Faszination und Wunder der Technik. Werner Dupont
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Das Gebiet der Materialbionik geriet aufgrund von spektakulären technischen Lösungen der Nanotechnologie, also von der Größe eines millionstel Millimeter und kleiner, in den Fokus des Interesses. Dazu gehört die Klebetechnik, die normalerweise auf die Festigkeit der Klebverbindungen ausgerichtet ist, was auch in der Regel die Rückgängigmachung der Verbindung verhindert. Die Natur lehrt uns aber, dass es sehr wohl stark haftende Verbindungen gibt, die auch reversibel sind. Natürliche Vorbilder sind zum Beispiel Käfer- und Spinnenbeine sowie die Zehen des Geckos. Bei ihnen erzeugen Lamellen im Nanometerbereich eine starke Haftwirkung durch die sogenannten Van-der-Waals-Kräfte, schwache Wechselwirkungen zwischen Atomen und Molekülen. Zur technischen Umsetzung wurde am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz ein Weg zur Herstellung von Nahtmaterial mit nanoskopischen Fibrillen herzustellen, die ein schnelles Haften und Lösen ermöglichen. Über Prototypen wurde die Funktionsfähigkeit des Prinzips nachgewiesen. Erste kommerziell ausgerichtete Resultate sind Haftfolien für Kletterroboter. Inspiriert durch das Gecko-Prinzip reicht das Einsatzpotenzial vom Automobilbau bis zur Medizintechnik. Grundsätzlich erlauben Haftroboter nach entsprechender Adaption und größenbezogener Hochskalierung auch die Inspektion von Aufzugschächten in Hochhäusern und Versorgungsleitungen großer Bauwerke.
Das, was Muscheln ihre große Stärke aufgrund kristalliner Calciumcarbonate hoher Festigkeit und Dichte verleiht, ist ebenfalls dem Erfindungsreichtum der Natur durch ihren intelligenten Einsatz der Nanotechnik geschuldet. Es werden nämlich in diesem Fall bei der Bionanotechnik organische Vorverbindungen eingesetzt. Wie am Weizmann-Institut in der Stadt Rehovot in Israel von Strukturbiologen entschlüsselt wurde, stülpen sich in die Zellmembran kleine Bläschen, sogenannte Vesikel, ein. In diese werden die carbonathaltigen und von Eiweißmolekülen umhüllten Vorverbindungen eingeschleust. Das Auskristallisieren der Nanopartikel erfolgt wie in der Chemietechnik durch Impfen mit nanokleinen Kristallkeimen. Nach diesem Prinzip entstehen Kalkstrukturen aus verschiedenen carbonathaltigen Materialien wie z. B. Calcit oder dem Calciumcarbonat Aragonit. Eine weitere Finesse der Organismen besteht in der Herstellung von unstrukturierten calciumhaltigen Verbindungen als Vorläuferverbindungen. Die Natur entwickelte zudem einen Mechanismus zur Umhüllung der Nanopartikel mit wasserabweisenden Proteinen und Zusätzen von Magnesium- und Phosphat-Ionen. Amorphe Phasen müssen außerdem vor Wasser geschützt bleiben. Das Kristallisieren in einkristalline Kalkstrukturen beginnt in den Vesikeln, wozu die Impfkeime der späteren Struktur entsprechend angeordnet werden. Der am Beispiel der Muschelschalen offenbarte Erfindungsreichtum der Natur lässt sich auch im Falle von Seeigeln beobachten. Sie stellt also sozusagen insgesamt eine Bauanleitung für nanotechnischen Erfindergeist dar.
Nano- und Mikrostrukturen ermöglichen auch eine außerordentliche Farbenpracht für industrielle Produkte nach dem Vorbild von Schmetterlingen. Die Ursachen liegen in Interferenzeffekten der strukturierten Oberflächen und Materialien. Bei den Oberflächen, die die schillernden Farben oder changierenden Farbspiele auslösen, handelt es sich um zweidimensionale kristalline Strukturen, die eine regelmäßige Gitterstruktur bilden. Abhängig vom Betrachtungswinkel entsteht dabei ein unterschiedlicher Farbeindruck. Anteile des auftreffenden Lichts werden von unterschiedlichen Strukturen der Oberfläche reflektiert. Der geringe Unterschied in der zurückgelegten Wegstrecke der reflektierten Strahlen verursacht eine Überlagerung der elektromagnetischen Wellen, die sich je nach Wegunterschied auslöschen oder verstärken können. Da das Licht aus Wellen verschiedener Frequenzen besteht, werden verschiedene Wellenlängen unterschiedlich verschoben. So kann beispielsweise das blaue Licht verstärkt werden, wohingegen das rote Licht verschluckt wird. Technisch werden derartige Strukturen unter anderem für Effektpigmente in der Kosmetik oder bei Autolacken genutzt. Je nach Betrachtungswinkel und Dicke der Pigmentschichten entstehen wechselnde Farbeffekte beim Betrachter. Der Effekt der Lichtinterferenz an strukturierten Oberflächen kann technisch nachempfunden werden durch dünne Metalloxidschichten auf Trägerpartikeln aus Siliziumdioxid, die ebenfalls zu Lichtinterferenzen führen und einen richtungsabhängigen irisierenden Farbeindruck entstehen lassen.
Der Lichtsammeleffekt bei den Augen nachtaktiver Motten ist das biologische Vorbild für die Antireflexionseigenschaften transparenter Oberflächen. Auch hier spielt die Nano- und Mikrostrukturtechnik die entscheidende Rolle. Durch die facettenartige Miko- beziehungsweise Nano-struktur des Mottenauges wird der Brechungsindex zwischen umgebender Luft und der Linsenoberfläche fließend angepasst, sodass Lichtbrechung und Lichtreflektion vermieden werden. Das einfallende Licht gelangt weitgehend vollständig in das Mottenauge und wird somit möglichst effizient genutzt. Technisch wird der Mottenaugeneffekt zum Beispiel zur Entspiegelung von Displays oder Solarzellen eingesetzt. Dabei wird das Ziel verfolgt, die entspiegelten Strukturen möglichst kostengünstig und mit hoher mechanischer Stabilität herzustellen. Entspiegelte Gläser lassen sich beispielsweise durch Sol-Gel-Beschichtungsverfahren erzeugen, bei denen sich durch ein Tauchverfahren auf dem Glassubstrat eine nanoporöse Antireflexschicht aufbringen lässt, die die Lichtreflexion auf ca. zwei Prozent reduziert. Mittlerweile sind auch Verfahren entwickelt worden, mit denen sich Antireflexstrukturen auf Kunststoffsubtraten kostengünstig herstellen lassen. Dabei werden die gewünschten Strukturen durch ein Beschichtungsverfahren in einer Gussform erzeugt und mit einer speziellen Spritzgusstechnik in einem einzigen Prozessschritt auf entspiegelte Kunststoffscheiben übertragen.
Bionische Faserverbundwerkstoffe entfalten ihre Eigenschaften aus dem Nachempfinden von Schachtelhamen und Pfahlrohren, wie man sie in botanischen Gärten findet. Deren Erforschung führte zum technischen Pflanzenhalm, einem strukturoptimierten bionischen Faserverbundmaterial mit Gradientenaufbau. Es zeichnet sich durch hohe Steifigkeit mit sehr guter Schwingungsdämpfung und einem gutmütigen Bruchverhalten aus. Diese pflanzlichen Faserverbundgewebe sind mit geringstem Material- und Energieaufwand aufgebaut, erzielen aber erstaunliche mechanische Leistungen. So ist zum Beispiel der Winterschachtelhalm aus äußerem und innerem Druckzylinder und verbindenden, abstandshaltenden Stegen aufgebaut. Dieser Sandwichaufbau mit hoher spezifischer Biegesteifigkeit und Knickstabilität verhindert Verbeulen und Knicken der dünnen Halmstruktur.
Ein weiteres interessantes Vorbild ist das Pfahlrohr, das durch den Wind angeregte Schwingungen über einen graduellen Steifigkeitsübergang zwischen Fasern und Grundgewebematrix hervorragend dämpft. Außerdem weist das Pfahlrohr ein gutmütiges, zähes Bruchverhalten auf, das im starken Gegensatz zum spröden Bruchverhalten technischer Faserverbundwerkstoffe steht. Biologen und Ingenieure kombinierten die pflanzlichen Vorbilder des ultraleichten Sandwichaufbaus des Winterschachtelhalms und der Schwingungsdämpfung des Pfahlrohrs und entwickelten daraus den technischen Pflanzenhalm. Dieser kann mittels einer speziellen Technik, der sogenannten Pultrusionstechnik hergestellt werden, wobei der Steifigkeitsgradient zwischen