Arkadien und Cornetti. Barbara Horvatits-Ebner
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Arkadien und Cornetti - Barbara Horvatits-Ebner страница 5
Zufrieden schlendere ich zurück in Richtung Bahnhof, mache dann aber noch einen kleinen Umweg über mir bis dato unbekannte Ecken und habe beim Zurückspazieren die Nordkette voll im Blickfeld. „Von Innsbruck herauf wird es immer schöner, da hilft kein Beschreiben“, schrieb Goethe. Ich kenne und mag die Nordkette und stimme ihm ungebrochen zu. Sie steht dort, majestätisch und schroff, und es scheint, als ob sie stets ein wachsames Auge auf die schöne Stadt am Inn hätte. Über die Schönheit der Berge mit mir selbst philosophierend, rollt mein Zug gegen neun Uhr langsam Richtung Südtirol los. Leider starte ich nicht im September wie Goethe und so sehe ich den Brenner nicht in der Art, wie er ihn im Buch beschrieb. Keine Spur von grünen Feldern oder Pflanzenvielfalt, sondern weit und breit nur Schnee. Ich finde die Landschaft, die da an mir vorbeizieht, ziemlich unspektakulär, vielleicht holt mich aber auch einfach nur die Müdigkeit ein.
Der Moment aber, als der Zug die Grenze zu Italien überquert, die Schilder nun zweisprachig werden und ich vom ÖBB-Zug in einen Südtiroler Wagen umsteige, ist besonders. Ich spüre, wie mein Herz einen kleinen Freudensprung macht, denn nun bin ich da: in meinem geliebten Italien.
Etappe 1 – Von Sterzing nach Verona
Sterzing
„Was ein wunderliches Wesen der Mensch ist, daß er dasjenige, was er mit Sicherheit und Bequemlichkeit in guter Gesellschaft genießen könnte, sich oft unbequem und gefährlich macht, bloß aus der Grille, die Welt und ihren Inhalt sich auf seine besondere Weise zuzueignen.“
„Sterzing – Vipiteno“ erklingt es aus dem Lautsprecher des Zuges. Meine erste Station ist dieses nette kleine Städtchen, das bekanntermaßen das nördlichste Italiens ist. Gespannt spaziere ich erst mal in die Altstadt und finde mich in der Neustadt, der Città Nuova wieder. Ein schönes Häuschen mit prächtig verziertem Erker folgt dem anderen. Am Ende der Straße wartet der Zwölferturm, das Wahrzeichen Sterzings. Ich passiere das Rathaus, in das ich einen kurzen Blick werfe. Hier befinden sich im Hof zwei interessante Steine, nämlich eine Kopie des Mithrassteins, der dem gleichnamigen persischen Sonnengott gewidmet ist, wie auch ein römischer Meilenstein aus dem Jahre 200 n. Chr.
Da ich bereits sehr erschöpft bin und keine Lust mehr habe, auf den Beinen zu bleiben, nehme ich auf einer Bank in der Heiligen-Geist-Kirche Platz. Dort bewundere ich die alten Fresken, die sich an Wand und Decke befinden. Ich sitze lange in der Kirche, bin aber bis auf eine kurze Unterbrechung stets allein. Obwohl mir die Ruhe gut tut und ich das Sitzen wirklich nötig habe, komme ich mir etwas schäbig vor. Schließlich bin ich überzeugte Atheistin, respektiere zwar den Glauben anderer Menschen, kann aber selbst so gar nichts damit anfangen. Ich sehe mir gerne Kirchen an, weil mich die Architektur und die Kunst dieser sehr interessiert, bete jedoch niemals, weil es für mich „da oben“ einfach nichts gibt. Nun benutze ich aber das Gotteshaus der Katholiken in Sterzing als Raststätte und obwohl ich den Gedanken verwerfe, mich in irgendeiner Weise schlecht fühlen zu müssen, mache ich mich bald wieder auf den Weg. Ich erhalte von meinem Vermieter nämlich die Nachricht, dass ich mein Zimmer schon früher beziehen kann. Was für ein Glück!
Ich setze also meinen Spaziergang durch die Altstadt fort, mit dem Wissen, dass ich meine Füße bald hochlagern werde können. Da Goethe sich nur etwa zwei Stunden in Sterzing aufhielt und der Stadt im Buch nur einen einzigen Satz gewidmet hat, der außerdem nicht äußerst erfreulich war, nämlich: „Als ich um neun Uhr nach Sterzing gelangte, gab man mir zu verstehen, daß man mich gleich wieder wegwünsche“, gehe ich davon aus, dass hier niemand etwas auf seinen Besuch gibt. Da habe ich mich aber getäuscht. An der in grellem gelb bemalten Mauer eines Gasthofs angebracht finde ich eine Tafel, die von seinem kurzen Aufenthalt berichtet. Wieder muss ich schmunzeln und blicke zuversichtlich auf die kommenden acht Wochen – Goethe scheint omnipräsent zu sein.
Gerade als ich dabei bin, den schnellsten Weg zur Pension zu googlen, spricht mich ein alter Herr an. Er geht mit Stock, hat ein zerfurchtes Gesicht und einen Hut auf. Damit sieht er aus wie ein Senner frisch von der Alm. Ich wäre ihm aufgrund meines großen lila Rucksacks aufgefallen, meint er, und fragt mich in schwer verständlichem Südtiroler Dialekt, ob ich auf der Durchreise wäre. Seine Einladung zum Kaffee will ich nicht ausschlagen. Wenn alte Leute so offen nach Gesellschaft fragen, hat das meist einen Grund. Als er mir erzählt, dass seine Frau pflegebedürftig im Bett liegt und die Kinder weit weg wohnen, bestätigt sich meine Vermutung. Er sucht ein wenig Ansprache. Wenngleich er etwas verwirrt wirkt und ich ihn trotz ausgeprägter Dialektkenntnisse nur schwer verstehe, so ist es doch eine herzliche Begegnung gleich zu Beginn meiner Reise.
Danach begebe ich mich dann aber wirklich zu meinen Gastgebern und beziehe mein Zimmer, das noch original aus den Sechzigerjahren stammt. Es ist jedoch sauber, somit ist mir der wenig reizvolle Retrolook, wie ich ihn aus Urgroßmutters Schlafzimmer kenne, egal. Ich falle todmüde ins Bett und schlafe traumlos etwa zwei Stunden.
Als ich wieder erwache, treibt es mich aber schon wieder hinaus. Die Burg, die ich von meinem Fenster aus erblicke, sieht, wie ich finde, recht spannend aus. Also marschiere ich los, komme an der Kirche Unsere liebe Frau im Moos vorbei, werfe einen Blick in dieses seltsam klingende Gotteshaus und spaziere weiter. Bald schon bemerke ich, dass die Burg Reifenstein, auf die mein Weg mich führen soll, doch weiter entfernt liegt, als es zunächst erschien. Entfernungen abzuschätzen war noch nie meine Stärke, doch ich lasse mich von meinem Vorhaben nicht abbringen. Ich setze einen Fuß vor den anderen und erreiche schließlich nach etwa einer Stunde die Burg. Leider ist sie versperrt und um diese Jahreszeit für Besucher noch nicht zugänglich, was nun doch ein wenig frustriert.
Die Holzbank neben dem Eingang kommt für meine müden Beine aber wie gerufen, also nehme ich Platz und lasse meinen Blick schweifen. Die Aussicht von dort auf Sterzing und das Eisacktal ist fantastisch. Meine Gedanken fokussieren sich gänzlich auf die Natur und das Wetter. Man merkt, dass es bald Frühling wird. Die Krokusse, die auf der Wiese blühen, sind ein untrügliches Zeichen für den Jahreszeitenwechsel. Obwohl auf den Bergspitzen rundherum noch Schnee liegt, regnet es in Sterzing bloß. Die Sonne versucht sich durch die dunkle Decke zu kämpfen, aber die Wolken treiben ein perfides Spiel mit ihr. Gerade die dickste und schwärzeste schiebt sich vor sie und plötzlich tut mir die Sonne, die sich ja nicht bewegen kann, leid. Ich horche noch ein wenig den zwitschernden Vögeln zu, schicke eine „Es geht mir gut, bin gut angekommen“-Nachricht an meine Familie und starte den langen Weg zurück.
Bereits sehr erschöpft und unter großen Hüftschmerzen erreiche ich den Supermarkt. Weil mir klar ist, dass ich heute keinen Schritt zusätzlich mehr gehen möchte, kaufe ich mir eine Jause zum Selbermachen fürs Zimmer, anstatt mich in einem Gasthaus verköstigen zu lassen. Dort wartet dann nur mehr die Dusche auf mich. Ich setze mich noch ein wenig an das alte Tischchen, übertrage die Fotos von der Kamera auf den Laptop, verschlinge mein Weckerl mit Käse und frage mich, ob Goethe wohl jemals so müde war wie ich in diesem Moment. Die fast dreißigtausend gemachten Schritte, die mein Handy anzeigt – also etwa achtzehn Kilometer – zwingen mich bereits um halb zehn Uhr ins Bett. So früh gehe ich sonst nur schlafen, wenn ich krank bin. Einer meiner letzten Gedanken vor dem Einschlafen ist, dass ich mir meine Kräfte besser einteilen sollte, wenn ich die Reise nicht schon nach einer Woche wegen eines akuten Erschöpfungssyndroms abbrechen will.
Brixen
Wieder in vollem Besitz meiner Kräfte