Arkadien und Cornetti. Barbara Horvatits-Ebner
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Kurz nach Mittag sitze ich schon wieder im Zug und verlasse die wunderschöne Stadt Bozen. Ein schier endloses Feld voller Obstbäume zieht an mir vorüber und ich muss an Goethe denken, dem das fruchtbare Land zwischen Bozen und Trient ebenfalls auffiel. Leider hält das sonnige Wetter vom Vormittag nicht an und ich erreiche die Stadt bei Nieselregen.
Eile, schnell die Unterkunft zu erreichen, habe ich aber keine. Ich stülpe meinem Rucksack seinen Regenschutz über, setze mir die Kapuze der Jacke auf und bestaune die fantastischen Häuser auf dem Platz vor dem Dom. Eine Figur sticht mir dabei sofort ins Auge: Neptun. Seine Statue an der Spitze des Brunnens mitten am Platz fasziniert mich auf seltsame Weise. Nicht nur, dass der Gott des Meeres sehr schön geformt ist – hier spricht mehr die Frau als die Kunstkennerin aus mir – sondern die Situation ist auch so passend. Ich blicke die Statue lange an und vernehme bei Neptun einen leisen Anflug von Selbstgefälligkeit. Es wirkt beinahe so, als fühle er sich im Regen, den er vielleicht sogar selbst heraufbeschwor, viel wohler als in der mediterranen Hitze. Bei einem Cappuccino in einer kleinen Bar abseits des Platzes muss ich ein wenig über mich selbst schmunzeln. Offenbar entwickle ich, wenn ich alleine bin, die phantasievollsten Gedanken. Mir wird bewusst, dass die Konzentration auf die visuellen Eindrücke, die seit Tagen auf mich einwirken, ihre Spuren hinterlassen – und zwar in der Art, dass ich ihnen Worte geben muss und Geschichten dazu konstruiere. Meine Fähigkeit, Geschehnisse und Fakten in Metaphern zu packen, erlebt hier offenbar eine neue Dimension.
Die Neugier treibt mich, gleich nachdem ich meinen Rucksack in der Unterkunft abgestellt habe, sofort wieder hinaus. Ich will unbedingt das Teufelshaus, das Goethe in seinem Buch beschreibt, sehen. Dieser Palazzo war damals laut seinen Angaben das einzige Haus von gutem Geschmack. Nun, wenn ich mir die vielen wunderschön bemalten Häuser am Domplatz und in den Straßen ringsum anschaue, bin ich anderer Meinung. Die einzige Entschuldigung, die ich dem deutschen Dichter gelten lasse ist, dass diese Palazzi damals noch nicht gebaut oder noch unbemalt waren.
Die Suche nach dem Palazzo Galasso, wie das Teufelshaus richtigerweise heißt, gestaltet sich ein wenig verwirrend, denn Goolge Maps wähnt ihn in einer Straße, in der er nicht zu finden ist. Ich streune etwa eine halbe Stunde dort umher, schaue auch in die Seitengassen, doch nirgends ist er zu sehen. Es hilft nur mehr, Passanten zu fragen, in der Hoffnung, dass diese wissen, welches Gebäude ich meine. Auf den Moment, in italienischer Sprache nach dem Weg fragen zu müssen, habe ich schon gewartet. Offenbar meistere ich es erfolgreich: Ein älterer Herr zeigt mit dem Finger auf den Innenhof, vor dessen Tor wir stehen. Dies sei die Hinterseite des Palazzos, meint er, und ich bräuchte nur über den Schotterplatz dieses Innenhofs zu gehen, dann schon befände mich am großen Eingangstor. Ich bedanke mich und muss mich dazu zwingen, nicht laut über meine Stumpfsinnigkeit loszulachen – immerhin bin ich gefühlt fünfmal hier vorbeigelaufen, ohne auf die Idee zu kommen, dass ich mich an der Rückseite des Hauses befinden könnte. Tatsächlich stehe ich nach einer Minute am großen Torbogen, der auf eine Straße in die Fußgängerzone hinausführt. Hier kann ich das Teufelshaus von vorne betrachten. Es stellt sich das ein, was oftmals vorkommt, wenn man hohe Erwartungen hat: große Enttäuschung. Der Palazzo ist zwar nicht hässlich, aber schrecklich unspektakulär – ein großes Haus ohne viel Firlefanz. Einzig die geschnitzten Teufelsfratzen am großen Holztor des Portals sind faszinierend bedrohlich.
Desillusioniert und Goethe leise verfluchend setze ich meinen Regenspaziergang fort. Was ich in der nächsten Stunde an schönen Gebäuden zu sehen bekomme, entschädigt mich aber ordentlich für die Enttäuschung zuvor. Ich staune nicht schlecht, als ich das Castello sehe, und der Palazzo Thun duelliert sich mit dem gegenüberliegenden Palazzo Alberti Colico wohl um die schönste Fassade der Stadt. Ich entdecke Häuser, die an Verona erinnern, kleine Galerien, wie man sie aus Mailand kennt, und Eingangsportale, die sich mit jenen prachtvollen Exemplaren in Rom allemal messen können.
Dann wird mir der Regen doch zu viel, denn es nieselt nicht mehr, es schüttet. Da meine Unterkunft glücklicherweise über eine Küche verfügt, kaufe ich im Supermarkt ein paar Lebensmittel und beeile mich, schleunigst heimzukommen. Die Wohnung, in der ich untergebracht bin, besitzt neben der Küche, dem Bad und meinem Zimmer noch zwei weitere Räume. In einem davon schläft eine junge Frau, im anderen drei halberwachsene Burschen. Doch WGStimmung will nicht so recht aufkommen, denn bis auf „Buona sera“ werden keine Worte gewechselt. Also sitze ich alleine am Esstisch, verspeise meine Pasta mit Gemüse und bin insgeheim ein wenig enttäuscht darüber, dass sich keine Konversation ergeben hat – schließlich will ich ja endlich meine Italienischkenntnisse austesten. Aber gut, das muss offenbar noch etwas warten.
Rovereto
„Wenn mein Entzücken hierüber jemand vernähme, der im Süden wohnte, von Süden herkäme, er würde mich für sehr kindisch halten.“
Endlich kommt wieder die Sonne zum Vorschein und so spaziere ich bei für Ende März recht angenehmen Temperaturen zum Bahnhof. Ich löse ein Ticket nach Rovereto und fahre wieder ein Stückchen weiter in den Süden. Allein der Gedanke daran, dass es nun stetig wärmer wird – zum einen wegen des hereinbrechenden Frühlings, zum anderen wegen meiner Route südwärts – zaubert mir ein fettes Grinsen ins Gesicht. Ich kann dem Winter bei uns kaum etwas abgewinnen. Vielleicht liegt es daran, dass mein Melatoninspiegel sehr empfindlich auf Licht und Dunkelheit reagiert oder weil mir einfach sehr schnell kalt ist. Sobald die Temperaturen auf über fünfzehn Grad Celsius steigen und die Sonne vom Himmel lacht, ist mein Tag schon gerettet. Hier also kann ich mit Zuversicht nach vorne blicken.
Ich steige in Rovereto, dieser kleinen Stadt zwischen der Etsch und dem Flüsschen Torrente Leno, aus und mir sticht bald ein unglaublich tolles Gebäude ins Auge: die Sparkasse. Diese ist nämlich in einem beeindruckenden Palazzo untergebracht, dessen Fassade und Arkadengänge wunderschön bemalt sind. Ganz klar ist mir nicht, wieso hier eine Bank und nicht etwa ein Museum oder Theater seinen Sitz hat. Aber gut, irgendwie hat es ja auch etwas, dass man sich an Architektur und Kunst erfreuen kann, während man schnell mal sein Sparbuch plündert.
Langsam trotte ich weiter ins Zentrum der Stadt. Wie schon in Sterzing, Brixen, Bozen und Trient entdecke ich hier viele hübsche Häuser, pittoreske Gässchen und interessante Bauwerke. Mir kommt es mittlerweile so vor, als ob ganz Südtirol-Trentino vom gleichen Architekten und denselben Künstlern gestaltet wurde. Wobei, ganz stimmt das nicht, denn wenn man Rovereto mit Sterzing vergleicht, bemerkt man doch einen Wandel vom Tiroler Erscheinungsbild hin zu einem, das Verona gleicht. Es ist jedoch augenscheinlich, dass man in dieser norditalienischen Gegend zwischen Österreich und dem Gardasee viel Wert auf kunstvoll verzierte Wohnhäuser legt.
Ich quäle mich mit meinem schweren Rucksack den Hügel hinauf zum Castello, das anmutig über der Stadt thront. Das Museum in der Burg lasse ich zwar aus, weil ich mit meinem Geld sparsam haushalten muss, doch ich gehe noch ein Stückchen zwischen dem Weingarten und der Burgmauer bergauf. Von dort oben habe ich nämlich einen tollen Ausblick auf das Etschtal und so lasse ich meinen Blick über die weite Landschaft schweifen. Es ist nun aber an der Zeit, mich auf den Weg zur Bushaltestelle zu machen und nach Torbole weiterzureisen, wo ich die heutige Nacht verbringen werde.
Mir ist klar, dass ich mich mit dem Abschied aus Südtirol auch die deutsche Sprache hinter mir lasse. Ich muss an Goethe denken, der diesen Sprachwechsel in seinem Buch mit den Worten„Wie froh bin ich, daß nunmehr die geliebte Sprache lebendig, die Sprache des Gebrauchs wird!“ thematisierte. Mir geht es da eigentlich ganz gleich, denn es gibt für mich keinen schöneren Klang als die italienische Sprache. Und auch wenn ich noch etwas zurückhaltend bin, so versuche ich bereits hier im Trentino, so viel wie möglich italienisch zu sprechen. Ich frage nach dem Weg zum Busbahnhof und spreche auch mit dem Ticketverkäufer nur in seiner Landessprache.
Umso überraschter bin ich, als mich ein älterer Mann auf Deutsch anredet, während wir auf den Bus warten. Er lebe zwar in Arco, erklärt er mir, sei aber