Die Welt, in der wir leben. Wilfried Nelles
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2. Mit der Geburt treten wir in eine vorher vollkommen unbekannte, gänzlich neue Welt ein. An die Stelle des Mutterleibes tritt die Familie, die uns umfängt und umfasst, der wir fest angehören und die für unser Überleben sorgt.
In der Kindheit entwickeln wir die geistigen (mentalen) Fähigkeiten, die wir brauchen, um uns später allein in der Welt orientieren zu können. Zugleich reift körperlich unsere Sexualität heran, mit deren Ausreifung die Kindheit endet.
3. Mit der Pubertät endet die Kindheit, von einem Tag zum anderen. In dem Moment, wo bei einem Mädchen die Monatsblutung einsetzt, ist es kein Kind mehr. Beim Jungen ist es ähnlich, wenn auch der Einschnitt körperlich nicht so massiv empfunden wird. Das ist übrigens auch bei den späteren Übergängen und Stufen so, Frauen sind ihrer biologischen Natur anders ausgesetzt als Männer. In der Jugend entwickelt sich unser Körper zur vollen Männlichkeit oder Weiblichkeit und unser Geist bereitet sich darauf vor, die volle Verantwortung für unser eigenes Leben zu übernehmen. Dabei treibt uns die Sexualität aus der Familie hinaus und dem Anderen, Fremden zu, damit sich unsere Gene mit anderen mischen können und das Leben sich reproduzieren kann. Jetzt müssen wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir auf eigenen Füßen stehen, uns selbst versorgen und ohne die Eltern leben können. In alten Zeiten und Kulturen war dies nur eine kurze Übergangsphase, die durch Initiationsriten begleitet und abgeschlossen wurde. Warum dies heute, in der modernen Gesellschaft, anders ist und die Jugend quasi nie endet, sondern zum Lebensstil geworden ist, erkläre ich später.
Hier ist der Gipfel unserer körperlichen Entwicklung erreicht. Im Folgenden entwickelt sich der Körper allmählich zurück, und an die Stelle der körperlichen tritt die (weniger sichtbare und subtilere) geistige Entwicklung, sofern man bereit ist, dieser Bewegung auch innerlich zu folgen und sich nicht an der Jugend festklammert.
4. Im Erwachsensein folgen wir dem in uns angelegten und nun ausgereiften Sexualtrieb und zeugen oder empfangen dabei natürlicherweise Kinder. Damit tragen wir bei zum Überleben der Gattung Mensch. Dazu müssen wir die alte Familie verlassen und uns in eine neue hineinbegeben8. Dabei übernehmen wir nicht nur Verantwortung für uns selbst, sondern auch für unsere Kinder (Familie). Somit wandelt sich das Leben vom Nehmen (das bis in die Jugend hinein vorherrscht) zum Geben. Da wir Menschen und somit keine reinen Naturwesen mehr sind, kann man sich dieser Bewegung der Natur auch entziehen und kinderlos bleiben. Für manche ist dies auch ein Schicksal, da sie unfruchtbar sind. Das Bedürfnis zu geben bleibt aber. Ohne zu geben verkümmert man innerlich.
5. Mit der Menopause endet die Fruchtbarkeit der Frau (und, wenn eine Frau ihre Kinder in jungen Jahren geboren hat, auch die Notwendigkeit, für die eigenen Kinder zu sorgen). Bei Männern ist dies anders, sie bleiben prinzipiell zeugungsfähig bis zum Tod und durchlaufen (biologisch und auch psychisch) nicht die gleichen inneren Veränderungen wie eine Frau. Sie müssen sich aber nicht mehr, wie junge Männer, durch Leistung beweisen und verlieren ihre körperliche Dominanz gegenüber anderen Männern. Jetzt beginnt das Alter. Damit entsteht der Raum, sich wieder auf sich selbst zu besinnen und in eine geistige Dimension des Lebens einzutreten. In alten Kulturen ist das die Zeit der „weisen Alten“.
6. Mit dem Eintritt ins Rentenalter (das eine moderne Form dieser Lebensstufe ist, früher hatte sie andere Formen) endet die Zeit, in der wir produktiv zum Überleben der Gemeinschaft beitragen. Wir sind jetzt alt und werden versorgt, sei es von den Kindern oder irgendeiner gesellschaftlichen Institution. Sofern wir noch einen Beitrag leisten, kann dies nur ein geistiger sein.
7. Dann kommt der Tod, mit dem das Leben in einem menschlichen Körper endet. Das ist alles, was wir über den Tod sicher wissen. Was dieses Ende genau bedeutet, wissen wir nicht.
Soweit unsere Entwicklung, wie sie in einem natürlichen Lebensablauf vorgezeichnet ist. Sie enthält drei Elemente, auf die ich später detailliert eingehen werde, die ich aber hier bereits kurz erwähnen möchte, weil sie für das Folgende sehr wichtig sind:
Erstens:
Diese Entwicklung ist vollkommen unabhängig von unserem Wollen. Wir können uns ihr grundsätzlich nicht entziehen, wir sind ihr unterworfen. In ihr vollzieht sich unser Leben, und zwar ganz von selbst. Es ist kein Machen, sondern ein Geschehen, wir sind nicht die Urheber, sondern das Resultat dieses Geschehens. Daher sind wir auch nicht die Subjekte unseres Lebens. Das Subjekt ist das Leben selbst.
Zweitens:
Der Eintritt in eine neue Stufe setzt den Abschied von der bis dahin gelebten Stufe voraus. Das heißt: Das Leben besteht aus Trennungen. Um ins Neue einzutreten, müssen wir uns vom Alten, vom Vorherigen, trennen. Oder, genauer gesagt (da wir dies nicht „machen“): Wir werden davon getrennt. Das Leben macht das ganz von allein.
Drittens:
Mit dem Eintreten ins Erwachsensein (Stufe 4) beginnt etwas grundlegend Neues: Das Leben geht vom Nehmen ins Geben. Bisher haben wir (hauptsächlich von den Eltern) genommen, jetzt sind wir selbst Eltern, geben das Leben weiter und sorgen für andere. Das Austreten aus dem Raum der Herkunftsfamilie ist zugleich das Eintreten in das Leben selbst im Sinne eines Beitrags für das Ganze. In den späteren Stufen geht dieser Beitrag vom Physischen ins Geistige über.
Von der Symbiose zur Einheit: Der Weg des Geistes
Dieser biologischen Entwicklung entspricht unsere geistig-seelische Entwicklung, und zwar beim Einzelmenschen wie bei der gesamten Menschheit. Beides geht miteinander einher. Anders als die biologische kann die geistig-seelische Entwicklung aber auf jeder Stufe stecken bleiben. Bei den meisten Menschen wächst sie nicht über die jugendliche (Ich-Bewusstsein) oder gar die kindliche Stufe (Gruppenbewusstsein) hinaus. Daher ist das Folgende ab der Stufe 4 nur eine Skizze der potenziellen geistigen Entwicklung, die nur wenige Menschen tatsächlich realisieren. Ich beginne wieder im Mutterleib.
1. Der organischen Einheit oder, genauer, Vereintheit von Mutter und Kind entspricht im Bewusstsein des ungeborenen Kindes das symbiotische Bewusstsein. Der Embryo hat sehr klare Empfindungen, aber er kann nicht zwischen sich und der Mutter unterscheiden. Beide erscheinen ihm als Eins.
In dieser Lebensphase entwickelt sich das Spüren, die Wahrnehmung mit den Körpersinnen – riechen, schmecken, tasten, hören, etc. Das ungeborene Kind nimmt seine Umwelt mit seinen Sinnen, dem körperlichen Spüren, wahr, und zwar mit seinem ganzen Körper. Alle Wahrnehmung ist Körperwahrnehmung, alles Selbstgefühl Körpergefühl – es ist sein Körper. Das bedeutet, das alles, was ein Kind im Mutterleib (und auch noch im ersten Lebensjahr) spürt, in seinen ganzen Körper eingeht und dort auch gespeichert wird. Entsprechend sitzt die Erinnerung an diese Zeit und diese Erfahrungen in unserem Körper, in unseren Zellen (und nicht etwa in unserem kognitiven Gedächtnis).
In der Entwicklung der Menschheitsgeschichte entspricht dem die natürliche, gänzlich unbewusste symbiotische Einheit mit der Natur, wie sie in den Mythen aller Völker erzählt wird und die Frühzeit der Menschheit bestimmte.
2. Der (lebensnotwendigen) Zugehörigkeit des Kindes zur Familie (allgemeiner gesagt: zu einer Gruppe, die für es sorgt und in der es sich geborgen weiß) entspricht das Gruppenbewusstsein. Es gibt zwar ein Selbstgefühl, aber dieses steht hinter dem der Zugehörigkeit zur Familie zurück. Das Kind hat sein Selbst (seine Identität) noch nicht bei sich, sondern primär in der Familie. Hier entwickelt sich das Fühlen, das nun das sinnliche Spüren ergänzt (nicht: ersetzt). Kinder nehmen ihre Umwelt und auch sich selbst – zusätzlich zum Spüren – über