Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman. Toni Waidacher
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Die junge Frau hob die Hände empor.
»Himmel, wo bleibst sie denn nur?« rief sie aus, obgleich sie wußte, daß niemand sie hören konnte.
Lange mache ich es nicht mehr mit! Wie oft hatte sie sich diesen Satz schon gesagt. Und wäre da nicht ihr Chef gewesen – sie hätte ihr Vorhaben längst in die Tat umgesetzt. Denn was dieses kleine Biest sich leistete, war schier unglaublich. Nichts, was Ilona anordnete, wurde befolgt, weder das Zimmer aufgeräumt noch die Hausaufgaben vorgelegt. Nikki machte einfach, was sie wollte. Und wenn Ilona Gruber aus der Haut fuhr und sie anschrie, dann drehte das Mädchen sich einfach um und ging hinaus.
»Sag’s doch meinem Papi«, hatte es einmal gesagt und frech dabei gegrinst. »Dann erzähl ich, daß du immer telefonierst, wenn niemand im Haus ist.«
Ilona hatte vor Wut nach Luft geschnappt, aber nichts weiter unternommen, denn sie liebte Oliver Behringer, den reichen Im- und Exportkaufmann, der eine große Firma mit zahlreichen Filialen leitete. Und auch wenn es bisher nicht den Anschein hatte, als würde Nikkis Vater auf Ilonas kleine Liebesbezeugungen reagieren, ja, sie überhaupt wahrnehmen, gab die junge Frau nicht die Hoffnung auf, eines Tages Frau Behringer zu sein.
Dennoch – so konnte es mit Nikki nicht weitergehen. Die Kleine nutzte es schamlos aus, daß ihr Vater viel zu wenig Zeit hatte, sich um sie zu kümmern. Wenn sie wußte, daß Oliver Behringer für ein paar Tage nicht zu Hause sein würde, gab es für Nikki kein Halten mehr. Schon von der Schule kam sie nicht mehr heim. Sie versteckte irgendwo ihren Ranzen und stromerte bis zum Anbruch der Dunkelheit umher. Wenn sie dann endlich nach Hause kam, von oben bis unten schmutzig, gab sie auf Ilonas Fragen keine Antwort. Meistens ging sie unter die Dusche und verschwand dann wortlos in ihrem Zimmer.
Das war der Moment, den Ilona Gruber am meisten herbeisehnte.
Die Kinderfrau bewohnte zwei großzügige Zimmer im ersten Stock der Villa, zu denen auch ein eigenes Bad gehörte. Wenn Nikki endlich schlief, hatte Ilona Zeit für sich. War sie alleine mit dem schlafenden Kind, ging sie durch alle Räume. Dabei malte sie sich ihre Zukunft an der Seite von Oliver Behringer in den schönsten Farben aus. In ihrer Phantasie sah sie sich als Gastgeberin glanzvoller Empfänge und Gesellschaften. Die gab es jetzt zwar hin und wieder auch – in seiner Stellung war Oliver ganz einfach dazu verpflichtet –, doch da war Ilona nur die Erzieherin der Tochter des Hauses, nicht die Hausherrin selbst.
Aber das sollte sich nach ihren Vorstellungen schon noch ändern. Sie mußte nur Geduld haben. Und vor allem Nikki auf ihre Seite bringen. Darum ließ sie der Kleinen auch alle erdenklichen Freiheiten – jetzt noch. Würde sie erst einmal Frau Behringer und damit Nikkis Stiefmutter sein, dann würde sie andere Saiten aufziehen. Am besten steckte sie die Göre in ein Internat. Möglichst weit fort.
Aber bis dahin war es noch ein langer Weg. Zunächst galt es, Oliver Behringer zu umgarnen. Ilona gab sich redliche Mühe dabei. Sie tat alles, was eine liebende Ehefrau tat, wenn ihr Mann abends von der Arbeit nach Hause kam. Ein tolles Essen wartete auf ihn, sein Lieblingswein war geöffnet, und Abendzeitung und Zigarre warteten schon auf dem kleinen Tisch im Erker des Hauses, wo Oliver gerne saß und aus dem Fenster schaute.
Doch bisher war er für ihre Bemühungen noch nicht so recht empfänglich gewesen. Ob er die glühenden Blicke wahrnahm, die sie ihm zuwarf, ließ er sich jedenfalls nicht anmerken.
Ein Geräusch an der Haustür deutete an, daß Nikki endlich nach Hause gekommen war. Ilona lief über den Flur in die Eingangshalle und nahm das Kind in Empfang.
»Wo kommst du denn jetzt her?« fragte sie in einem ängstlichen Ton, der allerdings nur gespielt war. »Ich habe mir große Sorgen gemacht.«
»Ich hab’ gespielt«, gab die Kleine zur Antwort.
»Ach, Nikki«, sagte die Kinderfrau und versuchte, sie in ihre Arme zu ziehen. »Warum bist du denn immer so schnippisch zu mir? Magst’ mich denn überhaupt nicht?«
Mit einer entwaffnenden Ehrlichkeit schüttelte das Kind den Kopf. Eine Geste, die Ilona Gruber beinahe schon wieder aus der Haut fahren ließ. Doch sie beherrschte sich und machte gute Miene zum bösen Spiel. Dabei war sie schon in Wut geraten, als sie das Kind nur gesehen hatte, schmutzig, wie ein Straßenjunge, die Hose und das T-Shirt sahen aus, als wären sie aus dem Müll.
»Komm, geh schnell duschen«, sagte sie. »Ich back dir unterdessen eine Pizza auf. Die magst du doch.«
»Ich hab’ schon gegessen«, gab Nikki zur Antwort und verschwand die Treppe hinauf.
Ihr Zimmer lag neben denen, die Ilona bewohnte. Nikki huschte unter die Dusche, zog dann ihren Schlafanzug an und hockte sich anschließend unten im Salon vor den Fernseher. Am liebsten hätte Ilona ihr die Fernbedienung weggenommen, doch sie fürchtete, Nikki würde dann ihre Drohung wahrmachen, dem Vater etwas zu erzählen. Selbst wenn es nicht stimmte, Oliver Behringer liebte seine Tochter abgöttisch und würde ihr alles glauben. Also setzte sich Ilona Gruber in einen Sessel und blätterte gelangweilt in einer Zeitschrift. Dabei hoffte sie, daß Nikki endlich müde wurde und schlafen ging.
*
Sebastian verließ gerade die Kirche, als seine Haushälterin auf ihn zustürzte.
»Die Nikki ist fort«, rief sie, noch bevor sie den Pfarrer erreicht hatte.
»Wie fort?« fragte der Geistliche.
Sophie Tappert rang verzweifelt die Hände.
»Ich weiß net warum, aber sie ist fortgelaufen. Drei Runden Mensch-ärgere-dich-nicht haben wir gespielt, dann hab’ ich ein Bad für sie eingelassen. Als ich die Nikki rufen wollte, war sie weg. Im ganzen Haus net eine Spur von ihr.«
»Das ist ja merkwürdig«, sagte Pfarrer Trenker stirnrunzelnd. »Ich werd’ gleich mal mit dem Augustinerinnenheim in Waldeck telefonieren.«
Im Pfarrbüro fand sich eine Liste mit den wichtigsten Telefonnummern, darunter auch die des Waisenhauses. Sebastian wählte und wartete ab. Das Heim, das früher ein Augustinerinnenkloster gewesen war, stand heute unter staatlicher Leitung. Nach mehrfachem Klingeln meldete sich am anderen Ende eine weibliche Stimme.
»Grüß Gott, Frau Rhönthal, hier ist Pfarrer Trenker aus Sankt Johann«, sagte Sebastian.
Er kannte die Heimleiterin von gelegentlichen Besuchen.
»Guten Abend, Hochwürden, was kann ich für Sie tun?«
»Ich weiß net, ob nicht viel eher ich etwas für Sie tun kann«, antwortete er.
Erstauntes Schweigen am anderen Ende der Leitung.
»Es geht um eines Ihrer Kinder«, erklärte der Geistliche. »Das kleine Madel, das Ihnen fortgelaufen ist.«
»Also,