Das Haus in den Dünen. Ulrich Hefner
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Читать онлайн книгу Das Haus in den Dünen - Ulrich Hefner страница 6
»Dann wollen wir einmal in die Materie vordringen.« Der Chefpathologe griff zur Säge.
»Es macht Ihnen wohl nichts aus, wenn ich mich da drüben auf einen Stuhl setze.«
Doktor Mühlbauer schüttelte den Kopf. »Wo die Toiletten sind, brauche ich ja nicht zu sagen.«
Die Autopsie dauerte über eine Stunde. Trevisan vermied allzu tiefe Atemzüge, der Geruch wurde beinahe unerträglich. Als Doktor Mühlbauer die Handschuhe abstreifte, erhob sich Trevisan und eilte zur Tür. »Ich warte draußen.«
»Ja, ja, gehen Sie nur. Ich komme gleich nach. Genießen wir noch etwas die Sonne und befreien wir uns von dem Geruch.«
Als Trevisan durch die gläserne Schwingtür hinaus ins Tageslicht trat, atmete er erst einmal tief durch. Er setzte sich auf einen der Gartenstühle neben dem Treppenaufgang und wartete. Es dauerte nicht lange, bis sich Doktor Mühlbauer mit einem Seufzer auf dem freien Stuhl niederließ.
»Zu neunundneunzig Prozent ein Opfer der Flammen und des Rauches«, sagte er. »Rauchgasvergiftung, Ohnmacht, Verbrennungen, das war der Gang der Dinge. Zwar müssen wir noch auf das toxikologische Gutachten warten, aber es würde mich wundern, wenn sich da eine andere Diagnose einstellt. Nein, Trevisan, Sie können davon ausgehen, dass der Tote ein klassisches Brandopfer ist.«
»Eigentlich habe ich das nicht anders erwartet«, murmelte Trevisan.
»Tut mir leid, dass ich keinen anderen Befund liefern kann«, entschuldigte sich Doktor Mühlbauer. »Ein Projektil oder so etwas hätte vielleicht ein wertvoller Hinweis sein können. In diesem Fall: Fehlanzeige.«
Trevisan seufzte. Es gab neben all den Zufällen und den möglichen Zeugenbeobachtungen im Prinzip zwei Schlüssel zur Lösung eines Falles. Der eine führte über das Opfer selbst, seine Persönlichkeit, seine Geschichte und seine Beziehungen. Der zweite Schlüssel führte über die Tat. Über die Art und Weise der Begehung, über die Vorgehensweise des Täters und über Spuren, die der Täter hinterlassen hatte. Im Fall Baschwitz gab es keine verwertbaren Spuren. Trevisan wusste, dass viel Arbeit vor ihm und seinem Team lag.
*
Monika Sander war der Verzweiflung nahe. Sie saß zusammen mit Anne Jensen im Verwaltungsbüro der Stadtverwaltung.
»Wir haben die Freiwilligen Wehren aus den einzelnen Stadtteilen«, sagte der Sachbearbeiter, »dann kommen da noch die Hafenfeuerwehr und einige Werksfeuerwehren hinzu. Weiterhin müssen wir unterscheiden zwischen Mitgliedern und aktiven Wehrmännern. Und vergessen Sie nicht, in den umliegenden Gemeinden sind ebenfalls Frauen und Männer in freiwilligen Verbänden organisiert. Natürlich können wir Ihnen die Listen für Wilhelmshaven besorgen, aber das wird eine Weile dauern. Um die Betriebsfeuerwehren und die Hafenwehr, die Bundeswehreinheiten, die sich mit Brandbekämpfung beschäftigen, und die Freiwilligen Feuerwehren der Umlandgemeinden müssen Sie sich selbst kümmern, da kann ich leider nicht behilflich sein.«
»Was glauben Sie, wie viele Personen kommen da zusammen?«, fragte Monika.
Der Sachbearbeiter wiegte zögernd den Kopf. »Grob 350 Mann bei den Aktiven, und etwa tausend sonstige Mitglieder. Musikkapellen, Fördervereine, und so weiter. Aus dem Umland, damit meine ich den engen Kreis, kommen wohl noch einmal 250 Mann hinzu. Wenn Sie alle überprüfen müssen, dann haben Sie eine Menge Arbeit vor sich.«
Monika Sander zog ihre Stirn kraus. Mit dieser ungeheuren Zahl hatte sie nicht gerechnet. »Bis wann können Sie mir eine Liste für Wilhelmshaven zusenden?«
Der Sachbearbeiter schaute auf den Kalender, der neben ihm an der Wand hing. »Vor drei, vier Wochen war schon einmal ein Kollege von Ihnen hier. Es müsste noch eine Auflistung im Computer gespeichert sein. Ihr Kollege fragte aber nur nach der Kernstadt. Für eine Gesamtzusammenstellung brauche ich mindestens eine Woche. Wobei ich einen offiziellen Antrag benötige. Ich bin mir nämlich nicht ganz sicher, ob ich die Daten so einfach weitergeben darf.«
»Und wenn es um Totschlag oder Mord geht?«, erwiderte Monika Sander.
»Sie meinen wegen des Toten heute Morgen am Südwestkai?«
Monika Sander nickte.
»Unter uns gesagt, hat dieser Brandstifter bislang nützliche Arbeit geleistet«, flüsterte der Sachbearbeiter. »Verstehen Sie mich nicht falsch, nicht, dass ich die Sache gutheiße – und seit es einen Toten gab, sieht es sowieso ganz anders aus. Aber aus städteplanerischer Sicht war er mitunter ganz hilfreich. Die meisten Gebäude, an denen er sich vergriff, waren von maroder Bausubstanz und hätten früher oder später abgerissen werden müssen. Sie glauben gar nicht, auf welchen Widerstand wir stoßen, wenn wir mit Firmen in Kontakt treten und die Sanierung eines Gebäudes fordern. Plötzlich wird aus einer Ruine wieder ein wertvolles Lagergebäude.«
»Das heißt aber nicht, dass wir auch noch eine Liste der Bediensteten des Rathauses brauchen …?«, unkte Monika.
Abwehrend hob der Verwaltungsbeamte die Hände. »Selbstverständlich nicht. Ich werde Ihnen die Liste baldmöglichst übersenden.«
Monika erhob sich lächelnd und reichte dem Mann die Hand. »Ich verlasse mich auf Sie.«
Sie ging mit Anne zu ihrem Dienstwagen zurück und stieg ein. »Das heißt«, sagte sie, während sie den Gurt anlegte, »dass wir uns noch um die Umlandgemeinden und die Firmen kümmern müssen, die Betriebsfeuerwehren unterhalten. Bei all der Arbeit, die vor uns liegt, hoffe ich nur, dass wir auf dem richtigen Weg sind.«
»Das klingt allerdings nicht nach einer schnellen Lösung«, antwortete Anne.
»Nein, ganz bestimmt nicht. Und wenn wir die Listen haben, müssen wir sie erst auswerten. Viele der aktiven Feuerwehrmänner sind zwischen achtzehn und vierzig Jahre alt. Ich frage mich, ob unser Netz nicht zu grob ist.«
»Also, irgendwie klingt das alles nicht sehr erfolgversprechend«, bemerkte Anne.
»Hast du eine andere Idee?«
*
»Jens Baschwitz, geboren am 2. März 1971 in Cuxhaven, geschieden und seit knapp fünf Jahren wohnsitzlos. Er hat noch Familienangehörige in Emden. Seine Exfrau und zwei Söhne.« Dietmar blätterte die Computerausdrucke durch. »Diebstähle, Beleidigungen, Schlägereien und sogar ein Raub unter Tippelbrüdern.«
»Ein Raubüberfall?«, fragte Till Schreier.
»Er hat gemeinsam mit einem Komplizen vor acht Wochen einen Zechbruder um seine Tageseinnahmen aus der Fußgängerzone erleichtert. Angeblich hatte der Beraubte Schulden bei ihm und der Fall war nicht so ganz eindeutig, weil alle Beteiligten alkoholisiert waren. Deswegen wurde das Verfahren eingestellt. Gesessen hat er auch schon. Von April 1996 bis Juli 1997 verbüßte er eine Freiheitsstrafe wegen wiederholter Körperverletzung. Ein ganz übler Bruder offenbar.«
»Kann das vielleicht ein Motiv sein?«
Dietmar warf die Aufzeichnungen auf den Schreibtisch. »Glaube ich nicht. Ich bin sicher, er ist nur zufällig zum Opfer geworden. Wahrscheinlich war er besoffen und hat gar nicht bemerkt, wie die Bude langsam über ihm abfackelte.«
»Wer war damals der Beraubte, beziehungsweise der Komplize von Baschwitz?«
Dietmar durchsuchte