Jedes Kind darf glücklich sein. Maren Hoff

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Jedes Kind darf glücklich sein - Maren Hoff

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verteidigt, anstatt sie zu bestrafen. Er merkte aber auch, wie sich sein eigener Vater aufgrund seiner Familiengeschichte entwickelt hatte und welches Männerbild sich da von Generation zu Generation eingeprägt hatte. Der Vater hatte früh die Mutter verloren und die Erziehung der jüngeren Geschwister in einer Zeit übernehmen müssen, in der Hunger, Armut und Chaos herrschten und auf den eigenen Vater kein Verlass war. Für Leons Vater bedeutete Liebe, dafür zu sorgen, dass Essen auf dem Tisch stand.

      Durch die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte veränderte sich Leons Blick auf seine Familie: Die anfängliche Wut verwandelte sich in Verständnis und Mitgefühl. Er bemerkte, dass sein Vater eine völlig eigene Form von Zuneigung gewählt hatte. Indem er dafür sorgte, dass es den Kindern an nichts fehlte und sie einen guten Start ins Leben hatten, hatte er sein Möglichstes getan. Mit diesem neuen Verständnis konnte Leon das bisher als unumgänglich empfundene Verhalten völlig neu bewerten. Er spürte, dass Liebe auch durch Väter möglich war und dass er die Wahl hatte, wie er sie seiner Tochter geben wollte.

      DAS KLEINE IM GROSSEN – FAMILIE IN DER GESELLSCHAFT

      Auch wenn es in diesem Buch um unseren kleinsten Kosmos geht, den Familienkosmos, so ist es doch wichtig, sich klarzumachen, dass alles, was im Kleinsten wirkt, auch im Großen, in diesem Fall unserer Gesellschaft, sichtbar ist. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es seit 75 Jahren keinen Krieg gab. In anderen Teilen der Welt finden hingegen weiterhin Kriege statt. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren unsere Vorfahren katastrophalen Zuständen ausgesetzt, nachdem Deutschland schuldhaft zwei Weltkriege entfacht hatte. Mord, Verrohung, Tod, Denunziation, Folter, Verfolgung und Terror gingen mit diesen und so vielen anderen Kriegen einher. Geschichten von Schuld, Angst und Scham haben die Generationen vor uns geprägt. Verdrängung und Härte, Schmerz und Wut, Ohnmacht und Macht haben sich tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Doch mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren die Schrecken nicht vorüber: Trennung, Terror, Flucht, Bespitzelung, Berufsverbote, Atomkriegsgefahr. Auch die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten barg Probleme: Menschen, die so lange getrennt gewesen waren und so Unterschiedliches erlebt hatten, trafen mit der wirtschaftlichen Übernahme eines ganzen Staates und seiner Bevölkerung aufeinander. Massenarbeitslosigkeit und Verunsicherung aufgrund der globalen Herausforderungen beeinflussen unser Verhalten bis heute.

      Andere Länder und Kontinente haben nicht minder schlimme Erfahrungen gemacht, teilweise sogar katastrophale Dinge erlebt, denken wir nur an den jahrhundertelangen Sklavenhandel, an Kastensysteme, Kolonialismus, Rassentrennung und Apartheid, Reservate, Unterdrückung, Militärdiktaturen, an das Verschwinden von Menschen, an Wirtschaftssanktionen, Finanzkrisen, Folter, Bürgerkriege, Atombomben.

      Traumaexperten gehen davon aus, dass in einer Gesellschaft erlebtes Trauma häufig verdrängt wird, aus Unfähigkeit, mit dem Erlebten heilend umzugehen. Sie führen viele gesellschaftliche Probleme auf dieses jahrelange Verschweigen zurück. Gerade Menschen, die eine Traumaprägung weit von sich weisen, seien oft besonders stark traumatisiert.

      Man kann von unserer Gesellschaft als einem Traumakollektiv sprechen, einer eher willkürlich zusammengefügten Gruppe von Individuen, die alle entweder selbst Traumen von Vernachlässigung, Gewalt und Unsicherheit durchgemacht haben oder in deren Familie erlebtes Trauma seine Spuren hinterlassen hat. Viele Menschen sind sich dieser Vergangenheit allerdings nicht bewusst oder wollen es nicht sein. Sie sind sozusagen traumablind. Um sich eines Traumas nicht bewusst sein zu müssen, entwickeln sie zahlreiche Überlebensstrategien. Das sind (unbewusste) Ablenkungsmanöver, die Scheinidentifikationen liefern, um sich nicht über die eigene authentische Identität klar zu werden. So definieren Menschen sich unter anderem über ihren Glauben, ihre Nationalität, ihren Job, ihren Besitz oder ihr Einkommen. Damit schaffen sie eine Distanz zu sich selbst und zu anderen. Indem ein Mensch Trauma bei sich negiert, also tut, als wäre es nicht vorhanden, kapselt er einen Teil seines Selbst ab – den Teil, der Schmerz und Mitgefühl empfinden kann. Er verhärtet im Inneren wie auch im Äußeren: gegenüber dem eigenen Leid und dem Leid anderer. Deshalb sind Opfer von Missbrauch so oft später selbst Täter oder finden sich in Situationen wieder, in denen ihnen aufs Neue Gewalt angetan wird.

      Menschen, die verraten oder vernachlässigt worden sind, projizieren oft ihre gesamte Wut, die aus dem eigentlichen Schmerz resultiert, nach außen, auf Feindbilder. Das tut nicht so weh wie die Auseinandersetzung mit der eigenen schmerzvollen Geschichte und der eigenen tatsächlichen Identität.

      In unserer Gesellschaft lernen wir leider nicht, dass eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit notwendig ist und weshalb das so ist. Gesellschaftspolitisch wundern wir uns nur über die Symptome, die dieser Abkapselungsstrategie folgen, ohne dass wir sie damit in Zusammenhang brächten: Burn-outs, Übergewicht, eine zunehmende Verrohung und andere Auswüchse. Wir diskutieren medial in breitem Maße über die Symptome, aber selten über eine nachhaltige Lösung der Ursachen. Dass wir uns hier mit über Jahrzehnte verschleppten Traumen auseinandersetzen müssen, fühlt sich sicherlich nach einer unbewältigbaren Herausforderung an. Und wir können sie schwerlich für andere übernehmen. Doch für uns selbst können und sollten wir das tun.

      Unsere Geschichte prägt uns

      Das Ausmaß, in dem uns die Geschichte und die unserer Vorfahren bis heute prägt, war uns lange Zeit nicht bewusst. Besonders unsere Eltern- und Großelterngeneration mit ihren Prägungen haben einen erheblichen Einfluss, auch auf unsere DNA. Sie können uns Krankheiten oder die Neigung zu Übergewicht vererben, eine geringere Stressresistenz mit der Gefahr von Burn-out oder Depressionen. Das ist keine Aufforderung, angesichts der Gräuel des letzten Jahrhunderts den Kopf in den Sand zu stecken. Das wäre übrigens genau die Reaktion, mit der die Nachkriegsgenerationen auf die Erfahrungen der Kriege reagiert haben.

      Wir haben hier und jetzt die Chance, Licht ins Dunkel zu bringen und Wunden zu heilen, die wir nicht mehr weiter mit uns mittragen und auch nicht an unsere Kinder und an nachfolgende Generationen weitergeben wollen.

      Wechselwirkungen

      Das Größte beeinflusst das Kleinste – gesellschaftliche Entwicklungen wirken in die Familie und in jedes menschliche Leben hinein. Doch das Kleinste beeinflusst auch das Größte: Wenn wir uns im Hier und Jetzt bewusst darum bemühen, können wir eine Lösung bis in die Vergangenheit hinein bringen. So können wir individuell Verstrickungen lösen und langfristig zu kollektiven Veränderungen mit beitragen.

      SICH MEHRGENERATIONALER VERWUNDUNGEN BEWUSST WERDEN

      Ein Hinweis, dass sich eine alte Verletzung bemerkbar macht, kann folgende Situation sein: Wir sind schon im Stress und reagieren zur eigenen Überraschung in einer Weise, wie wir es überhaupt nicht von uns kennen – sondern von unseren Eltern, mit einem Satz oder einer Geste, die wir überhaupt nicht von ihnen übernehmen wollten. Und die Heftigkeit der Reaktion ist dem Anlass überhaupt nicht angemessen. Für die meisten Klienten sind es solche Erlebnisse, die sie zum ersten Mal stutzig werden lassen und die sie dazu bewegen, ihr Verhalten im Umgang mit den eigenen Kindern zu hinterfragen.

      MARIA: WIE UNTER STRESS URALTE MUSTER HOCHKOMMEN

      »Mein Partner bat mich darum, den Autoschlüssel auf die Ablage zu legen. Er wollte am nächsten Morgen die Kinder in die Schule fahren. Eine einfache Bitte. Aber er sagte es ziemlich genervt und ich fühlte mich sofort angegriffen. Ich hatte einen langen Arbeitstag hinter mir, versuchte gerade endlich mal für fünf Minuten Ruhe zu bekommen und einen Tee zu trinken. Ich hatte das Gefühl, ich dürfte mir überhaupt keine Zeit für mich selbst nehmen und müsste alles immer sofort machen. Da ist es aus mir herausgeplatzt. Superhart sagte ich: ›Du hast mir gar nichts zu befehlen. Hör auf, mich zu kontrollieren.‹ Mein Partner war richtig verdutzt. Schließlich hatte er mir nichts befohlen. Als er das zur Sprache brachte, ist unser

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