Der Sommer mit Josie. Sandy Lee
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Читать онлайн книгу Der Sommer mit Josie - Sandy Lee страница 15
Die kam gerade zurück.
»Für die nächste Stunde haben wir Zeit, etwas gegen deine ›Katastrophe‹ zu tun.«
»Gehen wir zu dir?«
Veronikas Wohnung lag etwa so weit von der Boutique entfernt wie Barbaras, jedoch in der anderen Richtung. Als sie ins Wohnzimmer kamen, ließ die Freundin als erstes die Jalousie herunter, denn die Sommersonne schien direkt durch das Fenster in den Raum.
Veronika verschwand kurz in die Küche und kam mit einer angebrochenen Flasche Rotwein und zwei Gläsern zurück.
»Ich denke, unter gegebenen Umständen können wir uns das erlauben.«
Sie setzten sich in die bequemen Sessel.
»So, nun berichte!«
Barbaras Stimme wurde brüchig, während sie sprach.
»Es geht um meinen Jungen.«
»Daniel? Hat er was verbockt? Oder ein Mädchen?«
Barbara seufzte.
»Das wäre nichts gegen das, was ich am Wochenende durchgemacht habe. Aber du hast schon den Finger drauf.«
Barbara trank von der roten Verführung.
Sie senkte die Stimme, nicht wegen des brisanten Satzes, sondern, weil es sie Mühe kostete.
»Daniel lebt in der Vorstellung, ein Mädchen zu sein.«
Veronika hustete. Sie hatte sich am Wein verschluckt.
»Er glaubt … er sei … ein Mädchen?«
Barbara hörte den Zweifel heraus und stellte richtig: »Er ist sich ziemlich sicher, im falschen Körper zu stecken. Verstehst du? Transgender!«
Ihre Freundin nickte.
»Ich hab schon davon gehört. Aber ich hätte nie geglaubt, dass das je so nah passiert.« Sie trank erneut. »Wie bist du draufgekommen?«
Barbara erzählte kurz vom Freitagnachmittag. Sie beschrieb die Stimmung so emotional, dass sich Veronika nicht enthalten konnte zu sagen: »Oh Gott! Der Arme … ihr … Was machst du jetzt, Babs?«
Barbara zuckte die Schultern.
»Ich hab vorgestern mit der Vertrauenslehrerin von Daniels Schule gesprochen. Ilsa weiß inzwischen auch Bescheid. Morgen Nachmittag werde ich zu Hendrik fahren.«
»Und wie hat Ilsa darauf reagiert?«
»Oh, sie war stinkesauer, weil ich es ihr nicht sagen wollte. Aber als sie's dann erfahren hatte, war sie eigentlich ganz gelassen …«
Barbara holte sich die Bilder vom Vortag zurück.
»… ganz gelassen. Ja, sie hat eine Menge Fragen gestellt. Du, ich glaube, die Jugendlichen heute sind mit solchen Situationen mehr vertraut, als wir denken. Wenn ich mir da morgen Hendrik vorstelle.«
Veronika goss in Barbaras Glas nach.
»Das kommt mir schon logisch vor. Erinnere dich, wie verknöchert die Sitten früher waren! Da durften sich zwei junge Leute nicht mal allein treffen! Und so, wie heute viele keine Probleme mit ihren Klassenkameraden mit Migrationshintergrund haben, sehen sie möglicherweise auch die Spielarten menschlicher Sexualität viel normaler. Viele, aber eben nicht alle.«
Ob es nun der Wein war, oder ob Veronikas Worte die Spannung in Barbara tatsächlich gelöst hatten, lässt sich nicht sagen. Sie schaute die Freundin an und sagte mit herzlicher Stimme: »Vroni, du bist ein Schatz.«
Veronika prostete ihr zu. »Ich weiß, Babs.«
Es herrschte eine Weile Stille. Draußen konnte man hören, wie sich die Spatzen stritten. Tiere und Menschen gleichen sich oft. Nur wissen das die Tiere nicht.
Barbara unterbrach das Schweigen.
»Du meinst also, ich mache mir mehr Gedanken als nötig über Daniels Zukunft? Weil ich es aus der Perspektive unserer Generation sehe? Wolltest du das damit sagen?«
»Zumindest zum Teil wird es so sein. Was den Weg sicher nicht viel einfacher macht. Aber der Junge muss Ängste abbauen, wenn er als Mädchen leben will. Er darf nicht in jedem einen potenziellen Feind sehen.«
Barbara nickte: »Ich werd's ihm zu erklären versuchen.«
»Und, Babs …« Veronika stand auf, trat hinter sie und legte die Hände auf ihre Schultern. Sie beugte sich zu ihr herab, so dass Barbara im Augenwinkel die rote Strähne erkennen konnte, dann fuhr sie fort: »bleib ein paar Tage zu Hause! Ich rede mit der Chefin. Ich werd schon einen Grund finden. Du musst dich jetzt um so viel kümmern. Du brauchst jede Minute, die du kriegen kannst …«
Sie drückte ihre Wange gegen Barbaras.
»… auch für dich.«
Barbara genoss diese Zuwendung. Sie versuchte immer, ihren Kindern Wärme und Geborgenheit zu geben, und vergaß darüber oft, dass sie die genauso nötig hatte. Seit Hendrik weg war, fehlte ein wichtiger Teil in ihrem Leben. Manchmal stellte sie sich die Frage, ob die Zeit ohne ihren Mann wirklich die bessere Alternative sei.
Veronika löste sich von ihrer Freundin.
»Und, was habt ihr wegen des Urlaubs beschlossen? – Um mal das Thema zu wechseln.«
Barbara wendete ihr den Kopf zu.
»Sie machen mit. Ilsa war sofort dabei, als ich die Pferde erwähnte. Und Daniel habe ich gekriegt, als ich ihm einen leichteren Einstieg in den Alltagstest in Aussicht stellte. Sie freuen sich schon auf dich.«
»Ähm …« Veronika wippte mit dem ausgestreckten Zeigefinger in Barbaras Richtung. »was mir gerade einfällt: Wie soll ich Daniel jetzt eigentlich ansprechen? Habt ihr darüber schon geredet? Also«, sie verdrehte die Augen, »es wäre schon irgendwie abwegig, wenn ich mir deinen Sohn im Kleid vorstelle und Daniel zu ihm sage.«
Barbaras Gesicht begann zu leuchten, weil sie sich gerade noch einmal die gestrige Offenbarungsszene vorstellte.
»Er hat's mir durch die Schallplatte gesagt. Josie möchte er heißen.«
Veronika kannte natürlich auch die Geschichte um das Lied.
»Nein! Ach, wie süß von ihm. Er hat euer Lied gespielt, und … und er hat sich Josie als Name ausgesucht? Babs, du solltest der glücklichste Mensch auf der Welt sein! Er hat bei so einer wichtigen Entscheidung an dich … an euch gedacht.«
Sie hatte neu angesetzt, um auch Hendrik in die Situation einzubeziehen.
Barbara war in diesem Moment tatsächlich unsagbar glücklich.
Barbara