Windmühlentage. Katrin Köhl

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Windmühlentage - Katrin Köhl

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du die Zeichnungen aus dem Gedächtnis gemacht?«

      Er nickte.

      »Aus dem Gedächtnis und nach Gefühl.«

      »Sie sind schön. Aber auch irgendwie traurig.«

      »Du warst oft traurig, oder?«

      Eva schluckte. Sie fühlte sich verstanden. Gleichzeitig machte es ihr Angst, dass er so genau zu wissen schien, wie es ihr ging. Ruben goss Tee ein und reichte ihr die Tasse. Eva blies vorsichtig darüber. Sie zeigte auf die angeleuchtete Leinwand. Umrisse einer Hochhauskulisse in dunklen Farben.

      »Was malst du im Moment?«

      Ruben hob einen Stapel Fotos auf, der hinter der Staffelei auf dem Boden lag. Aufnahmen von jungen Männern, die über Mauern sprangen, Wände hochkletterten, einer schien auf den Händen eine Treppe hinauf zu gehen.

      »Ich war im letzten Frühjahr in Paris. Dort stieß ich auf diese Parkourgruppe. Die Herausforderung beim Parkour ist es, auf direktem Weg von einem Punkt zum anderen zu kommen und die Hindernisse, die im Weg stehen, nur mit der eigenen Körperkraft zu überwinden.«

      Er zeigte auf eines der Fotos.

      »Schau, sie springen über eine große Distanz ganz genau auf einen Punkt. Das hier – «, Ruben tippte auf eine kleine Gestalt in roter Wollmütze und weitem Sweatshirt,» – das ist ein Mädchen. Sie war vielleicht fünfzehn und rannte senkrecht die Wand hoch als wäre es eine normale Straße!«

      Er legte den Stapel beiseite, trank einen Schluck Wein.

      »Ich experimentiere gerade mit diesem Motiv. Der Stadt und diesen jungen Menschen, die sie als ihren Spielplatz nutzen. Steinlandschaften, Hochhausschluchten, Banlieues, die scheinbar keine Luft zum Atmen lassen – und Menschen, die einfach beschließen, darüber hinweg zu fliegen.«

      Eva schloss die Augen. Sie fühlte sich müde und schwer.

      »Manchmal wünschte ich mir auch, ich könnte fliegen.«

      Ruben nahm ihre Hand.

      »Es ist nicht so schwierig, wie du denkst.«

      Er schlief. Eva spürte seinen Atem an ihrem Hals, wagte nicht, sich zu bewegen. Sie wollte Ruben nicht wecken. Einen kurzen Moment würde sie noch hier liegen, in der warmen Stille verweilen, bevor sie nach Hause fuhr. Die breite Matratze lag auf dem Boden. Sie füllte den kleinen Raum unter dem Dach fast ganz aus. Eva schaute auf die Bücherstapel, die sich rings um Rubens Schlafplatz türmten. Bildbände über alle Epochen der Kunst, Ausstellungskataloge, ein Lexikon der Kunstgeschichte. Dazwischen Zeitschriften, einige Comicbände. Sie dachte an ihr eigenes Zimmer. Auch bei ihr gab es Stapel auf dem Boden. Wenn sie nachts aufwachte, beruhigte es sie, ihre Bücher um sich zu wissen. Sie brauchte nur die Hand auszustrecken, um im Dunkeln über den rauen Einband eines lateinischen Wörterbuchs zu streichen. Leskiens Handbuch der altbulgarischen Sprache lag am Kopfende, die russische Grammatik direkt daneben. In der Nacht, wenn die Konturen verschwammen, alle Gewissheiten des Tages sich aufzulösen drohten, waren die Bücher Evas Schutz. Sie bewahrten die Struktur. Jede Veränderung war in ihnen dokumentiert, erklärt, in einen sinnvollen Zusammenhang gesetzt. Nichts geschah einfach so. Nichts verschwand spurlos.

      Im Licht der kleinen Lampe neben Rubens Matratze sah Eva die Reihe bunter Turnschuhe, die an einer Seite standen. Daneben eine Kleiderstange, an der seine dunklen Hemden und ein paar Jeans hingen. Die schrägen hellen Holzdecken erinnerten Eva an das Kinderzimmer ihrer Freundin Tanja. Es war ebenfalls unter dem Dach gewesen. Ein sicherer Hafen, dem die Dunkelheit auf wundersame Weise nichts anhaben konnte. Ein Ort, der blieb. Keine Nacht der Welt machte ihn verschwinden. Wenn Eva in diesem schützenden Zelt ankam, wusste sie, dass sie gefahrlos die Augen schließen konnte. Sie blinzelte, versuchte, zu zählen, wie viele Turnschuhpaare Ruben besaß. Rot, grün, gelb …

      Der Duft von Kaffee zog ihr in die Nase. Sie öffnete die Augen. Die Wärme des Bettes, die schützende Dachschräge über ihr. Einen Moment fühlte Eva sich warm und geborgen. Dann schreckte sie hoch, schaute auf die Uhr. Kurz nach neun. Sie sollte längst zu Hause sein. Ihr Vater wusste nicht einmal, wo sie war. Schnell sammelte sie ihre Kleider vom Boden und zog sich an. Ruben stand am Fuß der Treppe, als sie nach unten kam.

      »Ich wollte gerade zum Bäcker radeln. Was soll ich dir mitbringen?«

      Eva schaute sich suchend nach ihrer Handtasche um, entdeckte sie schließlich an einem der Garderobenhaken an der Tür.

      »Ich muss los. Mein Vater wartet sicher schon. Wenn ich samstags nicht arbeite, frühstücken wir immer um neun zusammen.«

      »Ruf ihn doch an. Er ist sicher nicht böse, wenn du einmal nicht da bist.«

      Eva schüttelte den Kopf.

      »Du kennst ihn nicht. Bei Familienritualen ist er eigen.«

      Ruben schaute sie an. Einen Moment sagte er nichts, schien zu überlegen. Dann machte er einen Schritt auf Eva zu, strich ihr über die Wange.

      »Ich möchte nicht, dass du meinetwegen Ärger bekommst. Geh nur, wir können ja später noch telefonieren.«

      Eva nickte. Sie nahm ihre Tasche von der Garderobe, sog noch einmal den Duft nach Terpentin ein, als Ruben sie zum Abschied küsste.

      Bernd saß im Wohnzimmer und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. Wie immer am Wochenende hatte er das feine Geschirr seiner Großmutter gedeckt. Der Brotkorb stand unberührt in der Mitte des Tisches. Eva setzte sich und goss ihrem Vater aus der geblümten Porzellankanne Kaffee ein. Er nahm einen Schluck, verzog das Gesicht.

      »Kalt. Na, ist ja auch kein Wunder, wenn mein Fräulein Tochter über eine halbe Stunde Verspätung hat. Hast dir wohl die Nacht um die Ohren geschlagen, was?«

      Er lachte, griff nach einer Scheibe Brot. Ehe Eva etwas antworten konnte, hatte Bernd schon wieder zu sprechen begonnen.

      »Heute Abend ist das Vorbereitungstreffen für die Demo am Montag.«

      Er klang wie immer, wenn er von einer seiner Protestaktionen erzählte. Vermutlich ging es in diesem Fall um eine der Demonstrationen gegen das Großprojekt Stuttgart 21, bei denen sich Tausende von Bürgern lautstark gegen die Verlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs unter die Erde zur Wehr setzten. Bernd war bei der Organisation der Montagsdemonstrationen engagiert, entwarf Flugblätter, in denen er die enormen Kosten des Projekts auflistete und Argumente für die Alternative K 21, die Erhaltung des Stuttgarter Kopfbahnhofs, ausbreitete. Er nannte Stuttgart 21 seine derzeitige Hauptbaustelle, aber es war keineswegs die einzige. Bürgerinitiativen, Umweltgruppen, politische Projekte und Netzwerke – Eva hatte aufgehört, jedes Mal genauer nachzufragen, wenn ihr Vater von Demonstrationen, Mahnwachen, Sitzblockaden und anderen Aktionen erzählte. Sie wusste, dass Bernd sie für unpolitisch hielt. Er wurde nicht müde, es ihr vorzuwerfen. Aber heute wollte sie keine Diskussion und schon gar keinen Streit. Vielleicht würde der Vater über seinen Erzählungen Evas Zuspätkommen einfach vergessen.

      Bernd hatte eine große Scheibe Bauernbrot mit Marmelade beschmiert. Er lehnte sich zurück, schloss die Augen und biss genüsslich hinein. Eva entspannte sich ein wenig. Sie nahm sich ein Brötchen aus dem Korb, biss ein kleines Stück ab.

      »Der Typ, der dich gestern Abend abgeholt hat – läuft da was?«

      Es kam so unvermittelt, dass Eva nicht wusste, was sie sagen sollte.

      »War

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