Metamorphosen. Ovid
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Inos Gefährtinnen
Die aus Sidon stammenden Begleiterinnen folgten ihr, so schnell sie konnten, und sahen die letzten Fußspuren ganz vorn auf dem Felsen. [545] Ohne an Inos Tod zu zweifeln, beklagten sie das Haus des Cadmus, indem sie sich mit den Händen an die Brust schlugen, das Gewand zerrissen und das Haar rauften; sie warfen der Göttin vor, nicht gerecht genug und allzu streng zur Nebenbuhlerin gewesen zu sein, und erregten so ihren Haß. Iuno ertrug ihre Schmähungen nicht und sprach: »Ich werde euch selbst zu den größten [550] Denkmälern meiner Grausamkeit machen.« Auf diese Worte folgte sogleich die Tat. Denn die Anhänglichste von allen sagte: »Ich werde meiner Königin ins Meer folgen.« Doch als sie springen wollte, konnte sie sich nirgendwohin bewegen und haftete wie angenagelt am Felsen. Eine zweite wollte sich gerade trauernd an die Brust schlagen, [555] wie sie es gewohnt war; da spürte sie, daß ihre Oberarme sich hart anfühlten. Eine dritte hatte gerade die Hände zu den Meereswogen gestreckt – da hält sie, zu Stein geworden, die Hände nach wie vor auf die Wogen gerichtet. Diese hier raufte sich gerade am Scheitel das Haar; im Haar erstarrten ihr plötzlich die Finger – man hätte es sehen können. [560] Jede verharrte in der Haltung, in der sie überrascht wurde. Einige von ihnen wurden zu Vögeln; sie streifen auch heute noch jene Meeresfläche mit den Flügelspitzen, die Mädchen vom Ismenus.
Cadmus und Harmonia
Agenors Sohn weiß nicht, daß seine Tochter und sein kleiner Enkel Meeresgötter sind. Angesichts der Trauer, der Kette von Schicksalsschlägen [565] und der Vorzeichen, die er in großer Zahl gesehen hat, gibt sich Cadmus geschlagen. So verläßt der Gründer seine eigene Stadt, als wäre das ihn bedrängende Verhängnis an den Ort und nicht an seine Person gebunden. Nach langer Pilgerschaft mit seiner Gattin, die sein Flüchtlingslos teilt, ist er endlich ins Gebiet Illyriens gelangt. Und während beide, von Kummer und Alter gebeugt, [570] sich die ersten Heimsuchungen ihres Geschlechts vergegenwärtigen und im Gespräch ihre Leiden der Reihe nach erzählen, fragt Cadmus: »War etwa jene Schlange, die mein Speer durchbohrte, heilig, damals, als ich, aus Sidon kommend, die Drachenzähne als neuartige Saat auf den Boden streute? Rächt die Vorsehung der Götter diese Schlange mit so unerbittlichem Zorn, [575] so bitte ich darum, selbst zur Schlange mit langgestrecktem Bauch zu werden.« Sprach’s, und wie eine Schlange streckt er sich in die Länge, fühlt, wie auf seiner hart gewordenen Haut Schuppen wachsen und seinen Leib, der sich schwarz färbt, blaue Tupfen beleben. Vornüber fällt er auf die Brust, die Schenkel schließen sich zusammen [580] und verjüngen sich allmählich zur Schwanzspitze. Noch bleiben ihm die Arme. Die Arme, die ihm noch bleiben, streckt er aus, und während ihm Tränen übers Gesicht strömen, das noch menschliche Züge trägt, spricht er: »Komm zu mir, liebe Frau, komm, Unglückliche, und solange von mir noch etwas übrig ist, berühre mich, nimm meine Hand, [585] solange es noch eine Hand ist, solange die Schlangengestalt noch nicht ganz von mir Besitz ergriffen hat.« Er will noch weiter reden; doch plötzlich ist seine Zunge in zwei Hälften gespalten, beim Sprechen gehorchen ihm die Worte nicht mehr, und sooft er eine Klage äußern will, zischt er. Diese Stimme hat ihm die Natur belassen. [590] Da schlägt sich die Gattin an die bloße Brust und ruft: »Cadmus, bleib hier und befreie dich, Unglücklicher, aus diesem Ungeheuer! Cadmus, was soll das bedeuten? Wo ist der Fuß, wo sind die Schultern, die Hände, die Farbe, das Gesicht und, während ich spreche, alles übrige? Warum verwandelt ihr Himmlischen mich nicht auch in solch eine Schlange?« [595] Sprach’s; er aber leckte seiner Gattin das Gesicht, schmiegte sich an die geliebte Brust, als erkenne er sie, umschlang sie und suchte den vertrauten Hals. Alle, die dabei waren – dabei war das Gefolge –, sind von Schrekken erfüllt, sie aber streichelt den schlüpfrigen Hals des kammbewehrten Drachen; [600] und plötzlich sind es zwei, und sie kriechen, gemeinsam sich windend, davon, bis sie im Schlupfwinkel des nahe gelegenen Hains verschwunden sind. Heute noch fliehen sie nicht vor Menschen, tun ihnen nichts zuleide und erinnern sich als zahme Drachen daran, was sie früher gewesen sind.
Perseus und Atlas
Freilich war beiden ihr Enkel ein großer Trost [605] für ihre Verwandlung. Ihn verehrte das eroberte Indien, Achaea erbaute ihm Tempel und feierte ihn. Als einziger hält noch Acrisius, der Sohn des Abas, obwohl er von demselben Stamme ist, den Gott von den Mauern der Stadt Argos fern und führt gegen ihn Krieg; er glaubt nicht, [610] daß er von Göttern stammt; hielt er doch auch Perseus, den Danae im goldenen Regen empfangen hatte, nicht für Iuppiters Sohn. Bald bereut Acrisius freilich – so wirksam setzt sich die Wahrheit durch! –, daß er den Gott beleidigt und seinen Enkel nicht anerkannt hat. Der eine ist nämlich bereits zum Himmel aufgestiegen, der andere aber [615] trägt schon das berühmte schlangenhaarige Haupt als Beute mit sich fort und durchmißt die zarten Lüfte mit schwirrenden Flügeln. Und als der Sieger über Libyens Sand schwebte, fielen blutige Tropfen vom Gorgonenhaupt, der Boden nahm sie auf und belebte sie zu schillernden Schlangen. [620] Daher ist jenes Land mit vielen Nattern verseucht.
Von dort tragen ihn die feindlichen Brüder, die Winde, durch den unermeßlichen Raum, bald hierhin, bald dorthin, wie eine wasserführende Wolke. Vom hohen Himmel blickt er auf die weit entfernten Länder hinab und fliegt über die ganze Welt. [625] Dreimal hat er die eisigen Bären, dreimal die Scheren des Krebses gesehen, oft wurde er nach Westen, oft nach Osten getragen. Und als der Tag zur Neige ging, fürchtete Perseus, sich der Nacht anzuvertrauen. So machte er am westlichen Ende der Welt im Reich des Atlas halt und suchte eine kurze Ruhepause, bis der Morgenstern die Glut [630] der Morgenröte hervorlocken würde und die Morgenröte den Wagen des Tagesgestirns. Hier wohnte der Sohn des Iapetus, Atlas, der alle Menschen an gewaltiger Körpergröße übertraf. Der Rand der Welt stand unter seinem Zepter und das Meer, das mit seiner Fläche die keuchenden Sonnenrosse auffängt und die heißgelaufenen Achsen aufnimmt. [635] Tausend Schafherden und ebenso viele Rinder streiften auf seinen Wiesen umher, und sein Grund und Boden wurde durch keine Nachbarschaft beengt. Auf den Bäumen bedeckte von gleißendem Golde schimmerndes Laub goldene Zweige und goldene Äpfel. »Fremdling«, sprach Perseus zu ihm, »wenn dir der Ruhm eines großen Geschlechtes etwas bedeutet, [640] so wisse: Iuppiter ist mein Stammvater. Bist du aber ein Bewunderer von Heldentaten, wirst du die meinen bewundern. Ich bitte um Gastfreundschaft und ein Nachtlager.« Atlas aber hatte einen alten Orakelspruch im Gedächtnis. Am Parnaß hatte Themis ihm folgenden Bescheid gegeben: »Es wird die Zeit kommen, Atlas, da dein Baum des Goldes beraubt wird, [645] und Iuppiters Sohn wird sich dieser Beute rühmen dürfen.« Aus Angst davor hatte Atlas seinen Obstgarten mit einer lückenlosen Bergkette umschlossen und von einem