Faszination und Wunder der Technik. Werner Dupont
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Zukünftige Faserverbundtechnik könnte zudem auf der künstlichen Herstellung von Spinnenseide aus Seidenproteinen beruhen, deren Erzeugung bereits gelang. Spinnenseide ist hochfest, dehnfähig, leicht und wasserfest. Ein Faserverbundwerkstoff aus Spinnenseidenfaserbündeln oder aus natürlichen, besonders leichten Glasfasern nach dem Vorbild des Glasschwamms könnten eine Applikation sein. Dabei sind die Fasern beschichtet mit einem festen, zähen, wasserabweisenden Haftvermittler nach dem Vorbild des Klebstoffs der Seepocken, kombiniert mit einer Matrix aus Biopolymeren. Die einzelnen Bauteile sind fest und doch leicht austauschbar, zusammengefügt mit Haftstrukturen ähnlich denen der Füße von Geckos.
Erfolgsgeschichten entstehen oftmals zufällig, wie das folgende Beispiel im Zusammenwirken von Leichtbauwerkstoffen, Prothetik und Leistungssport eindrucksvoll unterstreicht. Hauptakteur ist dabei ein oberschenkelamputierter Behindertensportler. Der junge Mann spielte sehr erfolgreich Fußball und befand sich seinerzeit in Verhandlungen mit einem Profiverein. Wenige Tage nach Beginn der Vertragsverhandlungen erlitt er einen schweren Sportunfall, infolgedessen ihm das linke Bein oberhalb des Knies amputiert werden musste. Das bedeutete, dass er, um seiner Leidenschaft für „alles, was mit Sport zu tun hat“ weiterhin nachgehen zu können, eine Prothese benutzen musste. Der Behindertensportler hat sich im Behindertensport zunächst auf die Weitsprungdisziplin festgelegt und später noch die Disziplin Sprint hinzugenommen.
Während die meisten Menschen mit körperlichen Behinderungen Standardprothesen für den alltäglichen Gebrauch verwenden können, ist der Markt für Spezialanfertigungen im sportlichen Bereich sehr eingeschränkt. Dabei erscheinen für die von Athleten verwendeten Standardprothesen die möglichen Optimierungspotenziale bei Weitem nicht ausgeschöpft. So könnten für den Bereich des Leistungssports die Standardprothesen insbesondere unter dem Aspekt der Gewichtsreduzierung optimiert werden und angemessener an die in sportlichen Wettkämpfen auftretenden Belastungen ausgelegt werden. Bei der Verwendung der Standardprothesen hatte der Behindertensportler mehre Probleme mit der Standfestigkeit der gesamten Prothese. So ist vor allem der Verbindungswinkel zwischen dem künstlichen Kniegelenk und dem Fußmodul beim Weitsprung oft kaputtgegangen. Dies war zwar ein technisches Problem, doch, was noch wichtiger ist, darüber hinaus wurde eine psychologische Barriere ausgelöst. Wenn er trainierte, machte er sich stets Sorgen, dass sein künstliches Bein nicht halten könnte, und er wusste nie, wie weit er sich und die Prothese beim Sprung belasten konnte.
Beiträge im deutschen Fernsehen, speziell die Sendung Aktion Mensch lenkten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Situation von behinderten Athleten. Im Vordergrund dieser Berichte stand der erwähnte oberschenkelamputierte Athlet, der für die Paralympics 2004 in Athen trainierte. Die Berichte veranlassten die Europäische Weltraumorganisation ESA und mich mit meinem Team als der von der ESA beauftragte Technologievermittler zu Überlegungen, ob die Anwendung von Raumfahrttechnologien Fortschritte für behinderte Athleten und grundsätzlich für den Bereich der Prothetik ermöglichen könnten. Meine Firma, die in ihrem Kernbereich Technologietransfer langjährige Beziehungen zur Deutschen Spothochschule (DSHS) Köln pflegte, initiierte ein Projekt für und mit dem Sportler, der an der DSHS trainierte. In einem ersten Screening mit ihm und seinem Trainer kristallisierte sich heraus, dass offenbar tatsächlich das Prothesenproblem in der Standfestigkeit des besagten Winkels lag. Zur Untersuchung der vermuteten Ursachen etablierte mein Beraterteam eine Zusammenarbeit mit dem Institut für Biomechanik und Orthopädie der DSHS, an der der Sportler trainierte, und einem potenziellen Technologiegeber aus dem Raumfahrtbereich, der über umfangreiches Know-how in der Entwicklung, Konstruktion und Simulation von CFK-Bauteilen verfügte.
Der Raumfahrtursprung betraf die Entwicklung und Analyse von CFK-Strukturen, die unter anderem für das sogenannte Alpha-Magnet-Spektrometer-Experiment (AMS) auf der Internationalen Raumstation ISS verwendet wird. AMS ist ein Detektor, mit dem extraterrestrische Untersuchungen von Antimaterie, Materie und fehlender Materie durchgeführt werden. In der terrestrischen Anwendung im Sinne eines Spinoffs der Raumfahrt wurde der Verbindungswinkel zwischen dem künstlichen Knie und der Carbonfeder, die den Unterschenkel ersetzt, verbessert. Für den Weitsprung wurde hierzu ein CFK-Winkel entwickelt, der aus den für die Raumfahrt hergestellten Hochleistungsfasern bestand, mit denen die AMS-Tragestruktur gebaut wurde. Für den Sprint wurde ein Winkel entwickelt, der aus einer hochfesten Aluminiumlegierung gefertigt wurde, dem Material, das im AMS-Experiment für die Knotenelemente verwendet wurde.
Bei den verwendeten Werkstoffen nutzte man den Umstand, dass Materialien aus der Raumfahrt den besonderen Anforderungen entsprechend den immensen Vorteil aufweisen, dass sie äußerst stabil und gleichzeitig leichter sind als herkömmliche Produkte. So gelang es, das Problem mit der vorherigen Prothese, das darin bestand, dass sie oft brach, wenn sie bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit belastet wurde, zu meistern. Für die Disziplin Weitsprung wurde eine Schichtkörperklammer (Winkel) aus Kohlenstofffaser- und Stoffschichten hergestellt. Nach dem Feedback des Athleten wurde die erste Ausführung abgewandelt und eine weichere zweite Ausführung angefertigt. Die schichtweise Kräfteermittlung, die an mehr als 40 unidirektionalen Schichten und Stoffschichten durchgeführt wurde, war besonders wichtig, da sie gewährleistete, dass das für die Klammer ausgewählte Material stabil genug war, um der zusätzlichen Belastung beim Weitsprung standzuhalten. Die neue, steifere und widerstandsfähigere L-förmige Klammer ist sowohl leichter als auch stabiler und gibt Athleten beim Trainieren größere Sicherheit.
Detaillierte Analysen legten verschiedene Realisierungsmöglichkeiten der biomechanischen Anforderungen für verschiedene Sportarten, hier speziell Sprint und Weitsprung, für die jeweilige Anwendung optimiert, nahe. Nachdem der Behindertensportler der MST Aerospace mitteilte, dass er immer Probleme bei der Anpassung der Prothese an sein Bein hatte, wurden hierzu ebenfalls Aktivitäten entfaltet. Je nach seinem allgemeinen Gesundheitszustand konnte sich nämlich sein Stumpf ausdehnen oder verengen. Dadurch wurde die Befestigung der Prothese erschwert. Manchmal fiel sie beim Training sogar ab. Nach Gesprächen mit dem Europäischen Astronautenzentrum (EAC) in Köln-Porz wurde angeraten, den dort für das Astronautentraining vorhandenen perkutanen elektrischen Muskelstimulator (PEMS) einzusetzen, um weitere Muskelatrophie zu verhindern und die Muskelmasse aufzubauen.
Mit der Unterstützung der ESA und durch uns konnten also sowohl ein Winkel aus CFK für den Weitsprung als auch ein Aluminiumwinkel für den Sprint optimiert werden. Der Behindertensportler erreichte damit drei Goldmedaillen und zwei Weltrekorde. Bei den Paralympics 2008 bestätigte er seine Leistungen mit einer Goldmedaille im Weitsprung mit einer Weite von 6,50 Metern, die er im Jahr 2009 bei der Behindertenweltmeisterschaft im indischen Bangalore auf die Weltrekordweite von 6,72 Meter schraubte.
Verharren wir noch einen Moment bei Hochleistungsmaterialien, und zwar solchen, bei denen man sich von der Natur hat inspirieren lassen. Aus Werkstoffen werden Konstruktionen hergestellt, die Gegenstand der Betrachtungen der Konstruktionsbionik beziehungsweise der Strukturbionik sind. Diese Teilgebiete der Bionik beschreiben und vergleichen biologische Strukturelemente und bewerten die Eignung vorgegebener Materialien für spezielle Zwecke. Formbildungsprozesse im biologischen Bereich bieten weitere unkonventionelle technische Vorbilder.
Die Evolution entwickelte aus den Kleinstrukturen der Einzeller Großstrukturen vielzelliger Organismen in Tier- und Pflanzenreich. Die „arbeitsteilige“ Funktion der Organe bestimmt dabei auch die zweckmäßigen, strukturellen und räumlichen Verbundkopplungen. Es wurden etwa folgende Prinzipien angewendet: kürzestmögliche Wegstrecken für Transport und Recycling der Stoffwechselsubstrate, optimaler Ursprung und Ansatz für Longitudinalmotoren (Muskelfasern) die Bewegungsfunktion im Stützskelett, hohe Festigkeit der Stütz- und Schutzeinrichtungen (Exo- und Endoskelette) bei minimalem Materialaufwand und optimaler Strukturkopplung verschiedener Stoffe und gleichzeitiger Berücksichtigung