In zwangloser Gesellschaft. Leonhard Hieronymi
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»Rowohlts Beisetzung habe ich nicht erlebt, nur die öffentliche Trauerfeier in der Fabrik in Altona. Auf Wunsch der Witwe war Oliver Maria Schmitt als Moderator engagiert worden, aber ihm schlug von der ersten Sekunde eine vollkommen unverständliche Abneigung entgegen, so als habe er sich da reingedrängt und als Nichthamburger schon gar kein Recht, sich einzumischen. Ein sehr schwerer Abend für ihn. Für mich war es ein Triumph, weil ich mit Vacoped-Schuh, nach gerade überstandenem Achillessehnenriss, auf die Bühne kam und sagte, es sei jetzt lange genug über Harry geredet worden und viel zu wenig über mich. Das gefiel den Leuten und hatte etwas Marktwainhaftes, ich glaube, Harry hätte es auch gemocht.«
Ob es Rowohlt mit der Ewigen Wiederkehr und dem endlosen Gehen im Kreis hielt oder ob er annahm, dass man für immer verschwand, das konnte man wohl nicht so genau sagen. In einem Brief an Karl-Otto Saur jedenfalls befindet sich dann doch ein kleiner Hinweis: »Nichts geht verloren, fast jeder Kreis schließt sich.« Als Beweis nennt er die Sonne von Mexico:
»Sogar in der Sonne von Mexico links hinter dem Frankfurter Hauptbahnhof haben wir gesoffen, einer Kneipe für den gehobenen Pennerbedarf, die eines Tages verschwunden war und, wie im ›Fliegenden Wirtshaus‹ von Chesterton, an anderer Stelle wieder auftauchte, im Sandweg, aufs Haar genauso, nur mit einem Hühnerdraht um den Bollerofen, weil es da in der kalten Jahreszeit immer zu häßlichen Verbrennungen gekommen war.«
Die Unsterblichkeit, wenn nicht des Körpers, dann doch wenigstens der Kneipe.
Ich drehte mich um, da hinten lag Hellmuth Karasek, oje. Eilig ging ich davon, die Whiskeyflasche ließ ich liegen.
Am Ende der Teichstraße lag zwischen Douglasien und Ahornbäumen eine Kapelle, dahinter irgendwo der Ohlsdorfer Wasserturm. Auch hier war der Friedhof ausladend, mit viel Platz zwischen den Gräbern. Vereinzelt schlenderten Herren mit grauen Bärten und Profikameras um den Hals durch die Reihen und blickten unschlüssig mal auf ein Eichhörnchen, dann auf eine dicke Hummel, die auf einer seltenen Pflanze saß, und schließlich fotografierten sie doch einen Grabstein aus der Zeit des Nationalsozialismus – die gekreuzten Schwerter vor dem Stahlhelm, das Eichenlaub auf deutschem Marmor.
Hinter dem an der Südallee stehenden Wasserturm ging ich nach links und folgte einem Schild zum »Garten der Frauen«. Auf dem Weg dorthin entdeckte ich das Grab von Fiete und Lissa Claussen, einem Paar, beide 1900 geboren, beide einhundert Jahre später, im Jahr 2000, gestorben. Kurz dachte ich, über etwas gestolpert zu sein, die Jahreszahlen auf dem Grabstein lösten bei mir ein Gefühl der Irritation aus, aber als ich mich am Boden umblickte, war da nichts.
Der Garten der Frauen ist ein über 1600 Quadratmeter großes und vom Rest des Friedhofs durch hüft- bis kopfhohe Hecken abgegrenztes Areal, auf dem an bekannte und wichtige Hamburger Frauen erinnert wird. Ich wurde schnell zu dem Kernstück geführt, der Erinnerungsspirale – einem leicht stilwidrig wirkenden Beton-Zengarten, in dem unterschiedlich geformte Steinklötze einen Kreis bilden. Dort wird an diejenigen Frauen erinnert (wenn sie nicht sogar anonym bestattet wurden), deren Grabsteine bereits vom Friedhof entfernt und zerstört worden sind. Eine Spirale also, die das Verschwinden weiter verschieben soll. Man erinnert sich hier an als Hexen beschuldigte und verbrannte Frauen, an Widerstandskämpferinnen, an die Opfer häuslicher Gewalt, aber auch an die Prinzessin Salme von Oman und Sansibar, die 1866 nach Hamburg floh und dort den Kaufmann Heinrich Ruete heiratete. Ihr eigentliches und in Granit gefasstes Grab lag in der Nähe – und auch sie war Autorin gewesen (Leben im Sultanspalast). Aber »in der Nähe« bedeutete hier nicht »um die Ecke«, also musste ich diesen Besuch verschieben.
Überall im Garten standen alte und vor dem Verschwinden bewahrte Grabsteine bekannter Frauen, aber es gab auch neue Gräber, eins davon war das der Sexarbeiterin Domenica Niehoff: St. Paulis großes Herz, Streetworkerin, Besitzerin der Kneipe Fick (1998–2000) und Autorin von Domenicas Kopfkissenbuch – eine Frau, über die Wolf Wondratschek mal gesagt hat: »Wenn sie mit dem Hintern wackelt, fließen die Flüsse bergauf.«
Wie kann man so was sagen, dachte ich, und warf dem Grabstein der durch die Poesie Wondratscheks missbrauchten Frau einen letzten Blick zu.
Ich drehte mich um, an der Glasscheibe eines kleinen Pavillons wurde auf die baldige Enthüllung einer Gedenktafel für die Maskentänzerin Lavinia Schulz hingewiesen, die, zusammen mit ihrem Mann Walter Holdt, kein Geld für ihre Aufführungen verlangt hatte und deshalb Anfang der zwanziger Jahre beinahe den Hungertod gestorben wäre, hätte sie nicht vorher ihren Mann und dann sich selbst erschossen.
Erschießen und erschießen lassen, der ewige Kreis, die Ewige Wiederkehr auch der Straftaten. Das muss für heute reichen, dachte ich, notierte mir den Termin der Enthüllung und trat den Rückweg an.
In den Abendstunden füllte sich der Friedhof. Fahrradfahrer mit plappernden Kindern im Kindersitz kurvten zwischen letzten Ruhestätten entlang, Autos und Busse fuhren in erhöhtem Takt an mir vorüber: Feierabend!
Ich wählte die verwinkelten und verzweigten Wege zwischen den Paaranlagen, Mausoleen und einem Bereich für anonyme Beisetzungen. Die Sonne stand noch immer hoch und verbrannte die Natur, die von unermüdlichen Grabpflegern vor dem Austrocknen bewahrt werden musste.
Als ich ins Dickicht der schiefen Steine und geschlossenen Laubdecken abtauchte, lagen dort auf einmal, links von mir, zwei Frauen in engen roten Kleidern und mit geschminkten Gesichtern im Gras und schauten mich mit einer Mischung aus Erstaunen und feierlicher Strenge an. Die Lippen tiefrot, sich gegenseitig halb durch Schulterschluss vor mir versteckend, wie in einem impressionistischen Gemälde einer Landpartie.
Ich hustete ihnen ein scheues »Hallo« entgegen und wollte schnell über eine Brücke davongehen, als auf einmal aus den Büschen der gegenüberliegenden Seite ein alter Mann mit Strohhut, grauem Vollbart und Spiegelreflexkamera herausstolperte und ihnen Anweisungen gab.
»Deshalb der laszive Blick«, dachte ich und schlug mir mit der flachen Hand auf die verschwitzte Stirn.
»Nein, Babe«, sagte der alte Fotograf, »Mausi, halloo?! Sooo, genau! Ja – und nicht anders. Bitte, bitte, mach’s einmal so, wie ich’s dir sage!«
Ich wusste nicht, ob ich mich verhört hatte, jedenfalls lachten die zwei Frauen jetzt unentwegt, und ich entschloss mich, nachdem ich schon über die Brücke gegangen war, umzukehren und noch einmal zu schauen und zu fragen, was das denn sollte.
»Entschuldigung«, sagte ich schüchtern, als ich wieder bei ihnen stand. »Darf ich fragen, was Sie hier heute noch so machen?«
»Wir schießen Fotos. Es gibt doch keinen schöneren Ort dafür, oder nicht?«, sagte der alte Fotograf misstrauisch.
»Ja, schon. Aber sind Sie eine Band oder so was?«, wollte ich wissen.
»Nein«, antwortete er genervt, so als hätte ich sie bei etwas wirklich Wichtigem gestört. »Wir kommen auch nicht von hier. Wir machen einen Fotoband.«
Alle drei schüttelten die Köpfe und lächelten gleichzeitig, dabei begannen sich die Frauen im Sitzen umständlich umzuziehen.
»Wir haben uns einfach gefunden, o.k.?«, sagte eine von ihnen, und das war für mich das Signal, den Tatort zu verlassen.
Am Ende riefen sie mir aber doch noch hinterher:
»Viel Glück auf deiner Reise!«
Ich ging zum dritten Mal über die Brücke und wollte nach links abbiegen, als ich dort einen anderen alten Mann sah, mit langen grauen Haaren und