Windmühlentage. Katrin Köhl

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Windmühlentage - Katrin Köhl

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kam zu ihr herüber. Er stand ganz nah, sein Gesicht an ihrem.

      »Eva, Evita, du brauchst dich nicht zu entschuldigen.«

      Seine Hand an ihrer Wange, um sie der stille, fast leere Raum. Das grüne Sofa wie eine Insel, auf der sie für einen Moment die Kälte vergaßen. Sie drängten sich aneinander, wärmten sich, sogen einander auf.

      Auf dem Heimweg sprachen sie nicht viel. Eva brachte Ruben zurück zum Vaihinger Bahnhof, wo sein Fahrrad stand. Er beugte sich zu ihr, küsste sie sanft auf den Mund.

      »Buenas noches, Evita.«

      Dann stieg er aus. Langsam fuhr Eva nach Hause. Sie lächelte. Erst als sie in ihrer Wohnung im Badezimmer stand und sich abschminkte, überfiel sie die Panik. Was hatte sie getan? War ihre Situation nicht schon kompliziert genug? Wie sollte es denn jetzt weitergehen? In zwei Wochen würde Ruben zu seiner Familie fahren. Dann hätte sie Zeit zum Nachdenken. Sie musste den Kopf frei bekommen, sich klar werden, was sie eigentlich wollte. Sollte sie versuchen, Frank zu kontaktieren? In ihrem Schlafzimmer zog Eva die russische Grammatik von Tauscher und Kirschbaum aus dem Regal und begann, das Kapitel über die Verben zu lesen. Sie zwang sich, ihre Aufmerksamkeit ganz auf die Bildung von Zeitformen und Verbaspekten zu richten. Über dem Kapitel zu den Bewegungsverben schlief sie schließlich ein.

      Sechs Wochen waren seitdem vergangen. An diesem Morgen war nicht viel Betrieb im Buchladen. Die Umtauschwelle nach Weihnachten war schon verebbt, viele Kunden waren noch im Winterurlaub. Eva musste lediglich ein paar Bestellungen eintippen, einige Bücher für die Stadtteilbücherei einbinden und im Lager etwas Ordnung machen. Zwischendurch blätterte sie in den Leseexemplaren der Neuerscheinungen, die die Verlage geschickt hatten.

      Als sie um viertel nach zwölf aus dem Laden trat, schneite es. Sie beschloss, eine Station mit der S-Bahn zu fahren und den Rest bis zum Café im alten Waisenhaus zu Fuß zu gehen. Der Wind war im Lauf des Vormittags stärker geworden. Er blies Eva ins Gesicht. Von der Königstraße kommend, blickte sie über den Karlsplatz. Das gelbe Gebäude des Cafés war in dem dichten Flockenwirbel kaum zu erkennen. Die Löwen zu Füßen des Reiterstandbilds in der Mitte des Platzes, weiß vermummt, wie eingefroren. Eva überquerte den Platz, öffnete die Tür zum Café. Dämpfige Wärme schlug ihr entgegen, Musik, Lachen, Tellerklappern. Es war Mittagszeit. Fast alle Tische waren belegt. Sie stand einen Moment in der Tür, die Kälte des Platzes im Rücken, vor sich die geschäftige Gemütlichkeit des Cafés. Ohne dass Eva gesehen hätte, woher er kam, stand Ruben plötzlich neben ihr.

      »¡Hola Eva!«

      Sie sah, dass seine Haare vollkommen trocken waren. Er musste also schon länger hier sein. So weit sie sich erinnerte, hatte sie ihn nie eine Mütze tragen sehen. Lachend nahm er eine ihrer schwarzen Strähnen in seine Hand.

      »Schneit's?«

      Eva versuchte ein Grinsen, aber ihre Mundwinkel fühlten sich an wie eingefroren.

      »Komm.«

      Er hatte einen Tisch am Fenster ergattert, im hinteren Teil des Cafés mit Blick auf den Platz und die Planie. Eva hängte ihren tropfenden Mantel an einen Stuhl und setzte sich auf die lederbezogene Bank. Den Kopf an die Wand gelehnt, schloss sie für einen Moment die Augen.

      »Darf"s schon was zu trinken sein?«

      Eva schaute auf. Aus einem Gewirr von blonden Locken schaute die Bedienung sie auffordernd an. Sollte sie heißen Tee bestellen? Eva zögerte kurz, entschied sich dann sicherheitshalber für Wasser. Ein größeres Problem würde das Essen darstellen. Sie schaute in die Karte und überlegte, was sie wählen konnte. Von den umliegenden Tischen zog ihr das Tagesgericht in die Nase – Pasta mit Gorgonzolasauce. Der Geruch drehte Eva den Magen um. Hoffentlich hielt sie durch. Ruben nahm eine ihrer immer noch kalten Hände in seine.

      »Wie geht es dir? Du siehst ein bisschen blass aus.«

      »Mir ist heute nicht so gut, aber das vergeht schon wieder«

      Sie zuckte mit den Schultern, versuchte zu lächeln. Die Bedienung steuerte wieder auf ihren Tisch zu. Ihre Locken und das Tablett, das sie auf der Hand balancierte, tanzten wie auf kleinen Wellenkämmen zwischen den Tischen hindurch.

      »Ein Wasser, eine Cola. Was darf's zu essen sein?«

      Ruben drückte Evas Hand.

      »Versuch es mit Reis und Huhn. Das ist gut verträglich.«

      Vermutlich hatte er Recht. Sie würde es probieren.

      »Wie war Argentinien?«

      Er lachte, streckte die Beine unter dem Tisch aus.

      «Es war warm! Wir hatten die ganze Zeit schönes Wetter. Und es tat gut, mal wieder zu Hause zu sein. Meine Mutter hat gerade einen großen Auftrag bekommen. Ein russisches Café in der Nähe der orthodoxen Kathedrale von Buenos Aires möchte die Wände mit Stadtansichten von Moskau und Sankt Petersburg bemalt haben.«

      Ruben erzählte Eva, wie er mit seiner Mutter über den Jahreswechsel Bildbände gewälzt und Unmengen von Fotos im Internet gesichtet hatte. Sie hatten gemeinsam das Café angeschaut, Skizzen gezeichnet, Pläne gemacht. In seiner Stimme hörte Eva die Begeisterung. Vermutlich wäre er am liebsten dort geblieben und hätte mitgeholfen, die Wände des Cafés zu bemalen.

      »Lernst du immer noch Russisch?«

      Eva nickte. Es freute sie, dass Ruben sich erinnerte. Sie hatte ihm vor Weihnachten einige der Bücher und Lexika gezeigt, die sie sich besorgt hatte, um in die Geheimnisse der russischen Sprache einzudringen. Im Gegenzug hatte er ihr eine Menge umgangssprachlicher Ausdrücke und ein ganzes Repertoire an ausgefallenen Flüchen beigebracht. Auch wenn sein Zugang zu fremden Sprachen ganz anders war als ihr eigener, fühlte sich Eva doch zum ersten Mal verstanden. Ruben schien etwas zu begreifen von der Ehrfurcht, die sie empfand, wenn sie das erste Mal den Fuß auf unbekannten Boden setzte, wenn sie versuchte, grammatische Strukturen zu durchdringen wie noch nicht erforschte Gebiete eines Dschungels. Auch jetzt hörte er voller Aufmerksamkeit zu, während Eva ihm erzählte, wie weit sie bisher gekommen war.

      Der Geruch von Gorgonzola ließ sie aufschauen.

      »Einmal Reis mit Hühnchen und ein Tagesessen. Guten Appetit.«

      Die Bedienung stellte zwei Teller auf den Tisch. Ruben schaute Eva an und lächelte.

      »Prijatnowo apetita!«

      Eva spießte ein Stück Fleisch auf die Gabel. Inzwischen war ihr angenehm warm. Das Café war etwas leerer geworden, der Hauptansturm zur Mittagszeit war vorüber und für Kaffee und Kuchen war es noch zu früh. Vor dem Fenster sah Eva die Schneeflocken tanzen. Sie kaute ihr Stück Fleisch, probierte ein wenig von dem Reis. Für einen Moment schien alles in Ordnung.

      Die Attacke kam wie ein Faustschlag. Panisch riss Eva sich hoch und rannte zur Toilette. Sie schaffte es gerade noch rechtzeitig, bevor sie sich übergeben musste. Zitternd kniete sie auf dem Boden der Toilettenkabine, eine Hand an der Seitenwand, Halt suchend. Schweißperlen standen ihr auf der Stirn. Sie hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen.

      »Eva?«

      Von draußen hörte sie Rubens Stimme. Langsam zog sie sich hoch, klappte den Toilettendeckel herunter und setzte sich. Das Zittern wich nach und nach einem diffusen Schwindelgefühl. Es war, als müssten die verschiedenen Körperteile erst wieder an ihren gewohnten Platz

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