Mühlviertler Blut. Eva Reichl
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Stern wandte sich seinen Kollegen und dem Opfer zu. Er musste zugeben, es war tatsächlich kein schöner Anblick, dazu noch die ausführlichen Schilderungen Webers – und der Albtraum eines jeden Menschen war fertig.
»Na, Weber, haben Sie noch etwas für uns?«, fragte Grünbrecht. Sie hielt Block und Stift für etwaige Notizen bereit.
»Dass der Pfarrer verblutet ist, brauche ich euch wohl nicht zu sagen. Die Menge des Blutes, die ihr hier seht, spricht für sich. Die Tatzeit – da wiederhole ich mich – ist so um Mitternacht, also die beste Stunde für Vampire.« Weber grinste.
»Fängst du auch noch damit an!«, fuhr Stern ihn an. Er hielt nämlich schlichtweg gar nichts von diesem Vampirhokuspokus. »Sonst noch was? Aber bitte etwas, das wir brauchen können.«
»Derweilen nicht«, antwortete Weber amüsiert, weil er mit seinem Kommentar über die beste Stunde für Vampire Stern auf die Palme gebracht hatte. Über dieses Ergebnis zufrieden, steckte er seine Gerätschaften zurück in die Tasche und schritt in Richtung Kirchenpforte davon. »Wenn ihr mit ihm fertig seid, schickt ihn mir bitte in die Gerichtsmedizin!« Mit diesen Worten an die Spurensicherer verließ Weber das Gotteshaus.
»Warum macht jemand so etwas ausgerechnet mit einem Pfarrer?«, fragte Grünbrecht, die Arme mit dem Notizblock verschränkt und den Blick auf den Leichnam gerichtet.
»Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht beantworten, Grünbrecht. Der Mensch ist von Natur aus böse, das müssten Sie als Inspektorin eigentlich am besten wissen. Und wenn jemand in den eigenen Augen einen Grund zum Töten hat, dann ist es ihm wahrscheinlich egal, ob das Opfer eine Soutane trägt.«
»Ein Eifersuchtsdrama können wir aber ausschließen.«
»Sagen Sie das nicht, Grünbrecht. Es gibt nichts, was es nicht gibt. Aber fragen Sie bei der Spurensicherung nach, ob die die Tatwaffe gefunden haben. So etwas Ähnliches, wie Weber es beschrieben hat, also Stricknadeln, Nägel oder dergleichen.«
»Hab ich schon. Während Sie mit Weber geredet haben.«
»Natürlich haben Sie das.« Stern wusste um die Dienstbeflissenheit seiner jungen Kollegin Bescheid. »Und? Spannen Sie mich nicht auf die Folter.«
»Sie sagen, dass sie noch nichts gefunden haben, was als Tatwaffe infrage kommt.«
»Gibt es Überwachungskameras?«
»Das hier ist eine Kirche, Chef!« Grünbrecht klang entrüstet und war sich sicher, dass eine Antwort aufgrund dessen, dass sie in einem Gotteshaus standen, überflüssig war.
»Gibt es draußen vor der Kirche vielleicht Kameras? Möglicherweise sehen wir ja, wie der Priester und der Mörder die Kirche betreten haben und nur der Mörder sie verlassen hat.« Stern wusste schon, während er sprach, dass sich sein Wunsch nicht erfüllen würde. Überwachungskameras passten genauso wenig zu einer Kirche wie Pommes frites und Burger zu einer Diät.
»Es würde mich wundern, wenn es in Liebenau auch nur eine einzige Überwachungskamera gibt«, antwortete Grünbrecht. »Ich kann mal nachfragen, aber zu viele Hoffnungen würde ich mir nicht machen.«
Der Chefinspektor brummte als Antwort. Er hatte das volle Ausmaß der Tragödie erkannt. Das hier war kein Fall, den man schnell im Vorbeigehen löste, weil die Fakten ohnehin klar am Tisch lagen und der Täter allen bestens bekannt war. Die Aufklärung dieses Falls nahm bestimmt mehrere Tage in Anspruch, wenn nicht sogar Wochen. Schließlich hatte sich der Täter die Mühe gemacht, den Leichnam theatergerecht zu inszenieren. Da hatte er sicher ebenso genügend Zeit dafür aufgewendet, alle Spuren zu beseitigen. Jetzt wusste Stern, warum der Dienststellenleiter etwas von mysteriös und diabolisch dahergeredet hatte.
»Na, dann«, sagte er und wandte sich von dem Toten ab.
»Dann jagen wir also einen Vampir«, sagte Grünbrecht lapidar, ohne zu ahnen, dass sie sich damit Sterns Unmut zuzog.
»Das ist doch lächerlich!«, fuhr der sie gleich an. Doch lächerlich hin oder her: Sie beide saßen solange in Liebenau fest, bis sie den Mörder überführt hatten. Wie lange das dauern würde, wusste Stern nicht. Er wusste auch nicht, ob es überhaupt einen Vernehmungsraum gab. Außerdem brauchten sie jemanden, der sie in das örtliche Geschehen einweihte, der ihnen verriet, wer es mit wem trieb und wer mit wem Streit hatte. Dinge, die nur ein Liebenauer wissen konnte – Plattlbauer! Der hatte doch eingangs erwähnt, dass er aus Liebenau stamme, demnach alles über die hiesige Bevölkerung wissen müsste oder zumindest in Erfahrung bringen konnte. Städtern, wie Stern und Grünbrecht es waren, würden die Menschen hier nichts erzählen, zumindest nichts, was sie ihnen nicht eigenhändig aus der Nase zogen. Stern hoffte nur, dass die schaurigen Schilderungen Webers keine langfristigen Schäden im Nervengerüst des Revierinspektors hinterlassen hatten.
»Wo zum Kuckuck steckt eigentlich Plattlbauer?«, fragte er Grünbrecht, als er in die leere erste Bankreihe blickte.
»Sie haben ihn doch selber nach draußen geschickt, nachdem er alles vollgekotzt hat«, erinnerte Grünbrecht ihn an den unschönen Abgang des Kollegen.
»Ja, Sie haben recht.«
»Ich habe immer recht«, sagte Grünbrecht selbstbewusst.
Der Chefinspektor wandte sich daraufhin seiner Kollegin zu. »Grünbrecht, wenn Sie das glauben, sind Sie ein Grünschnabel.« Das Wortspiel mit Grünbrechts Namen gefiel ihm und zauberte ein Lächeln in sein Gesicht. Dann wandte er sich ab und verließ die Kirche. Hier waren sie mit ihrer Arbeit fertig. Er deutete den Kollegen der Spurensicherung, dass Kirche und Pfarrer nun gänzlich ihnen gehörten.
Am Kirchenplatz war indessen Volksfeststimmung eingekehrt. Für Revierinspektor Plattlbauer war der zuvor erlittene Exkurs in die Anatomie des Menschen im Augenblick wohl das geringste seiner Probleme. Er war vollends damit beschäftigt, die ständig über die Absperrung tretenden Schaulustigen einzufangen, sie zu verwarnen und auf ihre Plätze zurück zu verfrachten. Er schwitzte, und seine Gesichtsfarbe hatte sich von dem innerkirchlichen Weiß in ein schweißtreibendes Rot gewandelt.
Hier am Land war tatsächlich alles anders, dachte Stern. Die Leute hatten keinerlei Respekt vor einer Uniform, weil deren Träger einer aus ihren Reihen war, mit dem man sich duzte und abends ein Bier trinken ging. Aber er war keiner von ihnen.
»Alles herhören!«, brüllte er, sich seiner Autorität als Chefinspektor der Linzer Kriminalpolizei sicher fühlend.
Niemand reagierte. Nicht ein Einziger nahm Notiz von ihm. Der Lärmpegel stieg sogar weiter an, als wollte man sein Geschrei übertönen. Da steckte Plattlbauer die Finger in den Mund und stieß wie beim Anpfiff des am Abend stattfindenden Eröffnungsspiels der Fußballweltmeisterschaft einen schrillen Pfiff aus. Das ließ ein Raunen wie eine La Ola durch die Menge schwellen, die schlussendlich doch verstummte. Erwartungsvoll richteten sich unzählige Augenpaare auf Stern, der ihnen scheinbar etwas zu sagen hatte. Hoffentlich etwas Spektakuläres über den Todesfall.
»Mein