Der Sommer mit Josie. Sandy Lee

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Der Sommer mit Josie - Sandy Lee

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      Er fühlte, dass seine Position unhaltbar war. Seine ›Angriffsstrategie‹ ging nicht auf. Er musste von seinem Feldherrenhügel heruntersteigen. Denn die Liebe seines Kindes verlieren, das brachte er nicht fertig.

      »Gut. Wenn es darum geht, dann werde ich das Notwendige tun. Aber unter schweren Bedenken …« Hendrik schluckte. »Unter sehr schweren Bedenken.«

      Barbara wollte ihren Mann für diese Zustimmung etwas Gutes tun.

      »Weißt du, wie dein Kind heißen möchte?«

      Hendrik gab sich uninteressiert, obwohl das ganz und gar nicht so war.

      »Du hast jetzt eine Tochter namens Josie.«

      Er zuckte zusammen.

      »Josie? – Du meinst, wie die … Josie?«

      Plötzlich wich die Härte aus Hendriks Gesicht.

      »Ja. Er hat mir das Lied vorgespielt, und mich an einen der schönsten Augenblicke meines Lebens erinnert. Hendrik, er hat es auch für uns getan. Ist dir das deine Liebe zu ihm – zu ihr nicht wert? Sollte dieser schöne Augenblick nicht in unserer Erinnerung dazukommen?«

      Barbara brauchte ein Taschentuch. Auch Hendriks Augen – die eines gestandenen Mannes – waren glasig geworden. Vor allem, weil er sich mit aller Schmerzhaftigkeit daran erinnerte, wie unnötig die Trennung letztes Jahr eigentlich war. Wäre er etwas mehr für seine Frau dagewesen, hätte ihre durchaus berechtigten Argumente ernster genommen, wie schön könnte ihr Leben weitergegangen sein. Er hatte – wie heute – seine Position behauptet und war gescheitert. Und fast wäre ihm das gerade wieder passiert.

      »Barbara … Liebling … Mir ist klargeworden, dass ich ein großer Dummkopf gewesen bin. Nicht nur heute, sondern auch die letzten Jahre. Du hast recht. Wenn wir Daniel …« Seine Frau blickte ihn leicht tadelnd an. »Wenn wir … Josie helfen wollen, müssen wir zusammenhalten. Ich muss erst mit der neuen Situation fertigwerden. Du siehst, ich bin vollkommen geplättet. Aber, bitte, überleg dir das mit unserem ›Ehe-Urlaub‹. Ich habe eben gefühlt, wieviel ich verpasse, wenn ich nicht bei euch bin. Schöne und … aufregende Momente mit dir und mit den Kindern. Wir lieben uns doch noch. Ich hab's kapiert, ich war ein selbstsüchtiger Trottel und habe die Welt um mich herum nur so gesehen, wie sie in mein Schema passte. Aber Barbara – um unserer aller Liebe willen – ich werf dieses Schema über Bord. Ihr fehlt mir so. Du fehlst mir so.«

      Es war fast ein zweiter Heiratsantrag, den Hendrik Barbara machte. Und Barbara hatte ihm eigentlich schon vor diesem Tag verziehen – wenn er sich ändern würde. Das Paradoxe an der Sache war nun ausgerechnet Josie. Ihr Auftauchen in der Familie hatte beiden unabhängig voneinander die Augen geöffnet. Aber gleichzeitig mussten sie feststellen, dass ihre Einstellung der neuen Situation gegenüber noch weit voneinander abwich. Hendrik hatte heute gezeigt, dass er die Sache nicht richtig ernst nahm und demzufolge zu Hause viel kaputtmachen konnte. Das konnte Barbara jedoch nicht zulassen. Für sie verschmolzen Daniel und Josie zu einer Person – zu ihrem Kind. Sie sah nicht die Äußerlichkeiten, sie sah nur das Wohl ihres Kindes. Und das musste ihr Mann anscheinend noch lernen.

      »Hendrik, ich kann das verstehen. Aber hast du gerade nicht vielleicht mehr mich als Josie im Sinn? Wenn du zurückkehren möchtest, dann kehrst du zu uns allen zurück: zu mir, zu Ilsa und … zu Josie. Begreife das, zu Josie. Wenn du unsere Wohnung betrittst, wird es dort keinen Daniel mehr geben. Du musst loslassen! Wenn du soweit bist, dann bekommst du deine Chance.«

      Hendrik seufzte. Es war eine Art Ultimatum, ein Erbe mit Klausel. Für Daniel würde sie ihm die Tür nicht öffnen. Die Spielregeln hatten sich geändert.

      Ein mühevoller Tag ging zu Ende. Als Barbara nach Hause kam, war Ilsa von der Geburtstagsparty zurück.

      »Mama, du siehst müde aus.«

      »Ja. Ich habe mit Papa über Josie geredet, und es war sehr anstrengend.«

      Ilsa runzelte die Stirn.

      »Ist er nicht damit einverstanden?«

      Barbara legte ihren Arm um Ilsa Schulter.

      »Einverstanden … Darum geht es hier nicht, mein Schatz. Wir können uns die Welt, in der wir leben, nicht aussuchen. Es gibt einige unumstößliche Tatsachen. Josie gehört jetzt dazu. Aber Papa kann das noch nicht akzeptieren. Er hängt an Daniel. Und dass Daniel nicht mehr da ist, das tut ihm irgendwie weh.«

      Ilsa warf ein: »Aber Daniel ist doch da! Nur, dass er jetzt eben Josie ist. Josie ist doch der gleiche Mensch, nur dass sie etwas anders aussieht als früher.«

      Barbara zog Ilsa an sich. Was ihre Tochter da gesagt hatte, klang sehr erwachsen. In dieser Beziehung war sie viel weiter als Hendrik.

      »Das hast du gut beobachtet. Ob Josie oder Daniel, ihr werdet euch genauso lieb haben. Aber für Papa ist das ein Unterschied. Er hat sich so an seinen Sohn gewöhnt. Und plötzlich, als Josie, ist ihm sein Kind fremd geworden. Dass Papa nicht hier ist, macht die Sache auch nicht einfacher, denn dann könnte er Josie näher kennenlernen. Sieh mal, wie wir uns schon an unsere Große gewöhnt haben. Wir sehen sie jeden Tag. Daniel hat sich so verändert, wie sich ein Junge in einen Mann, ein Mädchen in eine Frau verändert. Alles auf der Welt verändert sich. Das übersehen wir oft. Nur, wenn es von der allgemeinen Regel abweicht bemerken wir es. Und für Papa scheint das besonders hart zu sein.«

      Ilsa legte ihre Hand auf die ihrer Mutter, die immer noch auf der Schulter ruhte.

      »Kommt Papa wieder zu uns?«, fragte sie, etwas traurig.

      »Ich denke, schon. Doch vorher muss er mit Josie ins Reine kommen. Ich möchte keinen Streit im Haus. Ich habe ihm gesagt, dass er hier gebraucht wird. Aber dazu muss er seine Einstellung ändern. Ich hoffe, er tut es bald.«

      »Ja. Ich vermisse ihn sehr.«

      Barbara pflichtete ihr bei.

      »Glaub mir, ich auch.«

      Trotz ihrer Müdigkeit hatte sich Barbara noch einmal Josies Einkaufszettel vorgenommen. Wenn sie die Artikel wegrechnete, die sie wahrscheinlich im Second-Hand-Shop kaufen konnte, fiel der Rest der notwendigen Kleidungsstücke ganz erschwinglich aus. Leibwäsche, Strumpfhosen, Schuhe. Sie legte die Sachen in den Einkaufswagen, und dann – in einem Anflug von Freude über das geschenkte Notebook – packte sie noch ein hübschen knielangen Rock dazu, der auf Josies Liste ganz weit oben stand.

      Das musste reichen. In Anbetracht der Ereignisse orderte sie das Ganze mit 24-Stunden-Lieferung. So konnten die Sachen am Donnerstag da sein. Für morgen hatte sie geplant, dem Laden in der Fischerstraße einmal einen Besuch abzustatten.

      Barbara war gerade fertig und hatte die Shop-Seite geschlossen, als Josie ins Zimmer kam. Sie war drüben bei ihrer Schwester gewesen und hatte mit ihr geplaudert. Ilsa war wirklich prima. Ihr war es anscheinend völlig gleichgültig, ob Josie als Junge oder Mädchen herumlief. Sie hatte in der Familie die geringsten Umstellungsprobleme, und es war fast anzunehmen, dass sie sich über diese Veränderung freute. Eine Schwester zu haben, schien ein geheimer Wunsch von ihr zu sein. Und Josie, begierig, all das zu lernen, was Mädchen so ausmachte, kam ihr da entgegen. Auch Barbara hatte schon bemerkt, dass sich eine neue Art Geschwisterbeziehung zwischen beiden aufbaute.

      »Wie war's bei Papa?«, erkundigte sich Josie.

      »Schwierig.« Dieses Wort sagte

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