Arkadien und Cornetti. Barbara Horvatits-Ebner
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In Brixen hole ich mir gleich mal ein Frühstück am Domplatz. Auf die Cornetti – mit Vanillecreme gefüllte Blätterteighörnchen – habe ich mich schon so sehr gefreut. Ganz egal, was da sonst noch liegt in den Vitrinen der Cafés: Ein Cornetto ist und bleibt mein Lieblingsfrühstück. So sitze ich also mit meinem süßen Ding am Fenster des Cafés, blicke auf den Domplatz und erfreue mich am Anblick dieser hübsch herausgeputzten Stadt, ehe ich vollgetankt mit Energie hinauschlendere. Im Dom selbst ist gerade noch eine Messe zugange, da will ich gottlose Atheistin nicht stören, sondern sehe mir zuerst die Kirche des heiligen Michaels an. Hier hängen noch die Nebelschwaden vom Weihrauch in der Luft, denn offenbar fand auch hier erst vor Kurzem eine Sonntagsmesse statt. Die Bischofsstadt ist augenscheinlich beliebt bei Kirchengehern. Ich verziehe mich bald in den angrenzenden Kirchenhof. Dort erfreuen sich die kleinen Sperlinge am einkehrenden Frühling und posieren ganz frech auf einem Kreuz sitzend für ein Foto.
Ich schlendere durch die Gassen, bewundere die Häuser mit ihren Erkern, Arkaden und Verzierungen und gehe auch ein wenig am Fluss entlang durch den Park. Nachdem mich schon wieder die Müdigkeit einholt und mein Rucksack nach gut zwei Stunden Stadtspaziergang doch schon recht schwer auf meinen Schultern hängt, nehme ich auf einer Bank Platz – mal wieder. Halb interessiert, halb erschöpft beobachte ich die vorbeigehenden Menschen und lese dann ein wenig in Goethes „Italienische Reise". Als ich so dabei bin, mir passende Zitate und wichtige Eckpunkte zu markieren, fallen mir wieder einige Gemeinsamkeiten zwischen dem Dichter und mir auf: die Liebe zur Natur zum Beispiel, das Interesse an der Kunst und auch die Angewohnheit, andere Menschen zu beobachten und zu versuchen, sie zu verstehen. Ich erlaube mir aber zu denken, dass ich sicher weniger urteilend bin als Goethe, der an manchen Stellen im Buch ganz schön kategorisierend, verallgemeinernd und auch abfällig über seine Mitmenschen schreibt. Es liegt mir selbst fern, Menschen in eine Schublade stecken zu wollen oder so zu tun, als wisse ich, wie mein Gegenüber gestrickt ist, nur weil ich wenige Sätze mit ihm wechsle. Zwar habe ich als Psychologin etwas Gespür dafür, hinter die Fassade und hinter die Worte von jemanden zu blicke, aber eine Glaskugel besitze ich nicht. Dass ich trotzdem nicht vor Vorurteilen und schnellen Urteilen gefeit bin, ist mir aber auch bewusst. Dennoch will ich versuchen, eher zu beobachten als zu werten.
Eine ganz interessante Beobachtung betrifft zum Beispiel die Sprache. Hier in Südtirol mischen sich das Deutsche und das Italienische, teilweise wird auch noch Ladinisch gesprochen, das vermag ich aber nicht auszumachen. So kommt es, dass man einmal den starken Südtiroler Dialekt hört, während die nächste Person in rasantem Italienisch redet. Was mich sehr amüsiert, ist, dass die deutschsprachigen Südtiroler zustimmende Wörter häufig zweimal hintereinander sagen, zum Beispiel ,jojo“, „wohlwohl“ oder „guatguat“ Doppelt hält hier wohl besser.
Schließlich stelle ich fest, dass ich die vorbeispazierenden Leute jetzt genug observiert habe und begebe mich schweren Schrittes zum Bahnhof. Diesmal finde ich den passenden kleinen, silbernen Automaten für das Zugticket und kaufe mir eines nach Bozen. Während der kurzen Zugfahrt ärgere ich mich wieder über mich selbst, denn ich habe bereits jetzt am frühen Nachmittag schon wieder über zehntausend Schritte gemacht und bin erschöpft. Das mit der Einteilung der Kräfte muss ich wirklich noch lernen.
Bozen
„Mir ist jetzt nur um die sinnlichen Eindrücke zu tun, die kein Buch, kein Bild gibt. Die Sache ist, daß ich wieder Interesse an der Welt nehme, meinen Beobachtungsgeist versuche und prüfe, wie weit es mit meinen Wissenschaften und Kenntnissen geht.“
Nachdem ich in Brixen großes Interesse an den Eigentümlichkeiten lebender Menschen hatte, überkommt mich jetzt in Bozen der Wunsch, mein geschichtliches Wissen aufzufrischen und mir den wohl berühmtesten toten Südtiroler anzusehen: den Ötzi.
Bevor ich mich aber in das Archäologiemuseum begebe, das eigentlich nur aufgrund des Gletschermanns existiert, werde ich von meinem Airbnb-Gastgeber Stefano sehr herzlich willkommen geheißen. Er ist ein unglaublich höflicher und gebildeter Mann, mit dem man sich gerne unterhält. Obwohl Stefano ursprünglich italienischsprachig ist, spricht er in perfektem Deutsch und gibt mir viele Tipps für meinen bevorstehenden Aufenthalt in Neapel, da er selbst erst kürzlich dort war. Dieser positive Eindruck ist für mich eine große Erleichterung, denn bis zu dieser Reise vertrat ich das Prinzip, als Frau sicher nicht alleine in der Wohnung eines Mannes zu übernachten. Schon die Vorstellung bereitete mir Unbehagen – ich hatte einfach zu viel Negatives gehört. Mir bleibt auf dieser Reise aber nichts anderes übrig, als dieses Prinzip über Bord zu werfen, denn nicht immer gibt es Unterkünfte bei Frauen. Und nur wegen meiner – vermutlich unbegründeten – Bedenken ein teures Hotelzimmer zu buchen, lässt mein Kampfgeist nicht zu und meine Geldbörse ebenso wenig. Zum Glück kann ich meine Ängste und Zweifel gleich zu Beginn der Reise durch Stefanos herzliche und respektvolle Gastfreundschaft beruhigen und vergessen.
Nach einem netten Plausch ziehe ich los, um mit dem „Mann aus dem Eis“ Bekanntschaft zu schließen. Ich bin wirklich überrascht, dass man einer einzigen Leiche ein ganzes Museum widmen und dabei so vielseitige Einblicke in das Leben dieses Menschen geben kann. Natürlich ist die Mumie selbst das absolute Highlight des Museums und ich bin ganz entzückt, den Ötzi jetzt einmal mit eigenen Augen sehen zu dürfen (ja, meine makabere Seite freut sich da tatsächlich). Auch die vielen Informationen und Erzählungen rund um Ötzi – seine Entdeckung, Lebensweise, Kleidung, Nahrung und auch die Gegebenheiten der Zeit, in der er lebte – finde ich sehr aufschlussreich. In der vergangenen Stunde hier im Museum habe ich mehr über die Steinzeitmenschen gelernt als in meiner ganzen Schulzeit.
Beflügelt durch so viele neue Eindrücke will ich trotz schwerer Beine noch nicht zurück in die Wohnung. Ich gehe im Nieselregen noch ein wenig kreuz und quer durch die Altstadtgassen von Bozen und kann meinen Blick nicht mehr von den Häusern abwenden. Nicht nur die berühmten Laubengänge faszinieren mich, sondern auch die bunten Fassaden, die verzierten Erker und die unterschiedlichen Dachabschlüsse. Ich frage mich, wann man eigentlich aufhörte, so schöne Häuser zu bauen. Verglichen mit diesen hier waren die meisten Bauten der letzten achtzig Jahre schmucklose Quader.
Weil mir das überschaubare Zentrum von Bozen so gut gefällt, drehe ich dort am nächsten Morgen nochmal eine große Runde. Ich komme am Markt vorbei, der sich so passend in die schönen Gassen einfügt und wo bunte Blumen, leckere Knabbereien und deftige Würste und Käse feilgeboten werden. Einem kleinen Säckchen Pistazien kann ich dabei einfach nicht widerstehen. Danach schlendere ich weiter, ohne jeglichen Plan, aber mit vielen Eindrücken – wie etwa von den Fischbänken, an denen bunte Tafeln angebracht sind, auf denen in Deutsch und Italienisch witzige Sprüche geschrieben stehen. Mein Favorit ist ganz klar der hier: „Siehst du die Welt in grauen Farben, dann verschiebe den Elefanten“.
Als ich so durch Bozen flaniere, ist es auf einmal da: dieses absolute Glücksgefühl, dieses Kribbeln, wenn der Moment gerade einfach nur perfekt ist. So sitze ich dann am zentral gelegenen Waltherplatz, sehe den Magnolien beim Blühen zu und erfreue mich des Umstands, dass ich so schöne Eindrücke aufnehmen darf. Doch schon kurz darauf holt mich ein Funken schlechtes Gewissen ein. Ist es denn in Ordnung, so glücklich zu sein, nachdem ich vor ein paar Tagen noch traurig und ängstlich an der Reise gezweifelt habe? Ich bin getrennt von meinen Lieben daheim, allen voran von meinem Mann, den ich natürlich sehr vermisse. Aber ist es wirklich normal, trotz dieses langen Abschieds so zufrieden zu sein? Ich denke daran, was ich jetzt wohl anderen Menschen mit auf den Weg geben würde: Ich muss offensichtlich noch daran arbeiten, mir selbst zu erlauben, glücklich zu sein.
Trient