Metamorphosen. Ovid
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Perseus und Andromeda
Verschlossen hatte Hippotes’ Sohn die Winde im ewigen Kerker, und der Morgenstern, der zum Tagewerk mahnt, war hoch am Himmel herrlich leuchtend aufgegangen. [665] Da greift Perseus wieder zu den Federn, bindet sie rechts und links an die Füße, schnallt sein gebogenes Schwert um und eilt auf hurtigen Flügelsohlen durch die klare Luft dahin. Nachdem er zahllose Völker, die ringsum in der Tiefe wohnen, hinter sich gelassen hat, erblickt er die aethiopischen Stämme und das Gebiet des Cepheus. [670] Dort hatte der ungerechte Ammon Andromeda unverdient für die Reden ihrer Mutter büßen lassen. Sobald der Urenkel des Abas ihre Arme an die harten Felsen gefesselt sah – hätte nicht ein leichtes Lüftchen ihr Haar bewegt und ihr Auge heiße Tränen vergossen, [675] hätte er sie für ein Marmorbild gehalten –, ergreift ihn unbemerkt die Liebesglut. Er staunt. Hingerissen vom Anblick der schönen Gestalt, hätte er beinahe vergessen, in der Luft mit den Flügeln zu schlagen. Kaum stand er auf festem Boden, sprach er: »Du verdienst nicht diese Ketten, sondern diejenigen, mit denen sich sehnsüchtig Liebende verbinden. [680] Verrate mir auf meine Frage den Namen deines Landes und den deinen und warum du gefesselt bist.« Zuerst schweigt sie und wagt als Jungfrau nicht, mit einem Mann zu sprechen. Die Hände hätte sie sich schamhaft vors Gesicht gehalten, wäre sie nicht gefesselt gewesen; doch die Augen ließ sie von hervorstürzenden Tränen überfließen – denn das war ihr noch möglich. [685] Da er immer inständiger in sie dringt, will sie nicht den Eindruck erwecken, sie habe ein eigenes Vergehen zu verbergen, nennt ihm den Namen ihres Landes und den ihren und berichtet, wie stolz ihre Mutter auf ihre Schönheit war. Doch noch ehe alles erzählt war, rauschte das Wasser auf. Vom unermeßlichen Meer kommt ein bedrohliches Untier [690] und nimmt mit seiner Brust die weite Meeresfläche ein.
Das Mädchen schreit auf, der trauernde Vater und die Mutter stehen dabei, beide unglücklich, doch sie hat es mehr verdient; keine Hilfe bringen sie mit, nur Tränen und Klagerufe, wie sie dem Augenblick entsprechen, und klammern sich an die Gefesselte. [695] Da spricht der Fremde: »Zum Weinen werdet ihr noch lange Zeit haben; doch kurz ist die Frist, um Hilfe zu bringen. Würbe ich um sie, ich, Perseus, der Sohn Iuppiters und der Danae, die er in ihrem Verlies mit fruchtbarem Golde schwängerte, Perseus, der Überwinder der schlangenhaarigen Gorgo, [700] der auf flatternden Flügeln durch die ätherischen Lüfte zu wandern wagte – würbe ich um sie, so würde ich gewiß allen anderen als Schwiegersohn vorgezogen werden. Ich versuche zu so vielen Gaben auch noch ein Verdienst hinzuzufügen, sofern mir nur die Götter hold sind. Dafür bedinge ich mir aus, daß sie, wenn meine Tapferkeit sie rettet, die Meine werde.« Sie nehmen die Bedingung an – wer hätte da gezögert? –, ja, sie flehen ihn an [705] und versprechen ihm obendrein das Königreich als Mitgift. Und siehe, wie ein schnelles Schiff mit dem Schnabel am Bug die Wasser durchfurcht, von den Armen in Schweiß gebadeter Männer vorangetrieben, so zerteilte das Untier die Wogen durch den Aufprall seiner Brust. Schon war es von den Felsen nur noch so weit entfernt, wie eine balearische Schleuder [710] ihr Blei durch den Himmel schießen kann, als sich plötzlich der Jüngling mit den Füßen vom Boden abstieß und hoch zu den Wolken emporstieg. Kaum ist auf dem Spiegel des Meeres der Schatten des Mannes sichtbar geworden, stürzt das wilde Tier sich wütend auf den Schatten; und wie wenn Iuppiters Adler eine Schlange, [715] die ihren blauen Rücken sonnt, auf freiem Felde gesehen hat, sie von hinten überrumpelt und, damit sie ihr mörderisches Maul nicht rückwärts wende, die gierigen Krallen in den schuppigen Nacken schlägt, so warf sich Perseus kopfüber in schnellem Flug durchs Leere, landete auf dem Rücken des Tieres und stieß dem Schnaubenden [720] das Schwert bis zum gekrümmten Haken in den rechten Bug. Schwer verwundet erhebt es sich bald in die Luft, bald verbirgt es sich unter Wasser, bald dreht es sich wie ein wilder Eber, den eine bellende Hundemeute umringt und in Schrecken versetzt. Perseus aber entflieht den gierigen Bissen auf schnellen Flügeln [725] und verwundet das Ungeheuer mit dem Sichelschwert, wo es sich eine Blöße gibt, bald am Rücken, der mit hohlen Muscheln bewachsen ist, bald seitlich zwischen den Rippen, bald dort, wo der sich verjüngende Schwanz in einer Fischflosse endet. Das Ungeheuer speit Meerwasser, vermischt mit purpurnem Blut. Von dem Sprühregen wurde das Gefieder naß und schwer. [730] Perseus wagte es nicht länger, sich den durchnäßten Flügelschuhen anzuvertrauen. Da erspähte er eine Klippe, deren Spitze bei Meeresstille hervorragt, bei bewegter See bedeckt ist. Darauf gestützt und mit der Linken den obersten Grat umklammernd, stieß er drei-, viermal zuschlagend dem Tier den Stahl in die Weichen. [735] Beifallklatschen und Jubel erfüllten den Strand und drangen bis hinauf in die Hallen der Götter. Cassiope und der Vater Cepheus freuen sich, begrüßen ihn als Schwiegersohn und bekennen, er sei der Helfer und Retter ihres Hauses. Von den Ketten befreit, schreitet die Jungfrau einher. Sie ist der Lohn und die Ursache der Mühen. [740] Er selbst schöpft Wasser und wäscht sich die siegreichen Hände. Um das schlangenhaarige Haupt nicht durch den harten Sand zu beschädigen, polstert er den Boden mit Blättern, macht aus Wasserpflanzen eine Streu und legt darauf das Haupt der Phorcystochter, der Meduse. Die frischen Seepflanzen, deren saugkräftiges Mark noch lebte, [745] rissen die Kraft des Wunderwesens an sich, wurden durch seine Berührung hart und erfuhren an Stengeln und Blättern eine neuartige Versteinerung. Die Meernymphen aber erproben die wunderbare Erscheinung an weiteren Zweigen, freuen sich darüber, daß ihnen dasselbe gelingt, und werfen immer wieder Samen davon auf die Wellen. [750] Auch heute noch haben die Korallen dieselbe Eigenschaft, bei der Berührung mit Luft zu erstarren, so daß, was im Meer eine Pflanze war, über dem Wasserspiegel zu Stein wird.
Drei Göttern errichtet Perseus ebenso viele Altäre aus Rasenstücken: links einen für Mercur, rechts für dich, streitbare Jungfrau, [755] in der Mitte steht Iuppiters Opferstätte. Für Minerva wird eine Kuh geschlachtet, für den Gott mit den Flügelschuhen ein Kalb, für dich, oberster der Götter, ein Stier. Eilends reißt er Andromeda an sich, den Lohn für seine herrliche Heldentat – ohne Mitgift. Die Hochzeitsfackeln schwingen Hymenaeus und Amor voran, die Flammen werden reichlich mit Duftstoffen gespeist, [760] Girlanden hängen von den Dächern herab, überall erklingen Leiern, Schalmeien und Gesänge: glückbringende Zeichen des Frohsinns. Mit entriegelten Türflügeln stehen die goldenen Hallen weit offen, und die Vornehmen Aethiopiens kommen herein zum prächtig gerichteten Festmahl des Königs.
[765] Nachdem sie geschmaust und ihr Herz durch die Gabe des edlen Bacchus erheitert hatten, fragt der Nachkomme des Lynceus nach der Eigenart und der Bebauung des Landes, nach Sitten und Denkart seiner Bewohner. Als er ihn darüber belehrt hatte, sprach Cepheus: [770] »Jetzt, tapferster Perseus, verrate bitte, wie mutig und schlau du es angestellt hast, das schlangenhaarige Haupt zu rauben.«
Die Meduse
Da erzählt Agenors Sproß, am Fuße des eisigen Atlasgebirges liege ein Ort, geschützt durch eine wuchtige Befestigung; am Eingang hätten zwei Schwestern gewohnt, Töchter des [775] Phorcys, die ein einziges Auge gemeinsam benützten. Dieses habe er, während eine es der anderen übergab, mit List und Tücke ergattert, indem er die Hand dazwischenschob. Dann sei er auf ganz versteckten und entlegenen Pfaden, über von Waldgestrüpp starrende Felsen zum Hause der Gorgonen gelangt. Weit und breit auf Feldern [780] und Wegen habe er Standbilder von Menschen und Tieren gesehen – der Anblick der Meduse hatte sie in Stein verwandelt. Er selbst aber habe die Gestalt der grauenerregenden Meduse im Erz des Schildes, den er in der Linken trug, im Spiegelbild geschaut. Während tiefer Schlummer sie und die Schlangen gefesselt hielt, [785] habe er ihr das Haupt vom Halse