Metamorphosen. Ovid

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Metamorphosen - Ovid Reclam Taschenbuch

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über die Nebenbuhlerin macht sie den Treubruch bekannt. Dem Vater zeigt sie an, daß seine Tochter entehrt sei. Während Leucothoe bittet, die Arme zum Licht der Sonne ausstreckt und beteuert: ›Er hat mir gegen meinen Willen Gewalt angetan!‹, vergräbt sie der Vater unerbittlich, [240] erbarmungslos und voll Grausamkeit in der Tiefe der Erde und schüttet darüber einen Hügel aus schwerem Sand auf. Den zerstreut Hyperions Sohn mit seinen Strahlen und öffnet dir, Leucothoe, einen Weg, so daß du dein Antlitz aus dem Grab hervorstrecken kannst. Doch du konntest das Haupt, das die Last der Erde erstickt hatte, nicht mehr heben, Nymphe, und lagst da als blutleerer Leichnam. [245] Nichts soll nach Phaethons Flammentod den Lenker der Flügelrosse tiefer geschmerzt haben. Er versucht zwar, mit der Kraft seiner Strahlen die erkalteten Glieder wieder zu warmem Leben zu erwecken. Da aber das Schicksal einem so großen Unterfangen entgegensteht, [250] hat er den Leichnam und seine Stätte mit duftendem Nektar besprengt. Nach vielen Klagen sprach er: ›Du wirst dennoch ans Licht treten.‹ Alsbald zerfloß der Leib, der vom himmlischen Nektar durchtränkt war, und schwängerte die Erde mit seinem Duft. Und ein Weihrauchsproß durchzog allmählich die Scholle mit Wurzeln, [255] wuchs auf und durchstieß den Hügel mit seiner Spitze.

      Doch zu Clytie – mochte die Liebe ihren Schmerz und der Schmerz ihre Anzeige auch noch so sehr entschuldigen – kam der Herr des Lichtes nicht mehr und nahte ihr nie wieder in Liebe. Seitdem verzehrte sie sich in wahnsinniger Leidenschaft, [260] ertrug die Gesellschaft der Nymphen nicht und saß Tag und Nacht unter freiem Himmel auf dem bloßen Erdboden mit bloßem Haupt und ungepflegtem Haar. Neun Tage aß und trank sie nichts, nur Tau und Tränen waren ihre Speise, und sie rührte sich nicht von der Stelle. Sie blickte nur auf das Antlitz des Gottes, [265] der seine Bahn am Himmel zog, und kehrte ihm stets ihr Gesicht zu. Ihre Glieder sollen am Boden festgewachsen sein. Ihr blühendes Aussehen verwandelte fahle Blässe zum Teil in blutleeres Kraut, zum Teil bleibt die Röte bestehen, und eine Blume, die dem Veilchen sehr ähnlich ist, bedeckt ihr Gesicht. Obwohl die Wurzel sie festhält, [270] wendet sie sich ihrem Sonnengott zu und bleibt ihrer Liebe trotz der Verwandlung treu.«

      Salmacis und Hermaphroditus

      Die Erzählerin war zu Ende, und das wundersame Ereignis hatte die Lauschenden in seinen Bann gezwungen. Einige bestreiten, daß so etwas geschehen konnte; andere sagen, wahre Götter seien allmächtig, Bacchus aber gehöre nicht dazu. Nachdem die Schwestern verstummt sind, wird Alcithoe verlangt. [275] Sie ließ das Schiffchen durch die Kette am aufgerichteten Webstuhl sausen und sprach: »Ich schweige von der allgemein bekannten Liebesgeschichte des Hirten Daphnis vom Idagebirge, den eine Nymphe aus Wut über eine Nebenbuhlerin in Stein verwandelt hat – so heftiger Schmerz verzehrt die Liebenden! Ich spreche auch nicht davon, wie einst Sithon die Naturgesetze umstürzte [280] und abwechselnd bald Mann, bald Frau war. Auch dich, Celmis, jetzt Stahl, einst für den kleinen Iuppiter der Treuste der Getreuen, auch die Cureten, die aus reichlichem Regen entstanden, und Crocus und Smilax, die in kleine Blumen verwandelt wurden, übergehe ich und will euch mit einer lieblichen neuen Geschichte fesseln.

      [285] Erfahrt, warum der See Salmacis verrufen ist, wieso er mit seinen weibischen Wellen entkräftend wirkt und die Glieder, die er berührt, der Männlichkeit beraubt. Die Ursache ist verborgen, die Wirkung der Quelle wohlbekannt. Einen Knaben, den Cytherea dem Mercur geboren hatte, zogen die Naiaden in den Höhlen des Ida auf. [290] Sein Gesicht trug die Züge von Vater und Mutter, so daß man beide darin erkennen konnte; auch den Namen bekam er von beiden. Sobald er dreimal fünf Jahre alt war, verließ er die heimischen Berge, den Ida, der ihn ernährt hatte, freute sich daran, in unbekannten Gegenden umherzuschweifen [295] und unbekannte Ströme zu sehen, und der Eifer ließ ihn die Mühe gering achten. Er geht auch in Lyciens Städte und zu Lyciens Nachbarn, den Carern. Da sieht er einen Teich, dessen Wasser klar ist bis zum tiefsten Grund. Dort wachsen kein Schilfrohr, keine tauben Rohrkolben und keine Binsen mit scharfen Spitzen. [300] Durchsichtig ist das Wasser; die Ufer des Sees umschließt frischer Rasen mit stets grünendem Gras. Eine Nymphe wohnt dort, doch sie ist keine Jägerin und nicht gewohnt, den Bogen zu spannen oder um die Wette zu laufen; als einzige der Naiaden ist sie der flinken Diana unbekannt. [305] Oft sollen die Schwestern zu ihr gesagt haben: ›Salmacis, nimm einen Wurfspieß oder einen bunten Köcher und bringe durch die rauhe Jagd etwas Abwechslung in deine Muße.‹ Doch sie nimmt keinen Wurfspieß zur Hand, keinen bunten Köcher und bringt nicht durch die rauhe Jagd Abwechslung in ihre Muße. [310] Vielmehr badet sie bald ihre schönen Glieder in ihrer Quelle; bald kämmt sie sich das Haar mit einem Kamm aus Buchsbaumholz, blickt in den Wasserspiegel und befragt ihn, was ihr stehe; bald legt sie sich, in einen durchscheinenden Überwurf gehüllt, auf weiches Laub oder ins weiche Gras; [315] bald pflückt sie Blumen. Auch damals pflückte sie gerade Blumen, als sie den Knaben sah und auf den ersten Blick zu besitzen wünschte. Doch sie trat erst vor ihn – obwohl es ihr damit eilte –, nachdem sie sich zurechtgemacht, den Faltenwurf ihres Gewandes überprüft, ihr strahlendstes Lächeln aufgesetzt hatte und für schön gelten konnte. [320] Dann begann sie folgendermaßen: ›O Knabe, wahrhaft wert, für einen Gott gehalten zu werden! Bist du ein Gott, so könntest du Cupido sein; bist du ein Sterblicher, so sind deine Eltern glückselig, dein Bruder glücklich und wahrhaft beglückt deine Schwester, wenn du eine hast, und die Amme, die dir die Brust gab; [325] aber die aller-, allerglückseligste ist deine Braut, wenn es eine gibt, die du der Hochzeitsfackel würdigst. Hast du eine Braut, so bleibe meine Wonne geheim; hast du keine, laß mich die Deine sein und uns ins Brautgemach gehen!‹ Hier verstummte die Naiade; dem Knaben schoß die Röte ins Gesicht [330] – denn er weiß nicht, was Liebe ist –, aber auch das Erröten stand ihm gut. Diese Farbe haben Äpfel, die an einem sonnenbeschienenen Baum hängen, oder gefärbtes Elfenbein oder der Mond, dessen weißes Licht sich rot färbt, wenn bei der Verfinsterung vergeblich das helfende Erz erdröhnt. Da die Nymphe unablässig wenigstens einen schwesterlichen Kuß verlangte [335] und schon die Hände um seinen Hals legen wollte, der wie Elfenbein schimmerte, sprach er: ›Hörst du auf, oder muß ich fliehen und dich und diesen Ort verlassen?‹ Salmacis erschrak und versetzte: ›Ich überlasse ihn dir zur freien Verfügung, Fremdling.‹ Sie kehrt um und tut, als ginge sie fort – auch jetzt noch blickt sie sich um. In einem buschigen Gehölz [340] hat sie sich versteckt und sich mit gebeugtem Knie hingekauert. Er aber glaubt sich auf der menschenleeren Wiese unbeobachtet, geht auf und ab und netzt in den heranplätschernden Wellen erst die Zehenspitzen und dann den Fuß bis zum Knöchel; sogleich reizt ihn die Wärme des schmeichelnden Wassers, [345] und er legt die feinen Hüllen von seinem zarten Körper ab. Da gefiel er Salmacis erst recht, und sie entbrannte in Begierde nach der nackten Gestalt. Und die Augen der Nymphe sprühen Feuer, nicht anders, als wenn die Sonne am hellsten strahlt, weil keine Wolken ihre Scheibe trüben, und ihr Bild vom Spiegel zurückgeworfen wird. [350] Sie kann es kaum mehr erwarten, ihre Liebesfreuden kaum noch aufschieben, schon begehrt sie, ihn zu umarmen, sie ist hingerissen, kann sich fast nicht mehr beherrschen. Jener klopft sich rasch mit den hohlen Händen den Körper ab, springt in die Fluten, bewegt die Arme im Wechsel und schimmert durch das klare Wasser hindurch wie ein elfenbeinernes Standbild [355] oder eine weiße Lilie, die jemand hinter durchsichtiges Glas stellt. ›Sieg! Er ist mein!‹ ruft die Naiade, wirft alle Kleider weit fort und stürzt sich mitten in die Wellen. Er wehrt sich; sie aber hält ihn fest, raubt ihm trotz seines Widerstandes Küsse, legt die Hände von unten an ihn, berührt seine widerstrebende Brust [360] und umfängt den jungen Mann bald von dieser, bald von jener Seite. Während er sich sträubt und ihr entschlüpfen will, umschlingt sie ihn endlich wie eine Schlange, die der König der Vögel festhält und emporträgt – während sie hängt, fesselt sie ihm Kopf und Füße und umschnürt ihm mit dem Schwanz die Flügel, die sich ausbreiten wollen –, [365] oder wie Efeuranken lange Baumstämme zu umspinnen pflegen und wie der Polyp seinen Feind, den er in der Wassertiefe gepackt hat, umklammert, indem er von allen Seiten Fangarme nach ihm ausstreckt. Der Urenkel des Atlas bleibt fest und verweigert der Nymphe die erhofften Freuden; sie aber bedrängt ihn. Mit dem ganzen Körper eng an ihn geschmiegt, [370] sprach sie: ›Magst du dich auch wehren, Böser, trotzdem wirst du mir nicht entrinnen. Ihr Götter, laßt es so geschehen: Kein Tag soll ihn von mir und mich von ihm trennen.‹ Der Wunsch fand gnädige Götter; denn die ineinander verschlungenen Körper der beiden werden eins, und sie bekommen eine einzige Gestalt. [375] Wie wenn einer, der Zweige

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