Zurück im Zorn. Christoph Heiden
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Читать онлайн книгу Zurück im Zorn - Christoph Heiden страница 16
»Ich dachte, du wartest auf Martins Heimkehr?«
»Halt bloß den Rand, Willy.«
Während er die Treppe auf Socken hinabstieg, trug Lisbeth Stiefel und Lederjacke. In ihrer Faust hielt sie ein matt glänzendes Beil.
»Dir liegt das Rumschnüffeln wohl im Blut?«, fragte sie. »Oder bist du in deiner Horch-und-Guck-Zeit hängengeblieben?«
»Ich dachte, das wäre dein Verein gewesen.«
»Ich hab gesagt, du sollst die Klappe halten.«
Sie schlug mit dem Beilnacken so kräftig gegen das Geländer, dass er auf der Stelle stoppte. »Hopp, Hopp«, drängte sie, und noch bevor er die unterste Stufe erreichte, machte sie einen Schritt zurück. »Bleib bloß auf Abstand, sonst wird’s schmutzig.« Sie hob das Beil und grinste humorlos. »Los, in die Küche. Hopp, hopp.«
Als Willy die Diele durchquerte, konnte er nirgends seine Schuhe entdecken; sie musste das Paar weggeschafft haben, womöglich hatte sie es in den Ofen gefeuert. Der Hexe war alles zuzutrauen, und ihm kam der Gedanke, auf Socken abzuhauen, querfeldein zu seinem Auto.
»Falls du deine Botten suchst«, sagte sie, »die stehn am Ofen.«
»Hast wohl kein Holz mehr?«
Lisbeth hob das Beil und dirigierte ihn auf die eingebaute Bank hinter dem Tisch. Die Sitznische war bis auf Brusthöhe mit dunklem Holz vertäfelt, darüber hingen Bilder von Engeln und rosaroten Schwänen. Willy nahm Platz und entdeckte sogleich seine Schuhe; sie lehnten hochkant am Küchenofen, als hätte er sie selbst dort hingestellt. Der Tisch war mit einer Wachstuchdecke drapiert, und in der Mitte stand ein Glas, randvoll mit Treuepunkten vom Netto. Er hatte sich immer gefragt, wer solche Punkte sammelte und was es dafür geben mochte. Neben dem Glas lag das aktuelle Prospekt, Lisbeths Morgenlektüre. Er lehnte sich zurück, schob seine Hände in die Westentaschen, sodass die Daumen hervorlugten, und bemühte ein Dauergrinsen. »Willst du mir jetzt die Finger abhacken?«
»Das würde dir gefallen, nicht wahr?«
»Ich glaub, du schnallst nicht, wie tief du im Schlamassel steckst.«
»Ach, hör auf, Willy.«
Lisbeth entfachte das Gas, setzte Wasser auf, und das Beil blieb stets in Griffnähe. Mit ihren 63 Jahren besaß sie garantiert noch ein flinkes Händchen; immerhin sorgte sie seit geraumer Zeit für sich allein, hielt selbstständig Haus und Hof instand. Willy wusste, was das hieß: Man rückte die Dinge gerade, ohne dass jemand einem aus Dank oder Respekt auf die Schulter klopfte. Risse wurden gekittet, da es notwendig war, und nicht, weil es einem den Schlaf raubte oder andere mit dem Finger drauf zeigten. Verpflichtungen hielten einen am Leben, machten das Alleinsein erträglich. Nicht ohne Eifersucht dachte er daran, dass das alles für Lisbeth bald ein Ende haben würde.
Nachdem sie zwei Tassen mit Kaffeepulver gefüllt hatte, erklärte sie:
»Ich bin keine dumme Schachtel. Ich kenn deine Tour.«
»Welche Tour denn?«, fragte Willy.
»Das weißte doch am Besten.«
»Ich? Ich weiß gar nichts.«
»Du würdest dich freuen, wenn ich dir ’nen Finger abhacke. Dann könntest du deine Griffel überall rumzeigen wie ’ne dreischwänzige Katze.« Sie trat in den Raum, hob ihre Hand und knickte den Ringfinger weg. »Seht mal, das war die Berger. Die hat wohl am Blitz geleckt.« Sie trat an den Tisch und gestikulierte wild. »Ich hab euch ja gewarnt, aber ihr habt nicht auf mich gehört. Los, holt eure Messer und Knüppel. Wir räuchern ihre Bude aus, und Martin … den bammeln wir gleich auf.«
Willy befürchtete, sie würde sich vor seinen Augen in Rage reden; diese Frau war ganz und gar verrückt, genau wie ihr Sohn mit dem Pornoheft und dem Monstercomic und seinen aufgespießten Käfern.
»Tut mir leid, Willy. Du kannst deine Griffel behalten.« Sie schritt zurück an den Herd. »Ich hab dich längst durchschaut.«
»Kommt jetzt mein Horoskop fürs nächste Jahr?«
»Du willst den Leuten auf Teufel komm raus beweisen, dass du kein Psychopath bist«, fuhr sie fort. »Aber das kannst du dir abschmieren. Ich meine, hier hält dich eh jeder für plemplem.«
Willys Grinsen fiel in sich zusammen.
»Alle wissen, dass Eva für Ordnung gesorgt hat, nicht nur im Haus, sondern auch …« Sie reckte den Zeigefinger zur Stirn. »… in deinem Oberstübchen.«
Er sprang auf, grabschte nach der Wachstuchdecke und wollte sie mit einem Ruck vom Tisch reißen; im letzten Moment bremste er sich, Lisbeth hatte bereits das Beil zur Hand.
»Nur zu, Willy. Tu dir keinen Zwang an. Erst ist der Irre in mein Haus eingedrungen, dann hat er randaliert und mich bedroht.«
Obwohl er vor innerer Anspannung zu zerspringen drohte, strich er die Decke glatt, setzte sich wieder und neigte sich zurück. Auf dem Herdgitter wackelte der Kessel, als würde er jede Sekunde explodieren. Lisbeth zupfte an ihrem Kraushaar und starrte selbstvergessen in den Dampf.
»Eine Mutter muss ihr Kind beschützen.«
»Es gibt Grenzen«, erwiderte er. »Auch für dich.«
»Das kann bloß einer sagen, der keine Kinder hat.«
»Eva war eine gute Krankenschwester.«
»Ja und?«
»Auf der Kinderstation im PKR.« Die Worte kamen ihm schwer über die Lippen. »Ich kenn das, wenn man sich um die kleinen Racker sorgt.«
Lisbeth schüttelte nachsichtig den Kopf. »Das ist dein verdammtes Problem, Willy. Du hast es nie am eignen Leib erfahren. Du hast keine Ahnung.«
»Hast du deshalb Martin das Alibi verschafft? Aus Mutterliebe?«
Sie machte einen Satz vom Herd weg und ließ die flache Seite des Beils auf die Tischplatte krachen. Willy, der sich zu ducken versuchte, stieß gegen den Tisch, wobei das Glas mit den Treuepunkten umkippte und langsam zur Kante rollte.
»Wir waren in dieser Nacht zusammen, das habe ich dir gesagt.«
»Ich denke, als Mutter hättest du ihm sowieso ein Alibi verschafft.«
»Halt bloß die Schnauze.«
»Hast du nicht gemeint, eine Mutter muss ihr Kind beschützen?«
Statt zu antworten, stoppte Lisbeth das rollende Glas knapp vor der Tischkante und richtete es wieder auf, während das Beil in ihrer Rechten nicht zur Ruhe kam. Dann schauten sie einander an, und Willy hatte den Eindruck, in diesem Blickkontakt läge ein beiderseitiges Einverständnis, das Okay für einen vorläufigen Frieden.
Sie schob das Beil auf die Anrichte, und ehe sie den Kaffee einschenkte, strich sie sich mehrmals über den Oberschenkel. Willy war diese Geste allzu vertraut: Keinesfalls wollte Lisbeth ihre Kleidung glätten, sondern sie hoffte, die Erregung aus ihren Fingern streichen zu können, das Zittern, den verräterischen Tremor. Sie pustete über ihren Kaffee und nippte zaghaft. »Wenn ich dich hier nochmal