Windmühlentage. Katrin Köhl

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Windmühlentage - Katrin Köhl

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Ordnung?«

      Eva schwieg. Was sollte sie ihm sagen? Dass sie nicht wusste, was mit ihr los war? Sie hatte sich geweigert, darüber nachzudenken. Hatte das Problem beiseite geschoben, es ignoriert, als würde es dadurch von allein verschwinden. Jetzt saß sie hier. In ihr nur Schwindel und Leere. Stille. Vorsichtig stand sie auf, ging zum Waschbecken. Ihr Gesicht im Spiegel sah bleich aus. Sie wusste nicht, wie lange sie auf der Toilette gesessen hatte. Eva drehte den Wasserhahn auf, wusch sich Hände und Gesicht und spülte den galligen Geschmack aus dem Mund. Dann öffnete sie die Tür. Ruben stand im Flur. Er sah Eva an, nahm ihre Hand. Zusammen gingen sie zurück ins Café. Das Essen auf ihren Tellern war kalt geworden. Sie saßen nebeneinander auf der Bank, Eva fühlte sich ausgelaugt und immer noch leicht schwindelig. Sie schaute auf ihre Hände, die sie zwischen die Oberschenkel gepresst hatte, als könnte sie sich damit ein wenig Stabilität verschaffen. Nach einer Weile strich Ruben ihr sanft übers Haar.

      »Bist du schwanger?«

      Eva presste ihre Hände noch fester aneinander. Das konnte nicht sein. Es durfte nicht sein. Nein, sicher war es etwas Anderes. Wie kam Ruben überhaupt auf die Idee, sie so etwas zu fragen?

      »Cristina. Bei ihr war es auch so, jedes Mal.«

      Er sagte es, als hätte Eva ihre Frage laut gestellt. Rubens große Schwester hatte drei Kinder, das wusste sie aus seinen Erzählungen.

      »Das muss gar nichts heißen.«

      Panik stieg in ihr auf. Der Schwindel wurde wieder stärker. Eva spürte, wie sie die Schultern anspannte. Sie schaute zu Ruben, der sich mit beiden Händen durch die dunklen Locken fuhr. Er sah sie nicht an.

      »Von mir?«

      »Ich habe doch noch gar keinen Test gemacht!«

      Die Vehemenz war aus ihrer Stimme gewichen. Sie war auf einmal unsäglich müde. Ihre Schultern schmerzten.

      »Ja.«

      Sie sagte es leise, fast flüsterte sie. Ruben saß einen Moment lang einfach nur da. Dann drehte er sich zu ihr, löste vorsichtig eine Hand aus ihrer Umklammerung und nahm sie in seine.

      »Bist du sicher? Ich meine – was ist denn mit deinem Freund?«

      Eva starrte auf die Tischkante. Langsam verschwamm die Kontur vor ihren Augen. Tränen liefen ihr die Wange hinunter. Sie biss sich auf die Lippen. Wäre sie nur nicht gekommen! Verzweifelt versuchte sie, die Tischkante wieder zu fixieren. Sie konnte Ruben nicht anschauen. Schließlich schüttelte sie den Kopf.

      »Er war nicht da. Immer, wenn wir uns treffen wollten, war er nicht da. Ich hatte so gehofft. Und dann …«

      Ruben ließ ihre Hand los. Er saß neben ihr, reglos. Eva sah, dass er die Augen geschlossen hatte. Schließlich drehte er sich wieder zu ihr.

      »Bueno, nos espera un reto. Wir haben eine Aufgabe. Die müssen wir jetzt gemeinsam meistern.«

      Seine Stimme klang entschlossen. Eva fühlte die Panik wieder aufwallen wie eine Flutwelle, die sie mit sich fortriss, in der sie zu ertrinken drohte. Sie sprang auf, schnappte nach Luft. Dann rannte sie los.

      »Gegrüßet seist Du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit Dir …«

      Auf dem kalten Boden im Seitenraum der Sankt-Josefs-Kirche kniend, betete Eva das Ave-Maria. Wieder und wieder sprach sie die Worte. Ihre Hände umklammerten die kleinen Perlmutt-Perlen des Rosenkranzes. Zu Füßen der Mutter Gottes hatte sie weiße Christrosen in einer schlichten Glasvase drapiert. Es war dunkel. Vorn im Altarraum waren zwei der Deckenstrahler ausgefallen. Nur die Altarkerzen, die der Messner schon für die Abendandacht angezündet hatte, gaben flackernd ein wenig Licht. Das Päckchen mit dem Pfeifentabak für ihren Vater hatte sie auf den Boden gestellt, ihre Handtasche lag auf einem Stuhl. Eva hatte sie bei ihrem überstürzten Aufbruch am Mittag im Café vergessen. Kurz nachdem sie wieder im Laden war, war Ruben hereingekommen. Wortlos stellte er die kleine grüne Tasche auf den Tisch neben der Kasse, drehte sich um und ging. Herr Brückner, ihr Kollege, zog die Brauen hoch und schaute Ruben fragend hinterher. Eva kam sich klein und dumm vor. Wie ein Kind war sie davongelaufen. Was mochte Ruben von ihr denken? Gut, dass er so schnell wieder weg gewesen war. Sie hätte ohnehin nicht gewusst, was sie sagen sollte.

      Auch jetzt fehlten ihr die Worte. Sie kniete vor der Mutter Gottes, suchte Halt in der immer gleichen Formel des Gebets. Eva kam oft abends nach der Arbeit hierher. Auf dem Weg besorgte sie frische Blumen. Dann fuhr sie im Feierabendverkehr die Karl-Kloß-Straße hinauf, bis sie nach rechts ins Wohngebiet abbog. Sie mochte die Josefskirche eigentlich nicht. Ein Betonklotz in typischer Siebziger-Jahre-Manier, der ihr massiv und abweisend vorkam, mit schweren kalt-blauen Stahltüren. Aus Beton war auch der Fußboden, drinnen wie draußen. Das sollte ein Symbol für die Verbindung von Kirche und Welt sein, hatte der Pfarrer ihr einmal erklärt. Eva hatte bei sich gedacht, dass hässliche Dinge nicht schöner wurden, nur weil eine Idee dahinter steckte. Nein, einladend wirkte die Kirche nicht auf sie. Dennoch war gerade hier ihre Nische, ihr Zufluchtsort, gewachsen in den vielen Jahren, die sie nun schon kam.

      Sie dachte zurück an den Tag von Tanja Schmückles Kommunion. Eva war damals acht Jahre alt. Obwohl ihr Vater zunächst strikt dagegen gewesen war, begleitete sie ihre Nachbarin und Freundin an deren großem Tag zur Kirche. Es war ein strahlender Aprilsonntag. Die Mädchen duftig weiß wie Schmetterlinge, goldverzierte Kerzen, Fahnen, dann die Klänge der Orgel, ein mächtiges Brausen, das die Luft erfüllte. Neben ihr die Großmutter, Pia Schmückle, aufrecht, streng, im hochgeschlossenen Kostüm. Das Kind ahmte die Bewegungen der Alten nach, achtete ängstlich darauf, wann sie saß, stand oder kniete, blieb auf ihr Geheiß sitzen, als die Erwachsenen zur Kommunion gingen. Schließlich beugte Eva ebenso wie die Nachbarin das Knie vor dem Tabernakel, bevor sie die Kirche verließen. Trotz ihrer leisen Furcht vor der alten Dame hatte Eva sich ihr danach immer wieder angeschlossen. Es war seither kaum ein Sonntag vergangen, an dem sie nicht die Messe besucht hatte. Auch den Rosenkranz, den sie nun Perle für Perle durch ihre Hand schob, hatte sie von Frau Schmückle bekommen.

      »Du bist gebenedeit unter den Frauen und gebenedeit ist die Frucht Deines Leibes, Jesus …«

      Eva spürte einen leichten Schwindel. Ihr war kalt. Sie fasste den Rosenkranz noch fester. Die Frucht deines Leibes. Wieder fühlte Eva den Schwindel, die Übelkeit. Der Schein der Kerzen begann, vor ihren Augen zu verschwimmen. Schwerfällig zog sie sich am Sockel der Marienstatue nach oben und setzte sich auf einen Stuhl. Die Übelkeit wurde stärker. Seit dem Mittag hatte Eva nichts gegessen. Sie faltete die Hände vor dem Bauch, versuchte noch einmal, Maria zu fixieren.

      »Heilige Mutter Gottes, bitte für uns Sünder. Jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.«

      Eine Kniebeuge vor dem Tabernakel riskierte sie vorsichtshalber nicht mehr. Langsam, eine Hand an der Wand, ging sie zum Ausgang, öffnete die schwere Tür der Kirche. Die frische Luft tat ihr gut. Zwar fror sie immer noch, aber der Schwindel ließ nach. Im Schein einer Straßenlaterne sah Eva auf ihre Armbanduhr. Zwanzig nach sechs. Um halb sieben wollte Bernd zu Abend essen. Hoffentlich war auf der Karl-Kloß-Straße nicht zu viel Verkehr. Wenn sie dort einigermaßen schnell über die Ampeln kam, war es vielleicht noch rechtzeitig zu schaffen. Ihr Vater mochte es nicht, wenn sie zu spät kam. Erst als Eva schon jenseits der Böblinger Straße bergauf fuhr, fiel ihr das Päckchen Tabak wieder ein. Sie hatte es in der Kirche stehen lassen. Gleich halb sieben. Sollte sie noch einmal zurückfahren? Dann würde sie auf jeden Fall zu spät nach Hause kommen. Außerdem wollte sie die Andacht nicht stören. Hoffentlich hatte Bernd noch genug Tabak übrig, um heute Abend und morgen früh eine Pfeife damit zu füllen.

      »Ich bin da.«

      Sie

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