Das Haus in den Dünen. Ulrich Hefner
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Das Haus in den Dünen - Ulrich Hefner страница 15
»Lebt sein Vater noch?«
Miriam Kleese lächelte kalt. »Hat sich den Kragen abgesoffen. War kaum zwei Jahre mit meiner Mutter zusammen, da ließ er den Balg zurück und türmte. Verschwand einfach, zahlte nichts und blieb wie vom Erdboden verschluckt. Ich war damals erst ein paar Jahre alt. Wir erfuhren erst durch die Polizei, dass er sich nach Hamburg fortgemacht hatte und dort in einem Wohnheim für Penner gestorben ist. Und da meinten die Behörden noch, meine Mutter sollte für die Beerdigung aufkommen. Denen haben wir was gepfiffen.«
»Und Hans Kropp?«
»Meine Mutter kümmerte sich um ihn, aber es gab nur Probleme«, fuhr Miriam Kleese fort. »Er klaute, rauchte schon als Vierzehnjähriger und soff heimlich. Einmal habe ich ihn beim Biertrinken erwischt, da schlug er mich grün und blau und drohte, mir den Hals umzudrehen, wenn ich ihn bei Mutter verpfeife. Aber sie wurde sowieso nicht mit ihm fertig. Wir wohnten damals in Norden. Mutter schaltete das Jugendamt ein, aber von dort hieß es immer nur, dass sie die Verantwortung für ihn trägt, weil sie sich mit seinem Vater eingelassen hatte.«
»Hatte sie ihn denn adoptiert?«
»Adoptiert, danach hat doch keiner gefragt«, erwiderte Frau Kleese bissig. »Einmal haben die vom Jugendamt ihn auf Bitten meiner Mutter für sechs Wochen zu einer Ferienfreizeit für Schwererziehbare nach Spiekeroog mitgenommen, aber nach kaum vier Wochen schickten sie ihn wieder zurück. Er störe den Ablauf und terrorisiere die anderen Jugendlichen, sagten die Leute vom Jugendamt. Na ja, wenigstens haben sie meiner Mutter dann ein paar Kröten dafür bezahlt, dass sie sich weiter um ihn kümmert.«
Trevisan blickte aus dem Fenster. Eine dunkle Wolke schob sich von Westen über den Himmel voran. Sollten die Wetterfrösche recht behalten und es doch noch Gewitter geben?
»Wir zogen dann nach Dornum. Ich war froh, als er die Schule abgeschlossen hatte und in Norden eine Ausbildung als Kraftfahrzeugmechaniker begann. Zumindest die Woche über war er weg und wohnte in einem kleinen Zimmer bei einer Bekannten von Mutter. Aber für Mutter war es zu spät, sie hatte keine Nerven mehr. Sie starb, als ich zwanzig war. Er war daran schuld.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Trevisan.
»Er hat ihr die letzten Nerven geraubt und war durch und durch schlecht. Er wurde schon als schlechter Mensch geboren.«
»Niemand wird als schlechter Mensch geboren«, widersprach Trevisan. »Meist ist es das Umfeld oder widrige Umstände, die jemanden in seiner normalen Entwicklung aus der Bahn werfen.«
»Hört, hört«, witzelte Miriam Kleese. »Kein Wunder, dass es tagtäglich schlimmer wird mit Mord und Totschlag, wenn schon die Ordnungshüter nach Entschuldigungen für diese missratenen Kerle suchen. Aber ich weiß, wovon ich spreche. Der alte Kropp war abgrundtief schlecht und sein Sprössling war keinen Deut besser.«
»Haben Sie ihn in der letzten Zeit mal gesehen?«, unterbrach Trevisan ihren Vortrag über Gut und Böse.
»Ich sagte schon, es ist etwa zwei Jahren her.«
»Wo trafen Sie ihn?«
»Er kam hierher.«
Trevisan spürte, dass die Frau nicht darüber sprechen wollte. Er neigte den Kopf und schaute sie fragend an. »Was ist geschehen?«
Miriam Kleese zögerte.
»Jetzt haben Sie mir bereits den gesamten Lebenslauf Ihres Stiefbruders erzählt, nun können Sie mir ruhig noch den Rest erzählen.«
Miriam Kleese fuhr sich durch die Haare. »Sie werden es ja sowieso erfahren«, seufzte sie. »Nachdem Mutter gestorben war, verschwand er wie sein Vater. Ich hörte nur, dass er irgendwann in den Osten ging und dort geheiratet hat. Die arme Frau, dachte ich mir.«
»Und was war vor zwei Jahren?«
»Er muss irgendwie meine Adresse erfahren haben. Er tauchte kurz vor Anbruch der Dunkelheit auf. Ich war wie vor den Kopf geschlagen.«
»Was wollte er?«
»Er brauchte Geld, aber ich habe ihn nicht ins Haus gelassen«, sagte Miriam Kleese. Ihre Nervosität war nicht zu übersehen.
»Ist er gegangen?«
Sie starrte durch das Küchenfenster. Draußen verdunkelte sich der Himmel. Eine Träne bahnte sich den Weg über ihre Wange.
»Was hat er getan?«, fragte Trevisan leise.
Eine zweite Träne folgte. Miriam Kleese schlug die Hände vor die Augen. Ein lauter Donnerschlag drang durch das Haus.
»Was?«, fragte Trevisan eindringlich. Dicke Regentropfen prasselten gegen das Fenster.
»Er hat versucht, mich zu vergewaltigen«, flüsterte Miriam Kleese.
Eine Weile schwiegen beide, nur das Gewitter und der Regen füllten die Stille.
»Er hat es versucht?«, fragte Trevisan.
Sie nickte. »Mein Nachbar kam zufällig nach Hause. Er hat wohl gemerkt, dass etwas nicht stimmte, und kam mir zu Hilfe.«
»Und was geschah dann?«
»Er ist abgehauen. Er hat sich nie mehr blicken lassen.«
»Haben Sie ihn angezeigt?«
Miriam Kleese schüttelte den Kopf.
»Weiß Ihr Mann davon?«
Sie nickte. »Ich habe es ihm erzählt, als er von seiner Tour zurückkam. Helge ist kein Schwächling. Er hat herausgefunden, wo er ihn finden kann. Er hat ihn abgepasst und ordentlich vermöbelt. Seither haben wir nichts mehr von ihm gehört. Das ist jetzt fast zwei Jahre her.«
Trevisan atmete tief ein. »Hat Ihr Mann ein Gewehr?«
Miriam Kleese trocknete ihre Tränen. »Er hat ihn nicht umgebracht, er ist gar nicht hier.«
»Entschuldigen Sie, aber ich muss Ihnen diese Fragen stellen«, entgegnete Trevisan. »Gibt es ein Gewehr im Haus?«
»Nein«, antwortete Miriam Kleese. »Sie können nachschauen, wenn es Sie interessiert.«
Trevisan wechselte das Thema. »Wissen Sie etwas über seine Ehefrau?«
Ein lauter Donnerschlag ließ das Haus erzittern.
»Ich weiß nichts über ihn, und ich will auch nichts wissen. Ich bin froh, dass er nicht mehr am Leben ist. Endlich ist Ruhe und er hat bekommen, was er schon lange verdient. Irgendwann muss eben jeder seine Zeche bezahlen. Und jetzt gehen Sie bitte, ich will alleine sein.«
Trevisan nickte und erhob sich. Wortlos ging er auf die Tür zu.
»Wie ist er überhaupt gestorben?«, fragte sie, noch immer am Tisch sitzend und aus dem Fenster starrend.
»Er wurde erschossen«, antwortete Trevisan, bevor er das Haus verließ und ihn der warme Gewitterregen empfing.
*
Das kleine Mietshaus lag abseits