Plädoyer für eine realistische Erkenntnistheorie. Jürgen Daviter
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1. Die wichtigsten Gesetzesannahmen
2. Zur Art und Begründung der Erkenntnisse sowie zum Vorwurf der Zirkularität
3. Die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt
4. Zur Reichweite
Exkurs: Kants unvollendeter Weg zur Evolutionären Erkenntnistheorie
X. Schlusswort
Literaturverzeichnis
I. Einleitung:
Zur Klärung einiger wichtiger Begriffe
Laß dich nie dazu verleiten‚ Probleme ernst zu nehmen‚ bei denen es um Worte und ihre Bedeutung geht. Was man ernst nehmen muß‚ sind Fragen und Behauptungen über Tatsachen: Theorien und Hypothesen; die Probleme‚ die sie lösen; und die Probleme‚ die sie aufwerfen.
Karl R. Popper
Das Motto ist programmatisch für das Kapitel ebenso wie für die ganze Abhandlung‚ obwohl es scheint‚ als ob der Zweck schon allein dieses Kapitels dazu im Widerspruch stünde; denn da es darin um die Klärung von Begriffen geht‚ geht es doch offensichtlich um „Worte und ihre Bedeutung“. Der Widerspruch ist leicht aufzulösen. Wörter und ihre Bedeutung werden zum Problem‚ wenn man sich etwa fragt‚ was Wörter im Sinne von Begriffen wirklich bedeuten. In diesem Kapitel soll demgegenüber nur geklärt werden‚ wie im folgenden Text immer wieder auftretende zentrale Begriffe verstanden werden sollten. Es geht also gar nicht um Probleme im Zusammenhang mit Wörtern‚ sondern einfach um Vorschläge zur Definition von Begriffen und zu ihrem Gebrauch. Wie der folgende erste Abschnitt zeigen soll‚ ist damit allerdings auch schon eine Vorentscheidung zum Verständnis von Begriffen an sich gefallen. Denn ob Begriffen tatsächlich eigene Wirklichkeitsbedeutungen zukommen‚ ist eine alte erkenntnistheoretische Frage‚ die die ganze Abhandlung wie ein roter Faden durchziehen wird.
1. Zum Verständnis von Begriffen und Definitionen an sich
Begriffe und Definitionen hatten in der Philosophie und speziell in der Erkenntnistheorie von alters her ganz unterschiedliche Bedeutungen und Funktionen‚ und dabei ist es bis heute geblieben. Es gibt einerseits die im Vorspann kurz erwähnte nominalistisch genannte Praxis‚ Begriffe lediglich zu definieren: Der Begriff wird ohne jeden Erkenntnisanspruch inhaltlich beschrieben oder festgelegt; Dinge haben oder bekommen einen Namen. Bei der entgegengesetzten sogenannten essentialistischen Position geht man davon aus‚ dass Begriffe Wesensbeschreibungen sind‚ in denen die wahre Natur der durch sie bezeichneten Dinge zum Ausdruck kommt. Anders als beim Nominalismus stecken in solchen Begriffen also Aussagen über die Wirklichkeit; sie sind deswegen erkenntnistheoretisch relevant und problematisch.
Der Nominalismus könnte leicht in den Verdacht von Beliebigkeit und Willkür geraten. Doch volle Wahlfreiheit im Gebrauch von Begriffen haben wir nur in besonderen Fällen‚ z. B. wenn es um in der Natur neu entdeckte Dinge geht‚ wie z. B. schwarze Löcher‚ Galaxien oder Neutrinos‚ oder aber wenn Phänomene benannt werden sollen‚ an deren mögliche Existenz bis dahin nicht gedacht wurde wie z. B. in der Psychoanalyse Freuds das Über-Ich‚ das Ich und das Es. Auch wissenschaftliche oder juristische Operationalisierungen fallen‚ wie schon der Begriff andeutet‚ weitgehend unter die Entscheidungsfreiheit. Wenn z. B. im Strafrecht der Begriff des Jugendlichen auf ein bestimmtes Alter begrenzt wird‚ folgt man dabei zwar u. a. einer gewissen Vorstellung davon‚ bis zu welchem Alter man bei der Bemessung von Strafen aus Altersgründen mildernde Umstände walten lassen sollte. Man kann aber doch keine wesensmäßige Grenze zwischen Jugend und Erwachsensein zugrunde legen‚ sondern muss sich für eine Altersgrenze entscheiden. Abgesehen von solchen Beispielen haben sich die in unseren Begriffen liegenden inhaltlichen Vorstellungen meistens im Laufe der kulturellen Evolution der Sprache nach und nach herausgebildet‚ weil die Menschen darauf angewiesen waren‚ für einander gleiche oder gleich erscheinende Dinge und Prozesse jeweils bestimmte und möglichst immer gleiche Wörter zu gebrauchen‚ zunächst um überhaupt lebensnützliche Informationen austauschen zu können (s. dazu Kapitel VI‚ 7. [3] sowie das IX. Kapitel)‚ später um sich auch in den höheren Formen des Gedankenaustauschs möglichst irrtumsfrei verständigen zu können. Was dabei herausgekommen ist‚ kann man herrschenden‚ konventionellen Sprachgebrauch nennen‚ den es in Fachsprachen ebenso gibt wie im Alltag. In diesem Sprachgebrauch drückt sich oft auch ein Weltbild aus; aber ebenso wie mit den oben genannten „freien“ Begriffsbildungen werden mit ihm keinerlei erkenntnistheoretische Ansprüche verknüpft.
Die essentialistische Begriffsauffassung1 ist demgegenüber erkenntnistheoretisch anspruchsvoll. Sie hat die längste Zeit über und bis in die jüngste Vergangenheit hinein die zweieinhalb Jahrtausende alte Geschichte der abendländischen Philosophie dominiert. Popper fasst diese Auffassung folgendermaßen kurz zusammen: „Die philosophische Richtung‚ die ich methodologischen Essentialismus nennen möchte‚ wurde von Aristoteles begründet‚ der lehrte‚ daß die wissenschaftliche Forschung zum Wesen der Dinge vordringen muß‚ um sie zu erklären. Die methodologischen Essentialisten haben die Neigung‚ wissenschaftliche Fragen so zu formulieren: Was ist Materie? Was ist Kraft? Was ist Gerechtigkeit? Und sie glauben‚ daß eine gründliche Beantwortung solcher Fragen‚ die die wahre und wesentliche Bedeutung dieser Begriffe und damit die wahre Natur der durch sie bezeichneten Essenzen enthüllt‚ zumindest eine notwendige Voraussetzung wissenschaftlicher Forschung‚ wenn nicht überhaupt deren Hauptaufgabe ist.“2
Anders als manche seiner Nachfolger hatte Aristoteles allerdings die komplexen erkenntnistheoretischen Konsequenzen eines essentialistischen Begriffsgebrauchs klar im Blick.3 Für ihn war unabdingbar‚ dass wir unsere Erkenntnisse beweisen müssen‚ wenn wir sie für wahr erklären wollen; und er wusste‚ dass Beweisen ein Schlussverfahren ist‚ das einen sicheren Ausgangspunkt haben muss: „ Daß man nun nichts durch Beweis wissen kann‚ wenn man nicht seine ersten und unvermittelten Prinzipien kennt‚ steht von früher her fest.“ Den Ausgangspunkt für Beweise sah er also in sogenannten unvermittelten Prinzipien‚ solchen‚ die keines Beweises mehr bedürfen. Das genau waren die wesenhaften Naturen der Begriffe. Aristoteles brauchte natürlich eine Lösung dafür‚ wie wir diese unvermittelten Prinzipien denn für wahr halten können‚ wenn wir für sie doch keine Beweise haben. Er sah die halbe Lösung in einem Induktionsverfahren‚ das er aber nicht für ein vollgültiges Beweisverfahren hielt. So griff er am Ende auf die Vorstellung zurück‚ die Wahrheit läge in der Vernunft begründet‚ also in einem rein geistigen Vermögen‚ das man in diesem Fall am besten als Intuition versteht.
Was Wörter „eigentlich sind und bedeuten“‚ diese Frage wurde schon vor Aristoteles in der griechischen Philosophie erörtert‚ und zwar in Platons Kratylos‚ einer Schrift‚ die Gadamer „die Grundschrift des griechischen Denkens über Sprache“4 nennt. Dort steht auch schon genau die Alternative zur Diskussion‚ die hier unter den Begriffen Nominalismus als konventionelle Festlegung der Bedeutung von Wörtern und Essentialismus als Beschreibung des Wesens der Dinge durch Wörter vorgestellt wurde. Gadamer nennt die Alternative etwas anders‚ nämlich Konventionalismus (im Sinne von Begriffsdefinition als Namensgebung) und Ähnlichkeitstheorie (im Sinne der natürlichen Übereinstimmung von Wort und Sache)‚ und er weist darauf hin‚ dass „die griechische Philosophie geradezu mit der Erkenntnis eingesetzt [hat]‚ daß das Wort nur Name ist‚ d. h. daß es nicht das wahre Sein vertritt“5. Im Kratylos‚ in dem Platon Sokrates im Dialog den alternativen Charakter von Wörtern erörtern lässt‚