Titain - Warrior Lover 15. Inka Loreen Minden
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Ihr Arm zitterte stark, als sie seine echt aussehende, warme Hand mit ihren Fingern umschloss und versuchte, ihre Frage anders zu formulieren. »Falls du in einem früheren Leben einmal ein Mensch warst, drück meine Finger.«
Zu ihrer Überraschung spürte sie einen ganz leichten Druck. Schockiert wich sie zurück, sprang auf und atmete bebend ein. Neue Tränen flossen über ihre Wangen. »Koa, es tut mir so leid! Ich hatte keine Ahnung!« Ihr Puls raste; sie schluchzte laut auf. »Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun und dich irgendwie von deiner Steuerung befreien, das verspreche ich dir. Und dann werden wir beide aus dieser beschissenen Stadt abhauen!«
Er riss kurz die Lider auf, als wäre er schockiert über ihre Worte, und auch seine Lippen bewegten sich. Wollte er ihr etwas sagen? Aber schon eine Sekunde später schloss er die Augen, und es sah so aus, als würde er schlafen.
Pearl breitete ein dünnes Laken über ihm aus, das zusammengefaltet zu seinen Füßen gelegen hatte und die Waschfrau jeden Tag wechselte, genau wie seine Kleidung. Dann hauchte sie ihm einen Kuss auf die Stirn, straffte sich, schulterte ihren Rucksack und verließ die Kammer. Sie war schon viel zu lange bei ihm geblieben, hoffentlich hatte das keiner bemerkt. In ihrem Kopf wirbelte alles wild durcheinander, ihre Knie zitterten heftig und sie wollte sich am liebsten irgendwo verkriechen, um stundenlang zu weinen. Doch sie durfte keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen – das hatte sie heute ohnehin schon genug –, sondern musste ihr beschissenes Leben weiterspielen.
Zum Glück traf sie auf dem Weg zur Kleiderausgabe keine Menschenseele, denn es dauerte eine Weile, bis ihre Augen trocken und nicht mehr gerötet waren. Ununterbrochen dachte sie darüber nach, wie sie Koas Leid beenden und sie mit ihm fliehen konnte. Doch wohin sollten sie gehen? Falls sie es wirklich schafften, eines der alten Amphibien-Shuttles zum Laufen zu bringen oder einen Evakuierungstransporter zu erreichen – wo sollten sie damit hinfliegen? Zu einer Kuppelstadt? Um dort hinter Gittern zu landen? Oder sollten sie versuchen, irgendwie an der verstrahlten Oberfläche zu überleben?
Egal wie Pearl es drehte oder wendete – die Alternativen zu Paradisia sahen alle nicht prickelnd aus.
Kapitel 6 – Arbeitsalltag
Pearl war froh, dass sie die defekten Sonnenlampen im Strandbereich allein wechseln und die Lichtanlage selbst überprüfen konnte. Auch die Klimaanlage lief wieder richtig. Sie konnten nicht alle Bauteile selbst herstellen und es gab mittlerweile kaum noch welche auf Lager. Die Strahler gehörten dazu. Bis vor ein paar Jahren hatten Shuttles, die aus den Kuppelstädten gekommen waren, Ersatzteile geliefert und sehr viel früher auch Neuankömmlinge mitgebracht, doch es waren schon ewig keine Menschen von außerhalb mehr zu ihnen gestoßen. Deshalb brannten hier auch nicht mehr alle Lichter, aber noch merkte das keiner der Privilegierten.
Pearl arbeitete, tief in Gedanken versunken, für zwei Stunden in der Vergnügungs-Kuppel, in der sich auf einer großen Fläche weicher, fast weißer Sand verteilte. Von der Decke strahlten wärmende Lampen, die sogar die Haut bräunten, auf alle Sonnenhungrigen herab, und aus den Lautsprechern erklangen die Geräusche von kreischenden Möwen und dem Brechen der Wellen. Tagsüber konnte man durch die dicken Kuppelscheiben die echte Unterwasserwelt beobachten, sodass man sich hier wie in einer anderen Welt fühlte. Überall standen Liegen oder Strandkörbe herum, sogar Palmen hatte man gepflanzt, zwischen denen Hängematten gespannt waren. Neben einer Strandbar gab es auch einen großen Pool mit drei Röhrenrutschen. Als Kind hatte Pearl immer davon geträumt, einmal die riesige Spiralrutsche hinuntergleiten zu dürfen, die bis zur Kuppeldecke reichte, und beschlossen, das eines Tages auch zu tun. Heute hätte sie die perfekte Gelegenheit dazu, niemand hielt sich in diesem Bereich auf, aber ihr war absolut nicht nach Spaß zumute. Unentwegt dachte sie an Koa, wie er jetzt, angeschlossen an den Geräten, allein in seiner winzigen Kammer lag. Immer noch besaß sie keine Antwort auf ihre Frage, wie sie ihn von seinem Dilemma erlösen konnte.
Kaum hatte sie im Strandbereich alles erledigt, kam über ihr Tablet die Meldung rein, dass sich mal wieder eine der Erntemaschinen festgefahren hatte. Na toll. Die Algen- und Seegrasfelder lagen außerhalb der Stadt, von der stärkeren Strömung geschützt zwischen mehreren Kuppeln. Darüber spannte sich ein stabiles Netz aus einer Speziallegierung, damit sich Schildkröten und andere Meeresbewohner nicht über die Nahrung hermachten. Kleinere Tiere wie diverse Fische, Krabben, Garnelen, Muscheln oder Schnecken wurden in Becken innerhalb der Kuppeln gezüchtet. Die Außenanlagen existierten allerdings erst seit zehn Jahren, nachdem ein Techniker festgestellt hatte, dass die Radioaktivität im Meer stark zurückgegangen war.
Pearl hatte damals den Aufruhr mitbekommen, als sich viele gefragt hatten, ob sie an die Oberfläche zurückkehren könnten. Unverzüglich hatten die Oberen eine Mess-Boje nach oben geschickt, die die traurige Wahrheit leider bestätigt hatte. An Land war weiterhin kein Leben möglich …
Nun brauchte Pearl wohl wieder Koa, und sie freute sich sogar, ihn aus seiner Kammer befreien zu können. Aber als sie ihn über ihr Tablet anfordern wollte, stand er nach wie vor als gesperrt drin. Sein Regenerationsprozess war noch nicht abgeschlossen. Dafür wurde ihr jetzt Titain angeboten, der anscheinend in einer Kammer direkt neben der von Koa lag.
Noch toller!, dachte sie sarkastisch. Jetzt musste sie ausgerechnet mit dem Mann zusammenarbeiten, der versucht hatte, sie zu vergewaltigen.
Du weißt nicht, ob er das überhaupt gewollt hätte, sagte sie sich. Schließlich wurde Titain genauso gesteuert wie Koa, bloß war ihrem alten Freund niemals befohlen worden, sich an ihr zu vergreifen.
Mit einem drückenden Gefühl in der Magengegend machte sich Pearl auf zu Ebene vier, um Titains Kammer zu betreten. Dort lag er auf genau solch einem schmalen Bett wie Koa, angeschlossen an zwei Schläuche, die in seinen Unterarmen steckten. Er trug nur eng anliegende weiße Shorts, niemand hatte ihn zugedeckt, weshalb neue Wut in Pearl aufstieg. Die Oberen behandelten Titain wirklich, als wäre er eine Maschine!
Er zeigte keine Regung, sondern starrte lediglich die Decke an, als sie vor seinem Bett stehen blieb. Die beiden Ports, in denen die Schläuche steckten, waren in seine Haut am Unterarm implantiert worden. Die fast unsichtbaren Zugänge waren Pearl vorhin gar nicht aufgefallen, aber sie war auch damit beschäftigt gewesen, sich zu wehren.
Leise räusperte sie sich. »Du wurdest mir gerade zugeteilt, um mir zu helfen.«
Er richtete den Blick auf sie und tat sonst weiter nichts.
Behutsam zog Pearl den ersten Schlauch heraus, der sicher die Naniten beförderte. Aber wozu war der andere gut? Ihr fiel auf, dass Titain keinen Zugang im Bauchnabel hatte. Wurde er durch den Arm ernährt? Bloß befand sich in dem anderen Schlauch eine klare Flüssigkeit. Eine Elektrolytlösung vielleicht?
Um ihn von dem zweiten Anschluss zu befreien, musste sie sich leicht über ihn beugen. Er strahlte eine unglaubliche Körperwärme ab und duftete außerdem ungewöhnlich gut. Sein Geruch war ihr auf der Bühne schon aufgefallen, aber nun konnte sie ihn noch einmal ganz in Ruhe analysieren: eine Mischung aus herb und fruchtig, nicht aufdringlich, sondern sehr anziehend.
Immer noch glaubte sie, er würde eine Art Parfüm benutzen – was nicht sein konnte, schließlich war er ein »Android«. Denen standen keine Duftwässerchen zu. Die gab es höchstens für die Privs und wurden aus irgendwelchen Chemikalien gepanscht. Sämtlicher anderer Klimbim kam für diese Leute überwiegend aus dem 3-D-Drucker. Pearl hatte eines dieser Geräte auch schon ein paarmal benutzt, aber nur, um Ersatzteile herstellen zu lassen. Persönliche Gegenstände blieben ihr verwehrt. Außer Werkzeug würde ihr spontan auch gar nicht einfallen, was sie gebrauchen könnte. Ihre Kammer bot ohnehin keinen Platz für Dekorationsmaterial.
Nachdem