickten Brief von ihm bekommen.
Er war seit Monaten nicht in der Nähe des Disunions gewesen. Das Gebäude war auf die Weise bunt geschmückt worden, auf die alte Häuser und alte Schiffe aufgehübscht werden, wenn sie dringend verkauft werden sollen.
Widerliche Farbe, das Raucherzimmer, dachte er. Das Esszimmer ist gut!
Sein dunkler Schokoladenton, aufgelockert durch helles Grün, gefiel ihm.
Er bestellte sein Essen und nahm in genau der Ecke Platz, vielleicht sogar an genau dem Tisch (die Dinge veränderten sich nicht wirklich im Disunion, in einem Klub von fast schon radikalen Prinzipien), an dem er und der junge Jolyon vor fünfundzwanzig Jahren immer gesessen hatten, wenn er mit diesem während der Ferien ins Drury Lane