Die Welt, in der wir leben. Wilfried Nelles
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Welt, in der wir leben - Wilfried Nelles страница 11
Kollektiv bedeutet das Gruppenbewusstsein, dass der einzelne zwar ein Bewusstsein seiner Existenz als eigenes, von der Natur getrenntes Wesen hat, sich aber immer als Teil der Gruppe (der Familie oder Sippe, des Stammes, des Volkes, der Nation) sieht und empfindet, und wo die Gruppe grundsätzlich über dem Einzelnen steht. Die jeweilige Gruppe, der ein Einzelner angehört, bestimmt sein Bild der Welt und von sich selbst und auch im großen und ganzen sein Leben.
3. Der Jugend entspricht das Ich-Bewusstsein, das sich jetzt vor das Gruppenbewusstsein schiebt. Damit treten Ich- oder Selbstverwirklichung auf die Agenda, entsprechend der tatsächlichen Anforderung an den Jugendlichen, sich aus der Anleitung durch die Eltern zu lösen und seinen eigenen Weg ins Leben zu finden.
Jetzt übernimmt das Denken die Führung, jedenfalls „offiziell“. Was man spürt und was man fühlt, wird jetzt vom Denken überprüft, es muss sich vor dem Denken rechtfertigen. Damit entstehen im Innern (und auch oft im Äußeren) Konflikte, wenn man etwas anderes fühlt als das, was „rational“ ist.
Dem entspricht das moderne Bewusstsein, in dem sich alles um den Einzelnen dreht, wo das Ganze für den Einzelnen da ist und man glaubt, dass einem das Leben gehöre und man ein „Recht auf Leben“ habe. Jetzt hat, zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte, das jeweils einzelne Leben (das „Individuum“) einen größeren Wert als das der Gruppe.
4. Dem Erwachsensein entspricht (oder entspräche) das Selbst-Bewusstsein. Ich füge den Konjunktiv (entspräche) hinzu, weil ein wirklich erwachsenes Selbst-Bewusstsein empirisch (noch) die Ausnahme ist. Selbst-Bewusstsein heißt, sowohl das Wir als auch das Ich zu lassen und ganz bei sich selbst anzukommen. Kollektiv ist das Bewusstsein noch nicht auf dieser Stufe angekommen.
Im Selbst-Bewusstsein entwickelt sich die geistige Wahrnehmung. Dies ist nicht dasselbe wie denken, das Wahrnehmen nimmt auch das Denken wahr, ebenso wie das Spüren und das Fühlen. Ein anderer Begriff dafür wäre das „geistige Schauen“. Man könnte es auch „geistiges Spüren“ nennen analog zum sinnlichen Spüren in der ersten Lebensstufe. Tatsächlich ist es genau dies: die Transformation des Spürens vom Physischen ins Geistige.
5. Aus der vollständigen Hingabe an diese Lebensbewegung, die sich durch den jeweiligen Menschen (wie durch jedes andere Lebewesen) manifestiert, entsteht ein Erkennen des „Lebensrufes“ oder des inneren, geistigen Potenzials, dessen, was das Leben einem mitgegeben hat, auf dass es sich in einem und durch einen entfalte – der geistige Beitrag zum Leben (im Unterschied zur körperlichen Reproduktion auf der Stufe 4). Dies nenne ich das Geist-Bewusstsein. Die Befreiung von der physischen Reproduktion und der Kindererziehung (Frauen) und der physischen Leistungserzielung (Männer) gibt uns den Raum und ruft uns dazu auf, in diesen geistigen Raum einzutreten. Man sieht seinen Platz im Leben und kommt in Einklang damit.
Hier verdichtet sich die Wahrnehmung, sie wird zum geistigen Sehen („Vision“) und führt zum kreativen Ausdruck, dessen Quelle nicht mehr das Ich ist. Vielleicht ist dies der höchste Ausdruck von Persönlichkeit im Sinne der antiken Bedeutung des Wortes Person. Person bezeichnet ursprünglich die Stimme, die durch die Maske der Schauspieler im antiken Theater hindurch tönte (per-sona, von per = durch und sonare = klingen, tönen).
6. Mit dem Eintreten in die letzte Lebensstufe (vor dem Tod) wird das Leben fast vollständig, es fehlt nur noch der letzte Schritt in den Tod hinein. Geistig bedeutet dies, zu realisieren, dass jedes Leben so, wie es ist, in sich vollständig ist, und dass das Leben insgesamt vollständig ist9. Alles ist, wie es ist, und kann nicht anders sein. Wenn das Bewusstsein diese Stufe erreicht, ist das keine Theorie mehr, sondern klare und erkannte Wirklichkeit, unmittelbares und unbezweifelbares Wissen.
Damit tritt das Bewusstsein wieder in die Einheit ein, die aber eine ganz andere als die anfängliche Einheit mit der Mutter ist. Es ist jetzt die Einheit mit der Welt, wie sie ist, und mit sich selbst, wie man ist, und diese Einheit ist bewusst. Hier haben wir das wirkliche Einheitsbewusstsein.
7. Wie der Tod das Verschwinden des Körpers ist, ist der letzte Schritt das Verschwinden des Geistes im Sinne eines Bewusstseins von Eigenheit oder Besonderheit oder Individualität oder Selbstgefühl. Das Bewusstsein kehrt zu sich selbst (zu dem Bewusstsein) zurück und löst sich auf im Ganzen. Ich bezeichne dies als „All-Bewusstsein“.
Die Lebens- und Bewusstseinstufen im Überblick und als Lebenskreis
Die folgenden Tabellen und Schaubilder zeigen die Lebens- und Bewusstseinsstufen noch einmal auf einen Blick. Danach untersuche ich sie dann im einzelnen.
Schaubild 1
1. Stufe | Zeit im Mutterleib | Symbiotisches Einheitsbewusstsein |
2. Stufe | Kindheit | Gruppen- bzw. Wir-Bewusstein |
3. Stufe | Jugend | Ich-Bewusstsein |
4. Stufe | Erwachsensein | Selbst-Bewusstsein |
5. Stufe | Frühes Alter | Geist-Bewusstsein |
6. Stufe | Alter | Wissendes Einheitsbewusstsein |
7. Stufe | Tod / Erleuchtung | All-Bewusstsein |
Die Bewusstseinsstufen und ihre Verbindung zur Welt
Schaubild 2
Der Eintritt in eine neue Lebensstufe ist immer so etwas wie eine neue Geburt, ein Verlassen des Alten und ein Eintreten in etwas Neues, wobei der Übergang immer durch ein enges Tor, eine Art Nadelöhr, führt. In der ersten Lebenshälfte ist das vor allem ein körperlicher Vorgang, in der zweiten steht das Geistige im Vordergrund.
Die Lebens- und Bewusstseinstufen
In der Form des Lebenskreises, mit der wir im LIP arbeiten, stellt sich dies wie folgt dar:
Schaubild 3